Rotes Telefon

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Kunstradio - Radiokunst

Entfernt verbunden - Wettbewerb für experimentelle Literatur und Radiokunst

Simulation eines Austausches. Kunst, Daten und Fakten, Verstehen und Verstehen wollen.

Die Kommunikation zwischen Menschen ist ein künstlicher Vorgang und beruht laut dem Medienphilosophen Vilém Flusser auf Kunstgriffen:

Beim Sprechen kommen nicht 'natürliche' Töne heraus wie beim Vogelgesang, und das Schreiben ist keine 'natürliche' Geste wie der Bienentanz.

In dem Buch "Kommunikologie" aus dem Jahr 1996 beschreibt Flusser den Menschen als geselliges Wesen und er meint, wir nutzen Kommunikation, um uns die eigene Vergänglichkeit und das zum Tode verurteilte Leben vergessen zu lassen.

Soziale Medien und Radio sind technisierte Versionen dieses uralten Bedürfnisses nach Kommunikation, Austausch, Information, Meinungsbildung und Unterhaltung. Manchmal bedarf es einer Krise, um sich daran zu erinnern.

Background - ein Wordrap

Die Kuratorin Brigitte Felderer meint in dem Text "Geschichten und Geschichte. Zum Konzept einer akustischen Ausstellung:

Die Stimme ist ein 'heißes Medium', das die Welt strukturiert, das sinnhaft ist und den, der spricht sowie die, die zuhören, immer involviert und beteiligt.

Die Stimme ist im Radio das Kommunikations- und Übertragungsmedium Nr. 1. Sprechen ist für den Soziologen Guido Zurstiege - er befasst sich mit Taktiken der Entnetzung - denken:

Westliche Kulturen orientieren sich bis heute am Leitbild des antiken Dialogs. Das Gespräch, die Rede und die Gegenrede, sie befruchten sich wechselseitig so sehr, dass sie geradezu eine Quelle unseres Denkens darstellen.

Im Radio sammeln sich Stimmen von Geistern, Artefakte von früheren Zeiten und Experimente der Gegenwart. Für den Medienphilosophen Marshall McLuhan ist das Radio überhaupt ein rituelles Instrument, wie er in "Die magischen Kanäle - Understanding Media" formulierte.

'Ich lebe im Radio drinnen, wenn ich zuhöre. Ich verliere mich leichter im Radio als in einem Buch', sagte jemand bei einer Radioumfrage. Das Radio berührt die meisten Menschen persönlich, von Mensch zu Mensch und schafft eine Atmosphäre unausgesprochener Kommunikation zwischen Autor, Sprecher und Hörer. Das ist der unmittelbare Aspekt des Radios. Ein persönliches Erlebnis. Die unterschwelligen Tiefen des Radios sind erfüllt vom Widerhall der Stammeshörner und uralten Trommeln.

Die Hörerin und der Hörer sind involviert in den Prozess Radio. Das Publikum findet sich im ständigen Zwiegespräch mit dem Signal aus dem Lautsprecher - ein einsamer Dialog entsteht "gemeinsam":

Die technische Übertragbarkeit von Sinnesreizen ermöglicht eine Erweiterung des Erfahrungsraums von Individuen und schafft einen Typ subjektiven Erlebens, welcher nicht auf der Notwendigkeit einer Präsenz im Nahraum basiert.

Der Soziologe Dominik Schrage spricht in seinem Buch "Psychotechnik und Radiophonie" von sogenannten Subjekteffekten, die in dem Medium Radio enthalten sind. Kennen Sie dieses Phänomen?

Zum anderen verknüpft das Radio in simultaner Weise die Sphäre des Öffentlichen und des Privaten, etabliert eine neuartige Wirklichkeitsdimension, die subjektiv erlebbar ist und zugleich die räumliche Ausdehnung von Gesellschaft umfasst.

Ein Dialog mit Radio entsteht: ein stummes Einvernehmen, Streit oder sogar Ablehnung des Gehörten - also allesamt Aufgaben der Kunst.
Gegenwärtig findet das aus der Physik stammende Radio aber nicht nur mehr aus dem Küchengerät heraus statt, obwohl dieses eine Renaissance feiert. Das Smartphone, das Tablet oder der Laptop werden zum neuen Stammesfeuer, an das wir uns setzen, um Geschichten zu lauschen - elektronische Kunstwerke, Störgeräusche, Soundscapes und Atmos erzählen ihre Geschichten. Der Medienwissenschafter Guido Zurstiege nochmals dazu:

Nachdem der Gesellschaft im Zuge ihrer funktionalen Differenzierung die Gemeinschaft als bestimmendes Prinzip abhandengekommen ist und das Leben zunehmend in streng voneinander getrennten Betriebseinheiten stattfindet, sind es ausgerechnet jene Medien an der Spitze des technologischen Fortschritts, die ihren Nutzern versprechen, längst abgelegte Kategorien der gesellschaftlichen Ordnung wiederzubeleben: Gemeinschaft, Nähe, Erfahrung und Unvermitteltheit.

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Gestaltung

  • Hans Groiss