Sucharit Bhakdi - SERVUS TV/BENEDIKT MUELLER
Servus TV
Wenn ein TV-Sender viral geht
Servus TV ist im Verlauf der Pandemie zu einer Plattform der Corona-Zweifler geworden. Treibende Kraft dahinter ist Senderchef Ferdinand Wegscheider, der den umstrittenen Epidemiologen Sucharit Bhakdi zur Galionsfigur des neuen Formats "Corona-Quartett" gemacht hat. Und das führt auch zu Zerwürfnissen.
7. Dezember 2020, 02:00
Die Pandemie ist zu Ende, es gibt keine zweite Welle, das Corona-Virus ist genauso wie die Grippe - wer sich die Diskussionssendung "Corona-Quartett" auf Servus TV ansieht, bekommt schnell den Eindruck, dass Politik und Medien die Gefahr, die vom Virus ausgeht, übertreiben. Das Konzept der Sendung, die Ende September auf dem privaten TV-Sender des Red-Bull-Milliardärs Dietrich Mateschitz gestartet ist, kommt beim Publikum offenbar gut an. Mehr als 100.000 Zuseherinnen und Zuseher waren mitunter live dabei, hochgeladen auf YouTube vervielfachen sich die Zahlen noch einmal.
Alles dreht sich um den Aufreger Bhakdi
Die Idee: in der Sendung diskutieren vier Personen über diverse Fragen rund um die Pandemie, es soll eine Art Stammtisch auf Augenhöhe mit dem Publikum sein. Seit der dritten Folge moderiert Ex-Addendum-Chefredakteur Michael Fleischhacker – auch nachdem Andrea Kdolsky, ehemalige ÖVP-Gesundheitsministerin in der Regierung Gusenbauer, das Handtuch geworfen hat. Sie war eigentlich als fixe Gesprächsteilnehmerin geplant und hätte die Diskussionen leiten sollen.
"Mit-Diskutanten sind nur eine Garnitur"
Kdolsky kritisiert jetzt, wie sich das Format entwickelt habe. Die Sendung sei in Richtung "Corona-Leugner abgerutscht", die Gefahr des Virus werde teilweise "heruntergespielt". Nicht Inhalte würden zählen, "sondern die Hauptfigur Sucharit Bhakdi mit einer Garnitur von drei anderen um ihn herum, die eigentlich nicht widersprüchlich, sondern mit ihm gleichgestimmt" seien, so Kdolsky im #doublecheck-Interview.
Der mehr als umstrittene pensionierte Mediziner Bhakdi sei der – gar nicht so – heimliche Star der Sendung. Viele seiner Thesen zum Corona-Virus, die er zu Beginn der Krise auf tausendfach geklickten YouTube Videos teilte, halten Faktenchecks nicht stand, sein Bestseller-Buch über das Virus gilt als unwissenschaftlich. Die Uni Mainz hat sich von ihrem ehemaligen Professor sogar distanziert. Bei Servus TV kann Bhakdi dennoch wilde Spekulationen verbreiten, wie etwa dass Masken für Kinder lebensgefährlich seien.
Anekdoten statt Expertise für die Skeptiker
Wenn vermeintliche Experten solche anekdotischen Erzählungen verbreiten, für die sie keine Beweise haben und mit denen sie klar dem wissenschaftlichen Konsens widersprechen, sei das höchst unseriös, findet der Wissenschaftspublizist und Physiker Florian Aigner. "Wenn man eine Diskussionsendung veranstaltet, dann muss man sich sehr genau überlegen, wen man hier einladen soll. Und das darf man sich eben nicht nur nach den zu erwartenden Einschaltquoten überlegen."
Doch genau das geschehe hier, glaubt Aigner: "Man weiß, es gibt einen bestimmten Prozentsatz von Corona-Leugnern oder Maßnahmen-Gegnern, und die will man natürlich erreichen."
