Abgebrochene Stifte

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Corona-Krise

Kommt nach Kurzarbeit-Segen der Fluch?

Durch die Corona-Krise ist in allen österreichischen Medienhäusern das Anzeigengeschäft eingebrochen. Kurzarbeit soll helfen, die Jobs zu halten. Bald laufen die ersten drei Monate ab, und viele Verlage planen eine dreimonatige Verlängerung bis in den Herbst. In den Redaktionen kursiert die Angst, dass nach der Kurzarbeit ein großes Sparpaket kommt. Auch redaktionell hat die Kurzarbeit ihre Schattenseiten.

Die Nachricht, dass sie mit sofortiger Wirkung nur noch wenige Stunden pro Woche arbeiten durfte, hat die Online-Redakteurin schockiert. "Man hat mir kommuniziert: Deine Arbeit ist nicht wichtig", sagt sie. Ein Kollege erzählt, dass sein Chef in der Eile nicht nachgedacht habe. Er hatte im April mehr Arbeit als sonst und wurde deshalb wieder aus der Kurzarbeit geholt, allerdings muss er bis heute auf einen Teil seines Gehalts warten. Eine andere Redakteurin in Kurzarbeit sagt: "Was soll ich machen, es ist so viel los, wenn ich was Wichtiges erfahre, dann muss ich es schreiben!"

Viel zu berichten und keine Zeit

Keiner der Betroffenen möchte offen darüber reden, aus Angst sich zu schaden. Gelebte Kurzarbeit ist eine komplizierte Sache. Der Medienökonom Matthias Karmasin sagt, die Kurzarbeit bringe Medien in ein Dilemma, in der Krise umso mehr: "Man braucht Ressourcen für Bewältigung der Nachrichtenlage. Und andrerseits steigt die Notwendigkeit für eingehende Recherche. Das sind natürlich alles Dinge, die der Kurzarbeit diametral entgegenstehen."

Kurzarbeit auch in ORF-Redaktionen

Auch der ORF hat Kurzarbeit beantragt, obwohl er mit seinen Informationssendungen Rekordquoten hat und sich großteils aus Gebühren finanziert, doch die lassen nach - wie die Werbeeinnahmen. "Um nicht in die Lage zu kommen, noch härtere Maßnahmen setzen zu müssen“, so die Begründung von Generaldirektor Alexander Wrabetz in einem Mail an die Mitarbeiter. Im Fernsehen hat es vor allem die Kultur, auch die Bereiche Wetter und Sport betroffen, im Radio Mitarbeiter, die sich um Events kümmern, oder das Radio Symphonieorchester - in den Landesstudios viele Kulturredakteure. Ob die Kurzarbeit verlängert wird, hat der ORF noch nicht kommuniziert. Die puls4-Gruppe hat nur Sportredakteure in Kurzarbeit geschickt.

"Der Standard" verlängert noch einmal

Bei den Zeitungen zeigt sich ein sehr unterschiedliches Bild. Beim "Standard" etwa sind Redakteure und Vertrieb in Kurzarbeit, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Und die Kurzarbeit soll bis in den Herbst verlängert werden, sagt Geschäftsführer Alexander Mitteräcker - aber in geringerem Ausmaß, Sport- und Kulturredakteure und Redakteurinnen sollen wieder mehr arbeiten. Aus der Redaktion hört man, dass man nun öfter zu Geschichten nein sagen müsse, und man eben genau zu entscheiden habe, welche Geschichten Priorität haben, und welche nicht. Die Zeitaufzeichnungen seien akribisch.

"Die Presse" hofft auf Aufschwung

Beim Konkurrenzblatt, der Tageszeitung "Die Presse", waren einige wenige Redakteure in Kurzarbeit, aber nicht in den Hauptressorts wie Politik oder Wirtschaft - eine bewusste Entscheidung, wie Betriebsrat Michael Lohmeyer sagt, weil der Bedarf an Information so groß war. Hundert Personen waren bei der "Presse" für Kurzarbeit gemeldet, vor allem im Anzeigengeschäft werden jetzt viele Mitarbeiter wieder voll zurückgeholt, denn man glaubt bereits wieder an die wirtschaftliche Erholung.

"Kleine Zeitung" schrumpft in Regionen

Einen anderen Weg ist die "Kleine Zeitung" gegangen, die wie die "Presse" zur Styria Media Group gehört. Hier sind Redakteure und Vertrieb deutlich stärker in Kurzarbeit - im Schnitt beträgt die Beschäftigungsquote etwa 60 Prozent und die Redakteure wechseln sich wochenweise ab, erklärt Geschäftsführer Thomas Spann. Die Zeitung hat deutlich weniger Umfang. Vor allem die regionale Berichterstattung in Kärnten und der Steiermark sei weniger geworden, weil Sport und Kulturveranstaltungen ausfallen. Die Kurzarbeit mache den Ausfall der Werbeerlöse jedenfalls nicht wett, sagt Spann. Erst im Juli will die Geschäftsführung entscheiden, ob die Kurzarbeit verlängert wird.

Ist Kurzarbeit das bessere Geschäft?

