Neues Theater in der Scala

ÖNB

Kultur-Stillstand

Theaterschließungen in der Geschichte

Bis voraussichtlich 18. Jänner steht der Theaterbetrieb still, danach sollte zumindest ein tageweiser Spielbetrieb möglich sein. Mehr als die Hälfte des Jahres 2020 blieben also die Vorhänge zu und die Publikumsreihen leer. Ö1 nutzt diese Zäsur für einen Blick in die Geschichte: Seit der Frühen Neuzeit waren Theaterhäuser immer wieder von längeren, verordneten Schließungen betroffen, sei es durch Kriege, Seuchen oder andere Umstände.

Immer wieder wurden ab der Frühen Neuzeit anstelle des Bühnenspektakels religiöse Bußakte auf den Spielplan des öffentlichen Lebens gesetzt. Die Gründe dafür waren vielfältig: "Seuchen, Missernten, die unter dem Gesichtspunkt, dass das religiöse Empfinden Buße tun muss, damit diese Geißeln Gottes abgewendet werden können, Theater verunmöglicht hat", erzählt Stefan Hulfeld, Vorstand des Instituts für Theater-, Film und Medienwissenschaft an der Universität Wien und er nennt noch einen entscheidenden Anlass für solche betrübten Zeiten.

Monatelange Sperre der Hoftheater

"Im feudal organisierten Europa war der Tod eines Potentaten, einer Potentatin immer ein Grund, um ein, zwei, drei Monate nicht spielen zu können." Als etwa 1597 die Tochter des spanischen Königs Philipp II. starb, waren die Madrider Theater monatelang geschlossen, ebenso wie ein Jahr später nach seinem eigenen Tod. 1760 trauerte man von Mitte Februar bis Jahresende bei geschlossenem Vorhang um Königin Maria Amalia und 1788 für vier Monate theaterlos um König Karl III.

Maria Theresia

Ö1 Archiv

Maria Theresia 300

"Maria Theresia hat einige Kinder verloren; für die Sterbefälle wurde natürlich Trauer angeordnet. Das gab es auch noch im 19. Jahrhundert: Wie die Tochter von Elisabeth und Franz Joseph gestorben ist, die kleine Sophie, gab es auch eine Theatersperre", ergänzt die Theaterhistorikerin Elisabeth Großegger, Vize-Vorständin des Instituts für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Private- und Stadttheater gingen bankrott

"Dafür gab es jede Menge Schließtage. Für die kaiserliche Familie war oft das ganze Jahr ein Trauerjahr. Aber die Theater waren nur vom Sterbetag bis zum Begräbnistag geschlossen, und das war für die Hoftheater nicht schlimm, weil sie wurden ja weiter finanziert."

Anders die Situation der fahrenden Truppen und später der Privat- und Stadttheater, sagt Stefan Hulfeld: "Wenn da kein Geld reinkam, sind die Leute bankrottgegangen. Das stellte sich dann die Frage, wie sie wieder irgendwie auf die Beine kommen." Und Elisabeth Grossegger ergänzt: Es geht nicht nur um die Schauspieler, sondern es hängen noch viele andere von Theater ab - Tischler, Zulieferer. Die wurden in wirkliche Not gestürzt ... Auch heute sieht man ja, wie viel daran hängt."

Andere Wege wurden immer gefunden ...

Allerdings, so Stefan Hulfeld: "Solange das nicht in einem sehr kontrollierten Setting stattfindet, hat es immer eine Ausweichbewegung auf andere Formen gegeben. Akteurinnen und Akteure sind Menschen, die müssen grundsätzlich spielen und die finden auch irgendwelche Möglichkeiten, das zu tun." Und er verweist auf das Theaterverbot durch die Puritaner in England.

Schauspiel als krimineller Akt

Von 1642 bis 1660 wurden alle öffentlichen Bühnenstücke untersagt, Schauspiel als krimineller Akt eingestuft und Zuschauen unter Strafe gestellt. Zumindest offiziell. In England ist damit nur das institutionalisierte Theaterleben zum Erliegen gekommen. Im privaten Bereich ging der Spielbetrieb weiter, zumal der Adel meist eigene Theatergruppen hatte.

