Bundeskanzler Sebastian Kurz besuchte das Kleinwalsertal

APA/BUNDESKANZLERAMT/DRAGAN TATIC

Kleinwalsertal

Unverpixelte und amtliche Lichtbilder

Die Gier, mit der sich Boulevard und Qualitätsmedien auf die Bilder des Lockvogels von Ibiza gestürzt haben, das ist die eine Seite. Die andere Seite, das sind die Bilder vom missglückten Auftritt von Sebastian Kurz im Kleinwalsertal: Da war der Hausfotograf des Kanzleramts mit dabei, und dessen Bild von einem harmlosen Bürgerinnenkontakt des Kanzlers fand – wieder einmal muss man sagen - den Weg in die meisten Medien. Es dokumentiert den achtlosen Umgang vieler Medien mit den Bildern, die sie veröffentlichen.

Die eigentliche Geschichte – dass es ein Problem mit den Corona-Abstandsregeln gab – war hingegen auf sehr starken Videobildern dokumentiert und hat Kurz so unter Druck gebracht, dass er persönlich bei mehreren Chefredakteuren angerufen hat, um den Schaden zu begrenzen. Hubert Patterer von der "Kleinen Zeitung" hat das öffentlich gemacht und erzählt: "Da habe ich einen Politiker erlebt, der wahnsinnig, fast obsessiv auf das Bild bedacht ist, das medial von ihm gezeichnet wird. Wenn das nicht mit dem Bild übereinstimmt, das er von sich selbst hat, dann spürt man bei ihm, dass er den Boden verliert und manchmal auch die Souveränität."

Bilder-Kontrollverlust im Kleinwalsertal

Dabei ist es anfangs so gelaufen wie sehr oft: Die meisten Zeitungen waren nicht bei dem Termin im Kleinwalsertal dabei, auch die Austria Presse Agentur nicht – die verbreitete ein Bild des Fotografen Dragan Tatic, das eine ältere Frau zeigte, die den Kanzler – mit gebührendem Abstand – anstrahlt und eine Österreich-Fahne schwingt. Das Foto erschien sogar im "Standard", der sich gute Fotografen leistet, die sich als Foto-Journalisten verstehen und sehr gut wissen, wie man mit Bildern gestalten und eigene Geschichten erzählen kann. Zum Beispiel Matthias Cremer, der der ARD zur Causa Kleinwalsertal gesagt hat: "Furchtbar, es ist wirklich ganz furchtbar, wenn so etwas passiert - da muss man echt aufpassen." Erst später, als die Sache gekippt war und auch international hohe Wellen geschlagen hatte, griffen die Medien zu den Video-Bildern.

Der Leibfotograf und die Presseagentur

Tatic ist ein sehr guter Fotograf, der allerdings seit Jahren für Sebastian Kurz arbeitet und natürlich einen bestimmten Blickwinkel hat. Verbreitet werden Fotos – Copyright Bundeskanzleramt - immer wieder über die Austria Presse Agentur, und allzu oft übernehmen Medien die Bilder ohne nähere Erläuterung, wo sie herkommen. Also dass sie ein Hausfotograf des Kanzlers gemacht hat. APA-Chefredakteur Johannes Bruckenberger findet, dass diese Transparenz schon wichtig wäre. Aber grundsätzlich hat er mit den amtlichen Lichtbildern kein Problem: "Da gibt es dann immer diese Diskussion, dass die Politiker in einer aktiven Rolle gezeigt werden. Ich denke, dass jedes österreichische Medium so ein Bild will, es geht ja auch um den Österreich-Bezug. Es ist auch unser Job, den zu liefern", sagt Bruckenberger.

Aschbacher-Hunderter mit Copyright BKA

Bei den Bildern geht es aber natürlich auch darum, den Kanzler im besten Licht darzustellen. Keine Blößen zeigen, die aber manchmal die interessantere und relevante Geschichte sein können. Die Bilderkontrolle ist also auch Ausfluss der "Message Control" auf österreichisch. Die Medien sparen, wo es nur geht, und rücken sogar amtliche Bilder ins Blatt, ohne das groß zu kennzeichnen. Mit dem Kleinwalsertal ist das nicht aufgegangen, der Schock beim Team Kurz war groß. "Kleine"-Chefredakteur Hubert Patterer spricht vom "völligen, plötzlichen Kontrollverlust über die Erzählung. Das ist ihnen ins Mark gefahren." Mittlerweile hat das Team Kurz wieder alles unter Kontrolle. Zuletzt haben sie das berühmte Foto, auf dem Familienministerin Christine Aschbacher einem Baby ein paar Hunderter gibt, in der "Kronen Zeitung" untergebracht. Copyright natürlich Kanzleramt.

Die Medienjagd auf den Lockvogel

Die andere Seite der Achtlosigkeit haben die Fahndungsfotos des Ibiza-Lockvogels gezeigt. Die Ermittler der SOKO haben das ganze Video sicherstellen können und unverpixelte Bilder der vermeintlichen Oligarchen-Nichte herauskopiert. Der schlimmste Vorwurf gegen die Frau ist Urkundenfälschung, die Polizei hat sie dennoch zur Fahndung ausgeschrieben. Und die meisten Medien haben sie auch bereitwillig an den Pranger gestellt. Auch wenn das mit dem Medienrecht im Einklang steht, ethisch ist es höchst fragwürdig.

Boulevard und Qualitätsmedien synchron

Der Kommunkationswissenschafter Fritz Hausjell dazu nur knapp: "Geht’s noch?" Die Journalistin Julia Ortner unterrichtet an der Fachhochschule Wien praktische Medienethik, sie erkennt ein Musterbeispiel für den Umgang österreichischer Medien mit diesen Dingen: "Das ist für die Studierenden dann oft interessant, man glaubt ja, dass nur Wolfgang Fellner solche Sachen macht. Hier sehen wir, dass alle Redaktionen sehr aufpassen müssen, wie sie mit dem Persönlichkeitsschutz im Alltag umgehen." Denn auch Qualitätsmedien wie "Der Standard" und die "Zeit im Bild" haben das Bild der Frau unverpixelt gezeigt.

"Fast die gesamte Presse im Sub-Standard"

Die ZIB2 war eine rühmliche Ausnahme, auch puls24 hat sich nach einer Schrecksekunde entschieden, die Bilder zu verpixeln. Chefredakteur Stefan Kaltenbrunner über die Debatte in der Redaktion: "Die Meinungsbildung war relativ einfach: Alle machen das, weil es ein offizielles Fahndungsfoto ist. Aber keiner hat im ersten Moment nachgedacht, warum es alle machen." Nicht zuletzt hat es Kritik an der Arbeit der SOKO gegeben, die konnte also dringend einen Erfolg zur Ablenkung brauchen. Im "Standard" ist dann immerhin ein Gastkommentar des Schriftstellers Doron Rabinovici erschienen, der an Deutlichkeit nicht zu überbieten war. Zitat: "Österreichs Exekutive arbeitet gern im Kleinformat. Aber nicht nur die Boulevardmedien geilen sich an der Frau auf, sondern auch die sogenannten Qualitätszeitungen, darunter 'Der Standard'. Fast die gesamte Presse im SubStandard."

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