Kleines Haus mit Trump-Wahlplakat

Lordstown | Ohio | 16 10 2020 (c) APA/AFP/MEGAN JELINGER

Diagonal

Zum Thema: Transatlantik - oder: über das Verhältnis USA und Europa

Eine Verlust- vielleicht sogar eine Vermisstenanzeige: Als abgängig gilt jenes Amerika, das während des 20. Jahrhunderts Generationen von (nicht nur) Europäern und Europäerinnen in ästhetischen und gesellschaftlichen Fragen Orientierung bot. In Kunst wie Gesellschaft; in Politik, Literatur, Malerei, Musik und Populärkultur. Doch damit scheint nun Schluss zu sein, was erstaunlich wenig mit dem sogenannten Trumpismus zu tun hat.

Der US-Präsident scheint lediglich ein Katalysator zu sein, der die Fratze zur Kenntlichkeit verzerrte. Vielleicht war die Generation der technologisch interessierten Späthippies, aus deren Garagen heraus sich Silicon Valley entwickelte sowohl Wurzel wie Sargnagel. Amazon bis Google machten deutlich, dass es, hinter welcher Maske oder Fratze auch immer, ausschließlich um Gewinnmaximierung geht. So heftig, dass selbst amerikanische Magnaten früherer Jahrzehnte blass werden mochten. Die Idole vieler Generationen, von Jackson Pollock zu Miles Davis, waren damit "perdu", verloren. Aus der transatlantischen Fernbeziehungsliebe war die Beobachtung eines desaströsen Kontinentaldrifts geworden. Eine Bewegung voneinander weg, statt zueinander hin.

Ein politisch nüchterner und konservativerer Blick

"Nicht nur haben die USA in Europa und Asien entscheidend gesiegt, sie haben in bewunderungswürdiger Weise ihre guten Ziele und Methoden in Politik, Kultur und Wirtschaft vermittelt. Japan und Deutschland haben von der Philosophie des Marshall-Plans und von der Nicht-Wiederholung des Versailler Vertrages in umfassender Weise profitiert. Die Gestaltung der internationalen Institutionen trägt die amerikanische Handschrift."

ORF.at

US-Wahl 2020

APA/AFP/ANGELA WEISS

Spätestens mit diesen Zeilen des deutschen Zeithistorikers und Publizisten Hans-Peter Schwarz aus dem Jahr 2006 holt uns die Trump-Zeit wieder ein. Aber tatsächlich: Nie waren die USA so sehr Vorbild und Gestalter der Welt wie am und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Doch diese Vorbild-, man könnte auch sagen "Leitkultur"-Funktion - für nahezu den gesamten Westen - ist eben schon seit geraumer Zeit brüchig geworden, wenn nicht sogar an ihr Ende gekommen.

Nach der Wahl

Transatlantisch bedeutete ursprünglich "jenseits des Atlantiks", oder "überseeisch", im Sinne des Verhältnisses von Europa und Afrika einerseits zu Nord- und Südamerika andererseits. Bald jedoch war mit "transatlantisch" nur mehr das Verhältnis zwischen Europa und den USA gemeint. Mit den US-Präsidentschaftswahlen am 3. November ist das gemeinsame Verhältnis - so scheint es - endgültig an einem Scheideweg angekommen.

Dass Joe Biden jetzt gerade begonnen hat, mit europäischen Regierungschefs zu telefonieren, relativiert die Geschichte natürlich auch. Uns von Diagonal ist die diesbezügliche, politische Großwetterlage, zu der natürlich China und Russland zählen, bewusst, es hindert uns aber nicht daran, unseren Fokus auf das Transatlantische zwischen Europa und Amerika zu legen: Wie wird sich Europa nach diesen Wahlen entwickeln, welche Wege gehen? Selbstbewusster, eigenständiger agieren? In Fragen der Sicherheit, Stichwort NATO; in Fragen der Kommunikation, Stichwort europäisches Internet; in Fragen der Wirtschaft, in Fragen der Kultur?

Bonustrack

Die aktuelle Pressekonferenz des österreichischen Bundeskanzlers zur Verschärfung des Lockdown machte es notwendig, die längst konzipierte Sendung zu kürzen. Als Bonustrack können Sie im Folgenden einen Beitrag von Renata Schmidtkunz über die Filmregisseurin Susanne Brandstätter hören.

Susanne Brandstätter: "This Land is My Land"

Im Jahr 2017, ein Jahr nach dem Wahlsieg Donald Trumps macht sich Brandstätter in Ohio für ihren Film "This Land is My Land" auf den Weg, um herauszufinden, warum denn das so gekommen ist. Ohio ist seit jeher einer der traditionellen swing states bei den US-Präsidentschaftswahlen, ein Staat also, in dem die agilen Wechselwähler/innen die Karten politisch immer wieder neu mischen. Susanne Brandstätter, eine Amerikanerin aus Los Angeles, die, seit sie Volljährig ist, in Europa lebt, wollte verstehen, war die Vereinigten Staaten, diese eine Nation nun gespalten war.

Renata Schmidtkunz

Ö1 sendete das ausführliche Gespräch, das Renata Schmidtkunz mit der Regisseurin führte, Anfang Oktober 2020.