WIENER RIESENRAD
Wien-Wahlkampf
Wenn die Gondeln Strache tragen
Der Wien-Wahlkampf findet Corona-bedingt vor allem in den Medien statt. TV-Duelle auf vielen Sendern, ORF wie Private haben die Spitzenkandidaten wieder Abende füllend in die Talk-Studios gebeten. Der Privatsender ATV aus der Puls4-Gruppe hat dabei den Vogel abgeschossen: Kandidaten-Duelle im Riesenrad im Prater – und ein handfester Krach, weil FPÖ-Landesobmann Dominik Nepp nicht mit seinem Ex-Chef Strache in eine Gondel steigen wollte.
2. November 2020, 02:00
Dabei wäre eine Konfrontation Strache versus Nepp durchaus spannend gewesen, war Letzterer doch Finanzreferent der Wiener FPÖ, als die Partei Strache noch mit überaus großzügigen Spesenzahlungen verwöhnte, deren Folgen jetzt Gegenstand von gerichtlichen Ermittlungen sind. Allein: Nepp drückte sich, und Strache wurde von ATV-Moderatorin Sylvia Saringer interviewt – wobei der gefallene FPÖ-Chef hier seine bisher abenteuerlichsten Verschwörungstheorien zum Besten gab.
ATV/MONI FELLNER
Stammgast und Analytiker bei Fellner
Dabei ist die Diskussion, warum Heinz-Christian Strache nach Ibiza überhaupt noch eine Bühne geboten wird, nie verstummt. Für Boulevard-Macher vom Schlage eines Wolfgang Fellner geht es ausschließlich um die Quote, bei ihm ist Strache Stammgast. Zuletzt durfte er bei Fellner sogar als Analytiker und - ernsthaft - als "quasi Journalist" auftreten.
Für die Quote ist Strache immer noch ein Garant. Das zeigen die ORF-Einschaltziffern: 211.000 sahen die Pressestunde mit Strache, weit über dem Durchschnitt, und beachtliche 726.000 den Auftritt Straches bei Armin Wolf in der ZIB2 Mitte August. Der ORF gibt dem Gestrauchelten eine Bühne, weil seine Liste im Wiener Gemeinderat Fraktionsstatus hat, das ist die Regel, die sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk gegeben hat.
ORF
Dann wieder Watschenmann und Opferlamm
Für Eva Linsinger vom "profil" – sie hat mit Tobias Pötzelsberger die Strache-Pressestunde bestritten, und sie haben den Gast nicht geschont – gibt es auch sachliche Gründe, Strache ausgiebig und kritisch zu befragen: "Die Alternative ist: Er kann in seiner Parallelwelt seine eigenen Wahrheiten verbreiten, ohne dass ihm jemand etwas kritisch entgegensetzt." Auch Corinna Milborn, die Strache in ihrer Sendung auf Puls24 hatte, sieht keine andere Möglichkeit. "Wenn solche Ermittlungen wegen Korruption, Verschwendung von Steuergeld und Spesen-Missbrauch im Raum stehen, dann muss man danach Fragen. Das ist so ein Grund-Ding."
Der Primus unter den Kleinparteien
Die anderen Kleinparteien im Wiener Wahlkampf schauen wieder durch die Finger, diesmal fällt das wegen der Aufmerksamkeit für die Strache-Kleinpartei besonders deutlich auf. Und noch etwas passiert: Strache kann seine Opferrolle, in der er sich seit dem Tag seines Rücktritts als Vizekanzler gefällt, noch intensiver pflegen. Das müsse man hinnehmen, sagt Linsinger: "Strache hat sich auch als Vizekanzler als Opfer und von den Medien verfolgt gefühlt, in der Rolle wird er bleiben, egal was wir machen." Milborn sagt, die Bewertung dieser Opferrolle wolle sie ganz klar dem Publikum überlassen.
Roter Start-Ziel-Sieg ohne Genierer
Ob Strache mit seiner teils obskuren Liste, die ihm in allen Interviews vorgehalten worden ist, den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde in den Gemeinderat schafft, wird der Wahlabend zeigen. Was jetzt schon feststeht, ist der Start-Ziel-Sieg der Wiener SPÖ mit Bürgermeister Michael Ludwig. Die SPÖ hat sich in Sachen Corona immer wieder auf selbstbewusste Distanz zur ÖVP-geführten Bundesregierung gegeben, das Wien-Bashing der ÖVP hat man zur Mobilisierung der eigenen Leute benutzt. Und Nothilfe-Maßnahmen wie den Gastro-Gutschein hat die SPÖ gekonnt zum eigenen Vorteil eingesetzt.
Versteckspiel um Schnitzel-Gutschein
39 Millionen Euro hat Rot-Grün im Gemeinderat freigegeben, ein ordentlicher Teil davon ist in Inserate geflossen - für einen Schnitzel-Gutschein, den ohnehin jeder Haushalt bekommen hat. Die Rechercheplattform „Dossier“ hat allein für zehn Tage Anfang Juli den Werbewert dieser Inserate mit 650.000 Euro berechnet. In Summe dürften es Millionen sein, SPÖ-Finanzstadtrat Peter Hanke verweigert aber die Auskunft darüber - weil die Wien-Holding alles abwickelt, die gehört zwar der Gemeinde, ist aber ausgegliedert und so der Anfrage entzogen, die die NEOS an Hanke gestellt haben.
Bürgermeister-Sender im Hochbetrieb
Der Wien-Holding, also der Stadt, gehört auch der Fernsehsender W24, der als "Bürgermeister-Fernsehen" bekannt ist und diesem Namen in Wahlkampfzeiten besonders viel Ehre macht. Die Nachrichtensendung „24 Stunden Wien“ ist quasi das Aushängeschild des Senders – und zeigte den ganzen September ein rotes Heimspiel. Michael Ludwig, Stadträtinnen und Stadträte, aber auch rote Bezirksvorsteher und -Stellvertreter kamen ausführlich zu Wort. Für die Grünen gab es Alibi-Beiträge, am Rande kam auch die Opposition vor.
Feuerwehrstadtrat doppelt Finanzstadtrat
Highlights waren eine Straßenumfrage, wer denn wohl der nächste Bürgermeister von Wien sein wird (Spoiler: alle tippten auf Ludwig, nur einer sagte, er darf nicht wählen); ein Beitrag vom Tag des Kindes der roten Kinderfreunde mit eineinhalb Minuten Ludwig-O-Ton (was sehr viel ist); und ein Doppelauftritt von Peter Hanke in einer Sendung, einmal als Finanzstadtrat und einmal als „Feuerwehrstadtrat“.
Wie hat Senderchef Marcin Kotlowski in einer #doublecheck-Ausgabe von früher gesagt? "Ich sage immer in der Redaktion: Wenn wir Coca Cola sind und wir haben jeden Tag 24 Stunden Karies-Berichte, wird es auch irgendwann eine Unzufriedenheit des Eigentümers geben." Mit dem Wort "Bürgermeister-Fernsehen" habe er deshalb auch überhaupt kein Problem, so Kotlowski 2017. Es scheint bis heute die Maxime geblieben zu sein.
Service
#doublecheck: Parteimedien in Bewegung