Theater Hamakom

Kulturjournal-Serie

Vorhang zu - Bühne frei

Eine Gepflogenheit, die auch in Spanien in den genannten Trauermonaten exzessiv zelebriert wurde: Puppen- und Schattentheater, Privatkonzerte oder Tanzvorführungen in privaten Häusern sprossen aus dem Boden und erfreuten sich regen Zuspruchs. Man engagierte berühmte Sängerinnen und - ohnehin gerade arbeitslose - Schauspielstars und etablierte die Häuser allmählich als vollwertige Spielstätten mit zwei Aufführungen pro Tag.

Mitmenschen als potentielle Gefahr

Auch höfische und religiöse Zeremonien wurden in Zeiten geschlossener Theaterhäuser mit auffallend vielen Spielhandlungen und theatralen Gesten angereichert. Stefan Hulfeld: "Das Theatrale reicht ja sehr stark in das Gesellschaftliche hinein - und hat eine Art Keimzelle im Vorspielen und Zuschauen, was im alltäglichen Sozialen passiert." Daraus habe sich dann eine Kunstform entwickelt.

Etwaige Parallelen zur Theatralität und Inszenierung aktueller Corona-Pressekonferenzen seien hier ausgespart. Die genannten Ausweichmanöver beobachtet Stefan Hulfeld heute vor allem im digitalen Raum. Und er zieht auch abseits des Theaterlebens historische Parallelen. "Wenn man sich Berichte über die Pest in London anschaut", als täglich auf Zahlen gestarrt wurde, Menschen in ihren Wohnungen festgehalten wurden, wie Menschen aufs Land flüchten. "Oder auch diese Grundkonstellation, dass jeder im Mitmenschen eine potentielle Gefahr sieht; die können wir auch in literarischen Zeugen rund um diese Seuchen feststellen und erkennen uns in unserer heutigen Situation auch."

Diskussion verläuft ähnlich wie 1918

"Die Diskussion läuft ähnlich wie 1918", erzählt die Theaterhistorikerin Elisabeth Grossegger über die Spanische Grippe, die 1918 eine ohnehin vom Krieg erschütterte Gesellschaft heimsuchte. "Nachdem die Todeszahlen in Wien so gestiegen sind, hat der Landessanitätsrat vorgeschlagen, dringend alles zu sperren. Und wollte das vom 21. Oktober bis 5. November machen. Aber schon am ersten Tag der Sperre haben sämtliche Theaterdirektoren gesagt, das geht nicht. Sie haben sich so weit eingebracht, dass sie eine vorgezogene Wiedereröffnung erreicht haben." Begleitet von Diskussionen und Argumenten, die erstaunlich vertraut wirken: Die Straßenbahnen sind viel gefährlicher, geistige Nahrung. Und doch gibt es einen gravierenden Unterschied, so Hulfeld: Menschen der Neuzeit hatten mit Seuchen wesentlich mehr Erfahrung.

Geblieben ist über die Jahrhunderte außerdem eine spürbare Sehnsucht der Bevölkerung nach Theater, die sich etwa auch gegen Ende des Zweiten Weltkriegs offenbarte. Die russischen Befreier haben im April 1945 angeordnet, dass von einem Tag auf den anderen gespielt werden muss. Da das Burgtheater zerstört war, musste man auf das Ronacher ausweichen. Elisabeth Großegger: "Man hatte keine Dekorationen und kein Ensemble, da niemand in Wien war. Gespielt wurde vor schwarzen Vorhängen, denn anders ging es nicht. Aber es wurde sofort angeordnet - und die Theater waren dann voll". Ein Szenario, das sich hoffentlich auch 2021 wiederholen wird.

Service

ÖAW - Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, Elisabeth Großegger
Uni Wien - Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Stefan Hulfeld

Gestaltung