Bob Dylan

APA/AFP/FRED TANNEAU

Rough and Rowdy Ways

Neues Album von Bob Dylan

Heute erscheint nach "Tempest" aus dem Jahr 2012 ein neues Album von Bob Dylan. Zuvor hatte sich der Mann aus Minnesota auf drei Veröffentlichungen dem Great American Songbook gewidmet, also Klassiker neu gedeutet. Auf "Rough and Rowdy Ways", dem 39. Studioalbum Dylans, finden sich nun zehn neue Songs. Den Literaturnobelpreis erhielt Dylan 2016 für "seine poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songtradition", wie es die Akademie damals ausdrückte. Genau das scheint auch der Anspruch von "Rough and Rowdy Ways".

Mittagsjournal | 19 06 2020

David Baldinger

Bob Dylan hat wahrlich schon viel gesehen, doch dass ausgerechnet seine epische Ballade "Murder Most Foul" über die Ermordung von John F. Kennedy sein erster Nummer-Eins-Charterfolg werden würde, das hat wohl auch ihn überrascht. Fast siebzehn Minuten vermischt Dylan hier das Ikonische mit dem Profanen und spiegelt in der turbulenten Vergangenheit die Abgründe der Gegenwart - eine Collage der Gleichzeitigkeit, in der das Gestern ins Heute fließt - ein Zugang, der dieses Album prägt.

Im Song "I Contain Multitudes" stellt sich Dylan als menschliches Universum voller Widersprüche vor. Ausgeborgt hat er sich den Titel bei einer anderen überlebensgroßen Figur amerikanischer Dichtkunst - dem Poeten Walt Whitman. "Bei diesem Lied war der Titel mein Ausgangspunkt. Danach habe ich mich auf meinen Instinkt verlassen. Es läuft dann fast wie in Trance ab. Viele meiner neueren Songs entstehen auf diese Weise. Die Texte sind echt, fast greifbar, das sind keine Metaphern. Diese Songs schreiben sich wie von selbst und verlassen sich darauf, dass ich sie singe", meinte Dylan, der nach wie vor nur selten Interviews gibt, vor kurzem gegenüber der "New York Times".

Es läuft wie in Trance ab

Bob Dylan mit einer Zigarette in der Hand 1965 in London.

Bob Dylan 1965 in London.

AP

"Ich kann kein Lied singen, dass ich nicht verstehe", meint Dylan in "Goodbye Jimmy Reed". Fast ist man versucht zu glauben, ihm zu glauben und diese Offenheit wörtlich oder gar autobiografisch zu nehmen. Auch wenn man bei Dylan weiß, dass er ein Mann vieler Masken ist.

Bob Dylan mit Medaille, dahinter Barack Obama

2012 wird Bob Dylan von US-Präsident Barack Obama mit der US-Freiheitsmedaille ausgezeichet. Die höchste zivile Auszeichnung des Landes holte sich der scheue KÜnstler persönlich in Washington ab.

AFP/MANDEL NGAN

Noch immer auf der Suche nach Amerika

Auf seinen letzten drei Alben durchpflügte Dylan das amerikanische Songbook und deutete es auf seine Weise neu. Auch "Rough and Rowdy Ways" ist eine Sammlung zutiefst amerikanischer Songs. Dylan singt von Elvis und dem Bluesmusiker Jimmy Reed, erinnert sich an Marlon Brando und Al Pacino in "Der Pate" oder ruft Allen Ginsberg und Jack Kerouac an. Amerikanische Geschichte und Identität bleiben weiterhin zentrale Fixpunkte im Werk. Als würde er in seiner Erinnerungsbox wühlen und jeden einladen, dabei zuzusehen. Weniger sperrig oder kryptisch als man das von ihm bisweilen kennt.

Auf ein Tänzchen mit dem Tod

Auch der Tod schleicht in vielerlei Gestalt durch diese Lieder. Dylan hofft auf Gnade und überquert in einem Lied gar den Rubikon. Doch auch wenn der Abschied unausweichlich ist, Angst herrscht dennoch keine. Am Ende von "Mother of Muses" singt Dylan "Ich reise mit leichtem Gepäck und ich bin auf dem Weg nach Hause." Er "denke über den Tod der Menschheit nach", erzählte Dylan der "New York Times". "Über diesen langen, seltsamen Trip des nackten Affen. Jedes Leben ist so vergänglich. Jeder Mensch, ganz egal wie stark oder groß, ist zerbrechlich, wenn es um den Tod geht. Ich denke allgemein darüber nach, nicht auf eine persönliche Weise."

Eingespielt mit seiner erprobten Tourband pendelt das Album zwischen hartem Blues und sanften Songs, die dahinschaukeln und den Barden und seine Hörerschaft an Sehnsuchtsorte reisen lassen - "Key West" etwa, wo es keinen Winter gibt und "die Unsterblichkeit so nahe scheint".

Meine Welt ist längst überholt

Bob Dylan

Bob Dylan 1978 währrend seiner Tour in Europa.

HO/AFP/LOUIE KEMP COLLECTION

"Rough and rowdy", also roh und ungehobelt, erscheint Dylans Welt, wenn sie auf die Visionen und Visionäre seiner Jugend trifft. "Die heutigen Technologien machen jeden verletzbar", sagte er zur "New York Times". "Aber junge Menschen denken nicht so. Denen ist das egal. Sie wurden in eine Welt der Telekommunikation und moderner Technologien hineingeboren. Meine Welt ist längst überholt."

Mit 79 ist Dylan kein verbitterter Besserwisser, kein Elder Statesman oder Moralapostel. Seit 1962 blickt er mit offenen Augen in die Welt und hält sie in Szenen fest, die hier so packend und intensiv sind wie zu seinen besten Zeiten.

Service

New York Times - Bob Dylan on New Album: 'The Songs Seem to Write Themselves'

Gestaltung