Wie in vielen Verlagen ist es auch bei der "Kleinen" eine kaufmännische Abwägung, ab wann es sich wieder mehr lohnt zu versuchen, ein Geschäft zu machen, oder ob es noch länger lohnender ist, in Kurzarbeit zu bleiben. Während die großen Werbekunden bereits wieder für Einnahmen sorgen, um die man sich bemüht, sei das regionale Anzeigengeschäft noch zu schwach, sagt Spann. Auch beim "Standard" wird genau nachgerechnet, sagt Mitteräcker: "Dieses Abwägen wird uns in den kommenden Monaten beschäftigen."

Fellner schöpft Möglichkeiten voll aus

Bei der Moser Holding mit dem Flaggschiff "Tiroler Tageszeitung" heißt es aus der Geschäftsführung, in einigen Bereichen könne man die Kurzarbeit schrittweise vorzeitig beenden, weil das Geschäft besser laufe, etwa im Anzeigenbereich oder mit Sonderpublikationen. Bei den "Salzburger Nachrichten" soll die Kurzarbeit laut Geschäftsführung Ende Juni auslaufen, auch mit Blick auf die jetzt reduziert stattfindenden Salzburger Festspiele. Bei den "Oberösterreichischen Nachrichten" ist noch offen, ob verlängert wird. Weiter in Kurzarbeit bleiben dürfte die Gratiszeitung "Österreich", hier ist die Printredaktion auf 50 Prozent reduziert, Online und TV arbeiten voll.

Buntstifte

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Der erste Schritt zum Sparprogramm?

Die Krise macht jedenfalls die strukturellen Probleme der Branche noch sichtbarer. Die Kurzarbeit ist neben der Corona-Sonderförderung nur ein Pflaster auf den tief liegenden Wunden der Medienbranche, die seit Jahren damit kämpft, dass ihr Produkt immer digitaler wird, aber das Geldverdienen im Netz noch immer nicht leicht ist - gleichzeitig fallen Werbeerlöse weg. In vielen Häusern fürchten Mitarbeiter, dass es nach der Krise zu Sparprogrammen kommen wird, auch im ORF. Der Generaldirektor hat für 2021 ein 75 Millionen Euro schweres Sparprogramm angekündigt und das als "eine der größten Herausforderungen in der Geschichte des ORF" bezeichnet. Betriebsrätin Gudrun Stindl: "Es gibt schon in manchen Teilen die Befürchtung, dass die Kurzarbeit der erste Schritt ist, dass man gewisse Jobs vielleicht einsparen kann."

"Klima der Angst" nach Entlassung im ORF

Die Sparvorgabe wird - wenn keine Prioritäten gesetzt werden - unter anderem das Funktionieren der Radio-Information in Frage stellen, die personell jetzt schon am Limit ist. Wie scharf der Wind auch im ORF weht, weiß Redakteurssprecher Dieter Bornemann. Er verweist auf die Entlassung eines ORF-Journalisten im Landesstudio Vorarlberg, weil dieser die Corona-Isolationszone unbefugt betreten habe. Ein Racheakt, weil der Kollege als Redakteursvertreter unbequem gewesen sei, hat der Redakteursrat in einer Aussendung krititisert. Bornemann grundsätzlich zu dem Fall, der das Arbeitsgericht beschäftigt: "Das führt natürlich zu einem Klima der Angst, wenn Leute fristlos entlassen werden. Dann wird es einfach irgendwann nicht mehr diese eigenständigen Redaktionen mit ihrer Willensbildung geben. Dann wird halt nur noch gemacht, was von oben angeschafft wird. Und das ist das Gegenteil von unabhängigem Journalismus."

"Wir haben da nichts in der Lade"

Bei den Zeitungen gibt es diese Ängste auch, quer durch. Spann versucht sie für die "Kleine Zeitung" zu zerstreuen. "Bei uns ist da nichts in der Lade, wir arbeiten an der Zukunft." Betriebsrat Michael Lohmeyer von der "Presse": "Diesen Masterplan, dass eine Personalreduktion kommt, den kann ich bis jetzt nicht erkennen." Und auch Alexander Miitteräcker vom "Standard" sagt: "Da jetzt etwas zu antizipieren, ist viel zu früh."

Medienförderung: Die Nagelprobe

Der Krisenmodus wird im Herbst wohl ein Ende haben. Danach sei es höchste Zeit, die Medienförderung auf neue Beine zu stellen, wie es ja auch im Regierungsprogramm vorgesehen ist. Das würde die Medien krisenresistenter machen, sagt der Medienwissenschafter Matthias Karmasin. Man müsse Politiker jetzt beim Wort nehmen, wenn sie sagen, die Krise habe gezeigt, wie wichtig Qualitätsmedien sind. Für die Förderungen fordert Karmasin deshalb klare Qualitätskriterien und einen Fokus aufs Digitale. Auch Lohmeyer, der im Präsidium der Journalistengewerkschaft sitzt, findet: Es sei Zeit, die rund acht Millionen Euro Presseförderung endlich deutlich zu erhöhen - er spricht von 50 bis 100 Millionen plus Wertanpassung und nennt es Abgeltung für den Beitrag zur Demokratie. "Das sind diese Dinge, die die Nagelprobe brauchen. Diesbezüglich darf man ja hoffen, dass nach Corona Zugänge anders werden."

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