Aufgeschlagenes Buch

ZOBL SCHNEIDER

Fotografien und Fragmente über das Arbeiten

Company

In der Rubrik "Das Buch als Kunst" werden in Ö1 von Künstlerinnen und Künstlern konzipierte, zusammengestellte, herausgegebene und manchmal selbst gestaltete Bücher in die Auslage gestellt, die es verdienen, gesehen und gelesen zu werden.

Den Anfang macht der Foto-Text-Band „COMPANY“ des Künstlerduos Beatrix Zobl und Wolfgang Schneider, der ihre über zehn Jahre andauernde Beschäftigung mit dem Themenkomplex Arbeit anhand eines metallverarbeitenden Betriebs abschließt. Es wurde 2019 mit dem Staatspreis Schönste Bücher Österreichs ausgezeichnet und unlängst mit dem Deutschen Fotobuchpreis.

O.T. (Sekretärinnen), COMPANY, 2007-2009

ZOBL SCHNEIDER

O.T. (Sekretärinnen), COMPANY, 2007-2009

Das Buch als Kunst

Für Künstlerinnen und Künstler sind Bücher geeignete Medien, um ihre praktischen Arbeiten auch außerhalb von Ausstellungsräumen zu präsentieren und um diese theoretisch zu fundieren. Oft ist es jahrelange künstlerische Forschungsarbeit, die in diesen von Künstlerinnen und Künstlern Publikationen mündet. Dennoch gibt es kaum breitgestreute Präsentationsmöglichkeiten für solche Bücher – sind sie einmal im Rahmen eines öffentlichen Events vorgestellt, dann ist die öffentliche Aufmerksamkeit rasch verblichen. Sofern sie denn überhaupt jemals zuteil wurde. Dem soll entgegengewirkt werden, indem in „Diagonal stellt vor“ 2021 monatlich ein „Buch als Kunst“ betrachtet und rezensiert wird. Zu Wort kommen nicht nur die Künstlerinnen und Künstler, sondern auch jene Protagonistinnen, die im Hintergrund am Zustandekommen und der Distribution des Buches beteiligt sind: Autorinnen, Grafikdesigner, Drucker, Verlegerinnen oder Buchhändler.

Embedded artists

Zum Thema Arbeitswelt hatten Zobl/Schneider bereits einige Zeit recherchiert, ehe sie ab 2007 Gelegenheit bekamen, einen exemplarischen Betrieb in Berndorf im niederösterreichischen Industrieviertel, sozusagen als „embedded artists“, intensiv kennenzulernen: Von der Werkshalle über die Administration bis zur Chefetage standen ihnen alle Türen offen, um zu fotografieren, zu beobachten und zahlreiche Gespräche mit den Arbeitern und Mitarbeitern zu führen. „Fotografien und Fragmente über das Arbeiten“ ist der Untertitel des Buches, das im Verlag De Gruyter in der Edition Angewandte erschienen ist. Grafisch gestaltet wurde es – in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin und dem Künstler – von Studio Beton.

O.T. (Chefzimmer), COMPANY, 2007-2009

ZOBL SCHNEIDER

O.T. (Chefzimmer), COMPANY, 2007-2009

Ikone der Industriegeschichte

Berndorf hat eine lange und interessante Geschichte als Industriestandort. 1843 wurde die Berndorfer Metallwarenfabrik gegründet; aus der ganzen Monarchie zogen Arbeiter zu, und die nahegelegene Weltstadt Wien war ein ertragreicher Absatzmarkt für das erstmals in Massenfertigung produzierte Besteck. Unter Arthur Krupp wurde das Unternehmen um die Jahrhundertwende weiter ausgebaut – aber auch die Gesundheits- und Bildungsinfrastruktur des florierenden Standortes Berndorf. Mit dem Zerfall der Monarchie brach die Kundschaft weg, die Geldentwertung setzte dem Unternehmen zu – und Arthur Krupp, Erfinder der Arbeiterstadt und feudaler Arbeitgeber und Mäzen, verlor seine lokale Strahlkraft. 1938 wurde die Fabrik in den Krupp-Konzern eingegliedert; im Zweiten Weltkrieg diente sie der NS-Rüstungsindustrie. 1946 wurde sie verstaatlicht, und später wurden die einzelnen Betriebe wieder privatisiert und ausgegliedert.

Vor dieser bewegten Unternehmensgeschichte forschten Beatrix Zobl und Wolfgang Schneider über die Arbeitswelt heute, über das Unternehmen als Keimzelle des Kapitalismus, wie sie sagen, und über den Wandel des Arbeitsbegriffes. Für Zobl/Schneider ist das Buch der Abschluss einer jahrelangen Arbeit, die bisher in Form von Kunstvideos, Fotografien, Soundinstallationen und sogar einer im Berndorfer Stadttheater aufgeführten Revue öffentlich präsentiert worden war.

