Christian Drosten

Christian Drosten - APA/AFP/POOL/MICHAEL KAPPELER

Coronavirus

Wissenschaftsjournalismus blüht auf

Für Wissenschaftsjournalisten ist der Job in der Krise alles andere als einfach. Die Datenlage ist oft dünn, und die Meinungen sind oft konträr. Doch ein journalistischer Fachbereich, der lange wie ein Stiefkind behandelt worden ist, gelangt jetzt zu neuer Blüte.

Der NDR-Podcast "Das Coronavirus Update" mit dem Berliner Virologen Christian Drosten ist ein enormer Erfolg. Die fast 40 Folgen, die bisher erschienen sind, sind bereits mehr als 34 Millionen Mal angehört worden. In der Krise ist der Podcast, in dem die Journalistinnen Korinna Hennig und Anja Martini die Fragen stellen, für viele zur "Instanz" geworden – so heißt es zumindest in der Nominierung zum Grimme-Award.

"Können dem Publikum mehr zutrauen"

"Am Anfang haben wir gedacht, wir machen jeden Tag fünf bis zehn Minuten, dann hat sich herausgestellt, dass die erste Folge 30 Minuten lang war – weil es so viel zu reden gab", erzählt Korinna Hennig im #doublecheck-Interview. Entstanden sei die Idee in der Innovationsabteilung des NDR, dem Audiolab Think Radio. Mittlerweile erscheint der Podcast mehrmals die Woche, zu Beginn der Krise gab es sogar täglich eine Folge.

Korinna Hennig

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Ein kleines Fest für die Stiefkinder

Das unglaubliche Interesse des Publikums, auch langen wissenschaftlichen Ausführungen zuzuhören - etwa wie genau Impfstoffe funktionieren - zeige, dass man den Hörerinnen und Hörern ruhig mehr zutrauen kann. "Für Wissenschaftsredakteure ist das ein kleines Fest", sagt Hennig. Natürliche müsse man aufpassen, das Publikum nicht auf der Strecke zu lassen, als Zusatzangebot gibt es die Podcasts aber immer auch als Transkript zum Nachlesen.

Viel Lob für den Parade-Virologen

Mit all seinen Schattenseiten ist rund um Drosten ein regelrechter Medienhype entstanden, nicht nur Deutschland hängt an den Lippen des renommierten Virologen. Ein Forscher, der gern erklärt und das auch gut kann, das ist für Journalisten ein Glücksgriff. Im Podcast wird Drosten als Experte interviewt, kritisches Nachfragen gibt es damit kaum. Das liege auch an Drosten, sagt Hennig. "Wenn er nicht so wäre, wie er wäre, würden wir das Format vielleicht nicht so machen oder ich würde konfrontativer fragen." Denn der Virologe würde mit seinen Aussagen immer sehr behutsam umgehen, sich selbst auch korrigieren und seine Grenzen aufzeigen.

Genau das hat Drosten und dem Podcast unlängst auch Lob von einer anderen Wissenschaftsjournalistin eingebracht. Mai Thi Ngyuen-Kim hat auf ihren YouTube-Kanal "MaiLab" verglichen, wie Virologen in den Medien ihr Wissen kommunizieren. Drosten hat dabei besonders gut abgeschnitten.

Wenn ein YouTube-Video Augen öffnet

Mit "Mai-Lab" betreibt die Chemikerin Ngyuen-Kim einen Wissenschaftskanal auf YouTube, der seinerseits gerade durch die Decke geht und zu den medialen Neu-Entdeckungen in der Krise zählt. So hat ihr millionenfach geklicktes Video "Corona geht gerade erst los" Deutschland Anfang April ordentlich aufgerüttelt. Die Chemikerin Ngyuen-Kim erklärt darin, weshalb die Pandemie erst dann enden wird, wenn ein Impfstoff auf dem Markt ist, und die Hoffnung, dass alles schnell vorbei geht, fehl am Platz ist.

