Wissenschaft und Medien

"Mit Unsinn keine Kompromisse"

Es liegt sowohl an Forscherinnen und Forschern als auch an den Medien, dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft gut durch die Krise zu kommt. Der Verschwörungsszene dürfe dabei nicht in die Hände gespielt werden, findet "Wissenschaftserklärer" Florian Aigner. #doublecheck hat mit Aigner über Expertinnen und Experten in den Medien und die Bedeutung von Fakten für die Demokratie gesprochen.

Seit Monaten steht die ganze Welt im Bann der Corona-Pandemie. Mehr als 48 Millionen Menschen haben sich infiziert, 1,2 Millionen sind nach einer Infektion gestorben. Mit dem Virus ist die Wissenschaft schlagartig ins Rampenlicht gerückt. Gleichzeitig aber erleben auch Verschwörungstheorien einen enormen Zulauf.

Das ist nicht widersprüchlich: "In einer Zeit, wo alles kompliziert ist, wo man sich unsicher fühlt, wo man vieles nicht versteht, will man klare Antworten haben", sagt der Autor, Physiker und Wissenschaftserklärer Florian Aigner. Die Antworten aus der Wissenschaft seien hingegen oft kompliziert und schwer zugänglich. Und die mediale Darstellung von Wissenschaft würde die Sache nicht unbedingt besser machen.

Wissenschafts-Drama, Baby!

So würden sich Medien nur zu gern auf die Unterschiede zwischen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern konzentrieren. "Man hat Streitereien zwischen Experten inszeniert und medial hochgespielt, die es teilweise gar nicht gab." In Deutschland etwa gehe es oft um einen vermeintlichen Zwist zwischen den Virologen Christian Drosten und Hendrick Streeck. In Wahrheit aber seien die meisten Dinge unbestritten, sagt Aigner. Medien aber lieben all jene, die aus der Reihe tanzen.

Der Stand der Forschung zählt

Und davon gibt es einige. Sie vertreten spektakuläre Einzelmeinungen, die aber nicht den Stand der Forschung abbilden, dafür umso mehr der medialen Logik entsprechen. Als Beispiel kann der umstrittene Epidemiologe Sucharit Bhakdi genannt werden, der beim Privatsender Servus TV wöchentlich Talkshowgast ist. Wenn Bhakdi dort wilde Spekulationen von sich gibt, sei das aus wissenschaftlicher Sicht ein "klarer Regelverstoß", sagt Florian Aigner. "Da werden einfach Behauptungen in den Raum geworfen, das ist nicht Wissenschaft."

Expertise oder nur persönliche Meinung?

Für die Zuseherinnen und Zuseher sei es aber oft schwierig zu wissen, wem und was sie glauben sollen. "Wenn wir einen Experten im Fernsehen haben, der sagt etwas, was ganz erstaunlich und außergewöhnlich ist, dann müssen wir erfragen: Ist das jetzt seine persönliche Meinung oder repräsentiert er damit die Meinung der Wissenschaft?", rät Aigner. Natürlich dürften Experten wie Bhakdi die Wissenschaft in Frage stellen, aber: "Dann müssen sie verdammt gute Argumente haben. Sich einfach nur ins Fernsehen zu setzen und zu sagen: Ihr seid ja alle blöd, Coronaviren sind ganz harmlos – das ist zu wenig." Genau das passiere in letzter Zeit aber sehr oft, beobachtet der Physiker Aigner.

"Wahrheit nicht immer in der Mitte"

Aber sollten Medien nicht auch die andere Seite zeigen, um die ganze Debatte abzubilden? Nicht unbedingt. Aigner warnt vor der "Kompromiss-Falle" und falscher Ausgewogenheit in wissenschaftlichen Angelegenheiten: "Die Wahrheit liegt nicht immer in der Mitte. Manchmal ist eine Meinung richtig und die andere Meinung ist Unsinn, das kommt in der Wissenschaft ziemlich oft vor. Und ein Kompromiss zwischen der Wahrheit und Unsinn ist immer noch Unsinn."

Medien sollten sich jedenfalls genau überlegen, wen sie interviewen und in Talkshows einladen und sich dabei angesichts der großen Zahl an Corona-Leugnern nicht an den zu erwartenden Quoten ausrichten. Die Frage, die sich Medien laut Aigner vielmehr stellen sollten: "Kann der Experte den Stand der Wissenschaft vermitteln? Kann der uns erklären, was nicht nur er meint, sondern was Konsens in der Wissenschaft insgesamt ist?" Darum würde es gehen.

Jenseits von Fakten zu argumentieren, das gefährde letztlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt. "Wir als Gesellschaft müssen uns einig sein, dass wir gemeinsam nach den Fakten suchen, dass es nicht ausreicht, irgendein Bauchgefühl zu haben. Sonst ist Demokratie nicht möglich", sagt Aigner. Dafür müssten informierte Entscheidungen getroffen werden. Eine klare Aufgabe der Medien.

Auch mal eine Sendung auslassen

Florian Aigner selbst will sich jedenfalls nicht mehr jeder TV-Diskussion stellen. Er werde immer wieder angefragt und sei bisher auch der Meinung gewesen, dass es besser sei, hinzugehen und zumindest ein wenig Rationalität und Wissenschaft beizusteuern. "Mittlerweile gibt es Sendungen, die so radikal, extrem und daneben waren, dass ich hier keine Hoffnung mehr sehe", sagt Aigner angesprochen auf das "Corona-Quartett" von Servus TV mit dem Epidemiologen Bhakdi. "Wenn eine Fernsehsendung ganz ins Gebiet des Unfugs übersiedelt ist, dann will ich dort nicht auf Besuch kommen."

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