ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Bezirkslätter Niederösterreich
Muss-Geschichten im schwarzen Land
Wie ticken die Bezirksblätter Niederösterreich, die Gratiswochenzeitung, die den Printmarkt im größten Bundesland dominiert? Eine gemeinsame Recherche von #doublecheck und "profil" gibt Einblick in einen fragwürdigen Redaktionsalltag, wo die Mauer zur Anzeigenabteilung ziemlich löchrig ist. Von "Muss-Geschichten", die auf Zuruf geschrieben werden, Redakteuren, die fürs Texten von Partei-Beilagen herangezogen werden, und Prämien, die winken, wenn genügend Inserate eintrudeln.
2. November 2020, 02:00
Auf den ersten Blick mutet die Gesprächsreihe "Politik und" der Bezirksblätter Niederösterreich an wie jede andere Polit-Diskussion auch, sie ist aber grundlegend anders. Denn während bei anderen Formaten die politische Besetzung variiert, ist hier immer nur ein Gast geladen: Der Landesgeschäftsführer der ÖVP Niederösterreich, Bernhard Ebner, gemeinsam mit einem oder einer Expertin und einem Journalisten der Bezirksblätter. Die Veranstaltung, die in der ÖVP-Parteizentrale in St. Pölten stattfindet, ist eine Kooperation zwischen der Partei und dem reichweitenstarken Regionalblatt. Die ÖVP zahlt für Moderation, Facebook-Stream und Online-Advertorial, wird auf Anfrage seitens der niederösterreichischen Volkspartei bestätigt. Auf dem Banner hinter den Gesprächsteilnehmern stehen Partei- und Medienlogo auch sichtbar Seite an Seite. Nur bei der begleitenden Print-Berichterstattung wird auf den Hinweis - hierfür wurde bezahlt - vergessen.
Ein möglicherweise exemplarischer Umgang mit Distanz und Transparenz bei den Bezirksblättern Niederösterreich. Das lassen zumindest Dutzende interne Mails und Dokumente vermuten, die #doublecheck und dem Nachrichtenmagazin "profil" vorliegen.
Partei-PR-Blatt von der Redaktion
So schreibt etwa der damalige stellvertretende Chefredakteur Christian Trinkl knapp drei Monate vor den niederösterreichischen Gemeinderatswahlen folgenden Satz an seine 19 Lokalredaktionen, die insgesamt 29 Ausgaben produzieren: "Viele Landesgesellschaften & Co. leeren ihre Budgets, da wird es für euch lokal einige einzelne Geschichten zum Umsetzen geben." Wird die Berichterstattung an die Inseratenvergabe des Landes angepasst? In dem Mail werden weiter unten genaue Arbeitsaufträge erteilt. Unter anderem steht eine Beilage für die Volkspartei an: "Sonderbeilage ÖVP-Zeitung. Ausgewählte ÖVP-Gemeindefraktionen können bei uns eine 8-seitige PR-Zeitung bestellen. Die Inhalte kommen zwar von der ÖVP, die Aufbereitung liegt aber logischerweise bei uns." Zumindest die ÖVP-Pressbaum hat dieses Angebot angenommen.
Bezirksblätter-Redakteure sollen also für eine Partei-Beilage herhalten. Auf Anfrage bei den Bezirksblättern heißt es dazu: PR-Texte gehörten nun einmal zum Profil eines redaktionellen Mitarbeiters einer kostenlosen Lokalzeitung. Betont wird, dass nicht nur die ÖVP Beilagen buchen könne, sondern alle Werbekunden. Die Beilage sei zudem korrekt ausgeschildert.
Gebucht, aber nicht bezahlt
Ein weiteres Beispiel: die Bezirksblätter bringen Ende 2018 eine Artikel-Serie zur Europäischen Union und fragen, was die Mitgliedschaft Niederösterreich bisher gebracht hat. Intern wird die Berichterstattung von Trinkl so kommuniziert: "Die Fläche ist immer gebucht." Trinkl gibt den genauen "Mediaplan" für die Berichterstattung vor. Sechs Interviews werden abgedruckt – mit Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner sowie fünf ÖVP-Landesräten. Die Mitglieder der Landesregierung von SPÖ und FPÖ kommen hingegen nicht vor. Sowohl die ÖVP als auch das Büro von Mikl-Leitner bestreiten auf Anfrage, dass es sich dabei um bezahlte Berichterstattung handelt.
ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Wenn das Landesressort ein Thema vorschlägt
Ein anderes internes Mail aus den Bezirksblättern betrifft ein rotes Landesregierungsmitglied. Im Oktober 2019 bekommen die Lokalredaktionen folgende Weisung: "Ist gerade erst vom Landesressort hereingeschneit. Muss also in der nächsten Ausgabe, Kalenderwoche 44, erscheinen. Vorab schon sorry für die Umstände!" Bestellt wird von Trinkl eine "nette Geschichte über unsere Kürbisbauern". Landesweit erscheint dazu ein Interview mit Landeshauptmann-Stellvertreter Franz Schnabl von der SPÖ. Von Schnabls Pressesprecher heißt es dazu, man habe das Thema der Chefredaktion zwar vorgeschlagen, um "einen redaktionellen Beitrag dazu anzuregen", bezahlt worden sei aber nichts.