Kurz nach dem YouTube-Hit hat Ngyuen-Kim sogar in den renommierten Tagesthemen - eine Art ZIB2 der ARD - kommentiert. Eine besondere Ehrung, durch die die YouTuberin in der breiten Bevölkerung zur anerkannten Expertin geworden ist.

Die Neu-Entdeckung der Auskenner

Ob im neuen YouTube-Gewand oder als kurzerhand aus dem Boden gestampfter öffentlich-rechtlicher Podcast - der Wissenschaftsjournalismus bekommt mit der Corona-Krise einen neuen Stellenwert. Lange sei Wissenschaftsberichterstattung ein "Nice-to-Have" gewesen, sagt Elke Ziegler, Wissenschaftsredakteurin bei Ö1: "Jetzt haben aber viele Medien gesehen, dass es gut ist, Journalistinnen und Journalisten zu haben, die mit wissenschaftlichen Publikationen und mit Aussagen von Forscherinnen und Wissenschaftern umgehen können."

Umfassender Ö1-Blick auf die Krise

Ähnlich wie der NDR hat auch die Ö1-Wissenschaftsredaktion einen Corona-Podcast entwickelt. Anders als beim deutschen Pendant kommen hier aber Expertinnen und Experten unterschiedlicher Disziplinen vor, vom Neurowissenschafter, der über die psychologischen Folgen des Social Distancing erzählt, bis zum historischen Rückblick auf überwundene Epidemien wie den Ausbruch der Pest. "Unser Ansatz war, den vielen verschiedenen Gesichtern der Krise Ausdruck zu verleihen, indem wir verschiedene Menschen zu Interviews einladen", sagt Ziegler - und dazu würden auch Menschen zählen, die die aktuellen Entwicklungen kritisch sehen und darauf aufmerksam machen. Im Ö1-Corona-Podcast kam etwa auch der vom Experten-Rat der Regierung de facto geschasste Public-Health-Profi Martin Sprenger zu Wort.

Fehlende Transparenz bei den Daten

Dabei sei besonders anfangs schwierig gewesen, die Anti-Corona-Maßnahmen der Regierung aus wissenschaftlicher Sicht kritisch zu hinterfragen. Denn was die Datengrundlage für die Entscheidungen angeht, gab es seitens der Regierung wenig Transparenz. Zahlen seien nur selektiv veröffentlicht worden, erzählt Ziegler. Lange sei etwa unklar gewesen, wie die wichtige Reproduktionszahl genau berechnet werde.

Wenn Studien sofort in Medien landen

Dass die Forschung aktuell so im Zentrum der Öffentlichkeit steht, bringe auch Schwierigkeiten mit sich. Die Versuchung, für die knackige Headline Forschung verkürzt darzustellen, ist mitunter groß, und die Zeit zu warten, dass Studien von der Fachwelt auch gegen-gecheckt werden, bevor man darüber berichtet, ist in der Krisenhektik nicht immer vorhanden.

Vier Meter neben der Realität gejoggt

Ein Beispiel: Eine Untersuchung aus Belgien sorgte Anfang April für Wirbel. Jogger, so hieß es, könnten zu Virenschleudern werden. Auch beim Laufen in der frischen Luft müsse unbedingt ein Abstand von mindestens vier Metern eingehalten werden, wurde gewarnt. Selbst in einer Pressekonferenz mit Sportminister und Vizekanzler Werner Kogler wurde die Studie erwähnt. Doch die Untersuchung war nur eine Simulation, die mit der Wirklichkeit nicht wahnsinnig viel gemein hat, sagt Elke Ziegler. Zu normalen Zeiten würden solche Untersuchungen daher – zu Recht - komplett untergehen.

Elke Ziegler wie auch Korinna Hennig vom NDR plädieren daher: Klar sagen, was man weiß - und was man nicht weiß. Auch der Wissenschaft müsse man kritisch gegenüberstehen.

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