"Servus TV hat seine Quoten-Nische gefunden"
Für den Medienberater Peter Plaikner ist das alles kein Zufall. Mit Corona habe Servus TV seine Nische gefunden - das Erfolgsrezept heißt Polarisierung à la FOX News in den USA, sagt Plaikner. "Erst seit es da eine klare Gegenpositionierung - nicht nur zum ORF, sondern auch zu anderen Sendern und auch Tageszeitungen - gibt, wächst das Publikum stark an. Denn man sammelt letztlich einfach eine Zielgruppe auf."
Vor allem auf Social Media funktioniere das gut. Der wöchentliche Kommentar von Servus-TV-Intendant Ferdinand Wegscheider habe seine Klicks auf Facebook seit Beginn der Krise verdreifacht, sagt Plaikner. Gerne geteilt werden die rund sieben Minuten dauernden Clips besonders von FPÖ-Politikern. Aber auch klassisch über das lineare Fernsehen erreicht die Sendung eine beachtliche Zahl von bis zu 190.000 Zuseherinnen und Zusehern.
APA/GEORG HOCHMUTH
Plattform einer rechten Gegenöffentlichkeit
Servus TV sei unter Wegscheider gar zu einer Plattform einer rechten Gegenöffentlichkeit geworden, schrieb Plaikner vor kurzem in einem Essay für die "Kleine Zeitung". Auch andere Branchenbeobachter sind dieser Meinung: Mit dem "Corona-Quartett" habe sich der Privatsender als die Speerspitze der Virus-Gegner positioniert, statt seriöser Diskussion gebe es dort Populismus. Damit ruiniere Servus TV seinen Ruf, heißt es etwa in einem Kommentar auf dem bekannten deutschen Medienportal DWDL.
Wer Wegscheider kritisiert, steht am Pranger
Die breite Kritik blieb nicht ungehört. Wegscheider spottete über Plaikner vor seinem Publikum im TV, nannte ihn in der Sendung einen "stets frustriert wirkenden Medienberater", seine Analyse sei ein als "Sendungskritik getarnter Schmähartikel", mit dem er sich an linke Claqueure andiene. Die Konsequenz war eine auffallend hohe Zahl negativer Zuschriften, berichtet Plaikner, der diese Art der Reaktion Pranger-Methoden und einen Einschüchterungsversuch nennt.
Grenzüberschreitung als Satire verpackt
Plaikner bleibt dennoch bei seiner Kritik. Wegscheider - der für #doublecheck nicht für eine Stellungnahme zur Verfügung stand - überschreite in seiner TV-Kolumne Grenzen. Etwa wenn er Gesundheitsminister Rudolf Anschober "Angstschober" nennt, gegen sogenannte Mainstream-Medien in Wien wettert oder von der "Plandemie" von Bill Gates, des "Corona-Kartells" und der WHO spricht.
Indem Wegscheider das alles als Satire verpackt, versuche er, sich weniger angreifbar zu machen. "Aber das lässt sich nicht loslösen von der Funktion, die er auf seinem Sender hat", so Plaikner. Politische Absichten unterstellt er dem Servus-TV-Intendanten nicht. "Das ist einfach seine Methode der Zuschauermaximierung."
Hinter einfachen Antworten lauert gern Unsinn
Gegenüber der Wochenzeitung "Falter" betonte Wegscheider jedenfalls, er handle aus "journalistischer Überzeugung". Ob die Verschwörungstheorien nun ernst gemeint sind oder nicht, Servus TV fügt sich mit seiner Ausrichtung nahtlos in einen größeren Trend ein. Einfache Antworten auf komplizierte Fragen erleben in Pandemie-Zeiten wieder viel Zuspruch. Florian Aigner warnt Medien dennoch davor, in ihrer Berichterstattung auf falsche Ausgewogenheit zu setzen. "Die Wahrheit liegt nicht immer in der Mitte. Manchmal ist eine Meinung richtig und die andere Meinung ist Unsinn", sagt Aigner.