An der Seite des Bauernbunds
Auch mit dem Bauernbund gab es Absprachen. Die Order per Mail von Trinkl im Februar 2019 an die Bezirks-Redakteure: "Mit dem NÖ Bauernbund wurde eine Geschichte vereinbart, die in Kalenderwoche 9 erscheinen MUSS." Trinkl gibt auch die "Stoßrichtung" vor: "Wir stehen an der Seite der Bauern." Sind die wohlwollenden Artikel, die kurz darauf erscheinen, also bezahlt? Nein, sagt der Bauernbund auf Anfrage, es sei eine "exklusive redaktionelle Berichterstattung vereinbart" worden, Geld sei keines geflossen. Inseriert habe man vor den Artikeln im Zuge der Kampagne aber schon, genauso wie auch in anderen Medien.
"Entgeltliche Veröffentlichen werden gekennzeichnet"
Mit der Recherche konfrontiert, betonen die Bezirksblätter Niederösterreich mehrmals, dass bezahlte Texte stets gekennzeichnet werden, man sei politisch unabhängig, Anzeigenabteilung- und Redaktion würden getrennt voneinander arbeiten. Die Chefredaktion würde die Lokal-Reporter nur über Themen informieren, die Letztverantwortung liege aber bei der Redaktion. Wenn in internen Mails Berichte als "gebucht" und "Muss-Geschichten" bezeichnet werden, sei das nur auf den saloppen Umgangston zurückzuführen.
"Irreführung der Leser"
Der Presserat, wo die Bezirksblätter auch Mitglied sind, kennt Praktiken, wo bezahlte Inhalte nicht richtig ausgeschildert werden, prinzipiell nur zu gut. "Problematisch wird es dann, wenn man Werbeinhalte so kaschiert, als ob es redaktionelle Inhalte wären - das heißt man verwendet das redaktionelle Schriftbild, das redaktionelle Layout und versucht eben unterschwellig, etwas als unabhängigen Journalismus zu verkaufen, was aber kein unabhängiger Journalismus ist", das sei Irreführung der Leser, sagt der Geschäftsführer des Presserats, Alexander Warzilek. Strafbar nach Paragraph 26 des Mediengesetzes ist die Sache dann, wenn auch ein Geldfluss belegt werden kann. Schleichwerbung sei ein immer größer werdendes Problem. Konkret bei den Bezirksblättern ist der Presserat diesbezüglich bisher nicht tätig geworden.
Inseraten-Prämien für die Redaktion
Laut dem Ehrenkodex des Presserats dürfen wirtschaftliche Interessen Redaktionen nicht beeinflussen. Ein Grundsatz, der bei den Bezirksblättern aber offenbar ins Gegenteil gedreht wird. Dokumente, die #doublecheck und "profil" vorliegen, zeigen: Bezirksblätter-Redakteure unterschreiben Jahreszielvereinbarungen - werden genügend Anzeigen gebucht, winken für die Redakteure Prämien. Die Bezirksblätter verteidigen das, es sei "nur fair und angebracht, redaktionellen Mitarbeitern ebenso Prämien bei Erreichen von Umsatzzielen durch den Anzeigenverkauf zuteilwerden zu lassen, wie diese auch Mitarbeitern aus dem Anzeigenverkauf und der Layoutgestaltung zukommen". Immerhin würden die Redakteure mit ihrer Arbeit erst zum Erfolg der Zeitung beitragen.
Wenn die Mauer zum Schweizer Käse wird
Für den Medienethiker Matthias Karmasin von der Universität Klagenfurt wird damit aber eine rote Linie überschritten. Die viel zitierte Chinesische Mauer zwischen Redaktionen und Anzeigenabteilung werde so ad absurdum geführt. Karmasin: "Wenn das wirklich so ist, was ich nicht überprüfen kann aus der Distanz, dann wäre das natürlich ein Anreizsystem, das nicht dazu angetan ist, diese Chinesische Mauer besonders fest und hoch zu machen, sondern da gibt’s natürlich eine Motivation, das eher in Richtung Schweizer Käse zu entwickeln, diese Mauer."
Karmasin betont die Bedeutung von Lokaljournalismus. "Gemeindepolitik ist das, was die Leute unmittelbar betrifft, was die Leute unmittelbar spüren und da ist natürlich eine vierte Gewalt im Sinne unabhängiger, kritischer Berichterstattung wichtig." Als vierte Macht der Politik auf die Finger schauen - eine altbekannte Herausforderung für fast alle Medien, immerhin gehören die Finger zur Hand, von der man auch gefüttert wird. Fast eine Million Euro hat das Land Niederösterreich zusammen mit den Landesgesellschaften allein im Jahr 2019 in der Gratis-Wochenzeitung inseriert. Seit Beginn der Medientransparenz-Datenbank hat sich das öffentliche Inseratenvolumen damit annähernd verdoppelt.
Bis vor kurzem war übrigens Oswald Hicker Chefredakteur der Bezirksblätter Niederösterreich, er wechselt nach zehn Jahren vom größten Medium zum kleinen regionalen TV-Sender P3TV. Zumindest dem Bauernbund dürfte Hicker dort aber wieder begegnen: Vergangenes Jahr wurde P3TV vom Agrarverlag aufgekauft. Einem Medienunternehmen des ÖVP-Bauernbunds.
Service
profil: Bezirksblätter-Redakteure mussten Positiv-Storys über Politiker schreiben
#doublecheck: Schwarzes Medien-Orchester