O.T. (Werkhallensuprematismus), COMPANY, 2007-2009

ZOBL SCHNEIDER

O.T. (Werkhallensuprematismus), COMPANY, 2007-2009

Papierenes Metall

In jenem Metallverarbeitungsbetrieb in Berndorf, in dem Zobl/Schneider künstlerisch gearbeitet und das Material für das Buch „COMPANY“ generiert haben, werden Edelstahlschwimmbecken gefertigt – aus empfindlichen Stahlplatten, die dort überall abgestellt sind und für Zobl/Schneider zu einem Leitmaterial wurden. Dieses massive, doch kontaktempfindliche Metall wollten sie mit dem spiegelnden Umschlagspapier zitieren: „Es hat ähnliche Eigenschaften, wie das wirkliche Metall, die spiegelnde Oberfläche ist ähnlich anfällig. Kaum packt man das Buch aus, hat man auch schon Fingerabdrücke oder Kratzer drauf“, sagt Wolfgang Schneider. Und Beatrix Zobl ergänzt: „Alle, die das Buch anschauen spiegeln sich darin – weil wir alle arbeiten und uns in Beziehung setzen müssen zum Arbeiten und zur Arbeitswelt.“

Mit Handwerkern, Konstrukteuren, Buchhalterinnen, Reinigungspersonal, Betriebsräten, Managern und Vorstandsmitgliedern haben Beatrix Zobl und Wolfgang Schneider einzeln Gespräche geführt, über ihre Tätigkeit, ihren Werdegang, ihren Tagesablauf und ihr Verständnis von Arbeit. Auch über unbezahlte Hausarbeit und bedingungsloses Grundeinkommen. Fragmente dieser Gesprächsprotokolle sind im Buch enthalten, aber auch Texte von Kunsttheoretikerinnen. Im Buch gibt es kein Vorwort, keine Einleitung oder Einführung in das Kunstprojekt – es geht gleich mit Fotostrecken los, die Textseiten verdichten sich gegen Ende des Druckwerks.

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Format für Fotos

Die Fotos im Kunst-Band „COMPANY“ sind in Schwarzweiß und in Mittelformat aufgenommen. Das gestrichene Papier gibt den Fotos im Buch ihre Tiefe. Sie zeigen Menschen, Raumansichten, Maschinen, eher seltener Objektdetails. Der sonderbaren, anrührenden Schönheit der Industrie kann man sich als Fotograf schwer enthalten, meint Wolfgang Zobl. Dennoch hätten sie an einer Distanz zwischen sich und den Arbeitenden, der Arbeit und den Arbeitsplätzen festgehalten.

„Die beiden haben das Format vorgegeben, weil sie sich viel mit dem Medium Fotobuch beschäftigt haben; und sie haben genau dieses Format für sich als geeignet gewählt, um den quadratischen Mittelformatbildern einen guten Grund, einen guten Platz zu geben“, sagt Oliver Hofmann vom Grafikdesignbüro Studio Beton, „wir haben das angenommen, und es hat sich als sehr dankbares Format herausgestellt.“ Das Format ist 21 x 24,5 cm, die Länge also etwas kleiner als A4. Es wurde eine einzige Schriftart in drei verschiedenen Größen verwendet. Die Schriftart Univers beschreibt Benjamin Buchegger von Studio Beton als vergleichbar mit der Helvetica, aber "eher die wärmere Schwester, mit leicht humanistischen Zügen.“

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Prozess des Blätterns

Drei Jahre haben Studio Beton in ständigem Austausch mit Zobl/Schneider an der Grafik des Buches „COMPANY“ gearbeitet. Die Fotos sind auf den Seiten einzeln und zentral platziert. Der Text auf den linken Seiten ist Englisch, jener auf der gegenüberliegenden Seite deutsch. Die Kapitel mit Titeln wie „Morgenroutine“, „Tauschgeschäft“, „Protest“ oder „Das System“ beginnen mit über die Doppelseite gezogenen Fotogrammen, die in Berndorf entstanden sind. Manchmal wird der Lesefluss unterbrochen, indem der Textblock auf der übernächsten Seite wiederholt ist, aber mit silberner Farbe unterlegt oder mit einem quadratischen Bild überlegt. Die repetitive Handlung des Umblätterns soll durch diesen Kunstgriff gestört und thematisiert werden, sagen die Gestalter Oliver Hofmann und Benjamin Buchegger, „durch das Innehalten wird der Prozess des Blätterns reflektiert und das Buch als Objekt wahrnehmbar.“

„COMPANY. Fotos und Fragmente über das Arbeiten“ von Beatrix Zobl und Wolfgang Schneider ist ein – aufgrund der Papiersorte – schweres und ein augenscheinlich schönes Buch. Weniger gefällig als Coffeetable-Fotobücher, aber eleganter, als man einem Buch über schwere körperliche Arbeit zunächst zumuten möchte. Seine Stärke legt das Buch erst durch die Benutzung offen: wenn es durchgeblättert, gelesen, seines Schutzumschlags entkleidet, durchgearbeitet wird; wenn das edle Cover Spuren des Gebrauchs ansetzt.

Service

„COMPANY. Fotografien und Fragmente über das Arbeiten“ von Beatrix Zobl und Wolfgang Schneider ist in der Edition Angewandte im De Gruyter Verlag erschienen.

Zobl/Schneider
Studio Beton

Gestaltung

  • Anna Soucek

Übersicht