Dampflokomotive

AP/TAKEHIKO SUZUKI

Spielräume

Die wahren Abenteuer - so fern, so nah

„Was gibt es in der Geschichte der Menschheit Schöneres als die Entdeckungen! Ich kann kein Boot sehen, ohne dass der Wunsch in mir übermächtig wird, an Bord zu gehen“ schreibt Jules Verne, bevor er rund um die Welt reist und sogar zum Mond aufbricht. Die Spielräume-Moderatoren/innen machen es ihm gleich

Die Spielräume-Moderatoren/innen reisen für ihre Hörer/innen in entlegenste Gegenden, in Gebirge und scheinbar nichtssagende, flache Landschaften. Reiseziel der Sehnsucht kann aber auch eine U-Bahnstation sein oder aber der Teller auf dem Speisetisch, der in uns Bilder erweckt. Stichwort: Rehragout! Die Sonderedition der Spielräume - ein Panoramawagon mit überraschenden Ausblicken, und noch dazu klimaneutral!

Das „Spielräume“-Team hat für oe1.ORF.at ein gemeinsames Reisetagebuch geführt:

Gerade noch den Zug erwischt mit all den Platten und CDs im Gepäck. Ein großes Abteil ist nur für die Spielräume-Crew reserviert. Der Abstand ist gewährleistet, denn die Koffer tür-men sich nicht nur im Mittelgang, auch die Gepäcknetze quellen über. Mirjam Jessa teilt sich die Bank mit drei Hutschachteln. Rainer Elstner hat als Einziger nur seinen kleinen Rucksack am Schoß und eine Kappe am Kopf, Albert Hosp raschelt mit dem Butterpapier seiner Jause, während Johann Kneihs sich aus dem Fenster träumt. Die zu spät gekommene, voll bepackte Astrid Schwarz hält Wolfgang Schlag die Tür auf, während Andreas Felber...

...mit einer Hand nach einem abhanden gekommenen Schuh unter der Sitzbank sucht. Mit der anderen Hand hält er den Ghettoblaster auf dem Nebensitz. Eine erwartungsvolle Ruhe herrscht im Abteil, nur unterbrochen vom gleichförmigen Rattern des Zuges. Die aufgesetzte Lässigkeit ist nur gespielt, denn in Wahrheit warten alle gespannt auf den ersten Song. Man versteht in dieser Runde nach den unzähligen Skype-Sitzungen jede noch so kleine Zuckung im Gesicht der anderen. Mirjam hebt die rechte Augenbraue – das Zeichen für Andreas...

…der angestrengt vor sich hinstarrt und dabei aussieht wie ein russischer Dichter aus dem 19. Jahrhundert mit seinem neuen, imposanten Bart. Die Finger der rechten Hand trommeln leicht auf den Ghettoblaster. Er denke bereits seit Tagen nach, verrät er uns, habe bereits gedanklich die halbe Jazzwelt bereist – Afrika, Nord- und Südamerika, Frankreich, Finnland, Armenien – allein der Ort, nachdem er sich bereits als Kind gesehnt hatte, war nicht dabei. Er brauche noch etwas Zeit und ersuche uns (seine Lieblingsformulierung), ersuche uns um mehr Bedenkzeit. Im Alphabet wäre sowieso zuerst Albert an der Reihe. Der rührt gerade versonnen in seinem Espresso als…

…der Zug mit einem gewaltigen Ruck zum Stehen kommt. Kaum merklich hatte er sich in Fahrt gesetzt, bald sich von den Schienen gelöst, geschwebt und sachte höher gestiegen – die Stadt unter ihnen war kleiner und dann unsichtbar geworden, unter undurchdringlichem Ne-bel verschwunden. Über Länder und Meere war das Gefährt seinem ersten Ziel entgegengeeilt, die Passagiere erst jäh aus ihren Gedanken gerissen, als der Konvoi unsanft auf der Erde aufsetzt. Gepäck, Proviant, Hutschachteln purzeln durcheinander – erst dann werden die Reisenden gewahr, welch Anblick sich vor den Fenstern bietet. Eine …

… nasse grüne Wand hat sich aufgetan, undurchschaubar, wie die Musikauswahl der Reisenden. Man sieht nichts, man kann nur noch hören. Ist‘s eine Elster oder der Elstner? Ist‘s die Schwarz oder ist sie gelber, fragt der Felber? Hopst hier der Hosp, verkneift sich der Kneihs? Jessas schlag ein! Hand in Hand tasten sich…

… alle im plötzlichen Dunkel des Speisewagens zur offenen Tür. Der Zug hat angehalten. Draußen zaghafter Schnee. Stille. Von irgendwo scheint die Stimme von Heimito von Doderer herüber zu wehen. Und das - war das nicht „Goldeador“ Hans Krankl? Afrofuturist Sun Ra scheint sich einzumischen. Dann: die Goiserer Klarinettenmusi. Plötzlich fangen Schneeräumer zu singen an, und ein lyrischer Jazztrompeter lässt sein Instrument singen. Das Geschehen verdichtet sich. Klänge und Rhythmen aller denkbaren und undenkbaren Gestalt dringen an unser Ohr, und sie scheinen aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen. Vom Ende der Welt, aus dem Regenwald, vom Lagerfeuer, vom Grabhügel. Vom Meeresstrand. Eine beängstigend anschwellende Kakophonie stürzt auf die verblüfften Zuginsassinnen ein.

Rainer Elstner, Andreas Felber, Albert Hosp, Mirjam Jessa, Johann Kneihs und Astrid Schwarz

Die Spielräumeredaktion im Jahr 2019, bei der Aufnahme ihrer damaligen Sendung zum Jahreswechsel.

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

„Zug fährt ab“

Und kurz bevor sie dieser Mahlstrom an Klängen zu verschlucken scheint, ertönt, wie ein rettender Anker, eine vertraute Melodie: Die Ö1-Spielräume-Signation. Und die Stimme von Mirjam Jessa, die verblüffend rasch Ordnung ins Chaos bringt. Die Spielräume-Chefin bezeichnet sich als Bahnhofsvorsteherin, und sie blickt auf die Uhr: Es ist Donnerstag, 31. De-zember 2020, 16.05 Uhr. Mit ihrer uns vertrauten, warmen Stimme spricht sie drei wohlformulierte Worte: „Zug fährt ab“. Jetzt, lieber Hörer, liebe Hörerin, beginnt Ihre Reise ...

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