Thomas Arzt

JOSEPH KRPELAN

Debütroman

"Die Gegenstimme" von Thomas Arzt

10. April 1938 - den Beweggründen für eine Gegenstimme in einem kleinen Dorf spürt der Dramatiker Thomas Arzt in seinem ersten Roman nach. Ein Nachhall, der bis heute wirkt.

Lange Jahre wurde er als Österreichs Nachwuchsdramatiker gefeiert und gespielt: Der oberösterreichische Autor Thomas Arzt. Seine Werke waren im Wiener Schauspielhaus und im Theater in der Josefstadt zu sehen, in Innsbruck und Graz und bei internationalen Festivals von New York bis Buenos Aires. Jetzt legt der 37-Jährige seinen ersten Roman vor: "Die Gegenstimme". Er spielt an einem einzigen Tag in einem kleinen oberösterreichischen Dorf - dem 10. April 1938, jenem Tag, an dem in Österreich über den sogenannten "Anschluss" ans Naziregime des Deutschen Reiches abgestimmt wurde.

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März 1938 im Ö1 Archiv

Palmsonntag, April 1938. Österreich stimmt per Volksabstimmung, pro forma und nachträglich für den längst vollzogenen Anschluss an Nazi-Deutschland. Die Wahlbeteiligung liegt bei 99 Prozent, die Zustimmung bei 99,7 Prozent. Die Wahl ist weder frei noch geheim, und damit auch nichts schiefgeht, ist am Stimmzettel der Kreis für das Ja deutlich größer als der für das Nein. Doch in einem kleinen oberösterreichischen Dorf, entscheidet sich einer dagegen zu stimmen: Karl Bleimfeldner, Student aus Innsbruck und Großonkel des Autors.

Warum stimmt der Großonkel dagegen?

"Das ist die Geschichte des Bruders meiner Großmutter. Den Karl hat es wirklich gegeben, er hieß auch Karl Bleimfeldner. Die Bleimfeldner Familie ist Teil meiner eigenen Familien-Geschichte. Als Kind hab ich es immer wieder gehört: Der Karl war der Einzige im Dorf, der dagegen gestimmt hat. Das hat immer ein bisschen nach Helden- und Widerstandsgeschichte geklungen. Das war sehr unüblich, weil aus einer Familie stammend, die sehr katholisch geprägt war und auch sehr angepasst in diesem Dorf gelebt hat. Ich habe den Karl selbst nie kennengelernt, aber über die Jahre versucht, mehr darüber herauszufinden und festgestellt, die Beweggründe und Hintergründe sind nicht wirklich bekannt."

Den Beweggründen spürt Thomas Arzt in seinem Roman nach. Ist es eine Trotzreaktion, will Karl etwas beweisen, macht er es für seine Familie, für seine Zukunft, aus Überzeugung oder aus Lust am Risiko. Eines ist sicher, eine reine Heldengeschichte ist es nicht gewesen, aber in seiner Recherche hat Arzt entdeckt, wieviel Gegenwärtiges im Vergangenen steckt, wieviel allgemeines im Spezifischen.

"Die Sätze von damals werden heute genau so wieder gesagt" Thomas Arzt

"Ich habe im Schreiben bemerkt, wie sehr Sätze von damals heute genau so wieder gesagt werden. Und hab dann versucht eine Gegenwartsschablone drüber zu legen. Vor allem auch durch die Sprachbehandlung. Dass es keine Nacherzählung über das Dorf ist, sondern ein Nachhall, der bis heute wirkt."

Auch den anderen Dorfbewohnern gibt Thomas Arzt eine Stimme, der zweifelnden Bürgermeister-Gattin oder dem rechtschaffenen Dorfgendarmen, dem zurückgebliebenen Sepp oder dem eifersüchtigen Bruder, der aufbegehrenden Dorfjugend und den resignierten Alten.

Rhythmisch, stolpernd und doch poetisch

"Es gibt da diesen einen Satz, den ich sehr zentral finde: Man stimmt nicht gegen eine Politik da draußen, die mich eigentlich nicht wirklich etwas angeht, sondern man stimmt immer gegen das Dorf, und ich muss am nächsten Tag mit dem Dorfleben zurechtkommen. Das ist ein großer sozialer Druck, den man nicht unterschätzen darf - und da muss man sich auch immer an der eigenen Nase nehmen, auch aus heutiger Perspektive, wenn man politische Entscheidungen trifft, dass man auch gegen den Strom schwimmen darf und sich nicht vor der Auseinandersetzung fürchtet."

Die Sprache von Thomas Arzt ist nahe am Mündlichen, am Österreichischen, am Dialektalen. Fehlerhaft und doch rhythmisch, stolpernd und doch poetisch.

Aus meiner Theaterschreibweise entstanden

"Es ist auch etwas, das aus meiner Theaterschreibweise entstanden ist. Das Wort, das laut gesprochen eine andere Spannung erzeugt, und auf andere Wörter trifft und das nicht das Erwartbarste liefern, wo plötzlich das Verb fehlt, und man das Gefühl hat, da fehlt etwas und dann aber schon gleich weiterlesen. Am ist das ein fruchtbarer Weg gewesen - bin gespannt, was die Leserschaft dazu sagt."

Die Leserschaft darf sich über ein gelungenes Debüt freuen, das Theaterpublikum muss sich noch ein wenig gedulden. Die in der Josefstadt geplante Uraufführung von Thomas Arzts neuem Stück "Leben und Sterben in Wien" wird vermutlich auf die kommende Saison verschoben.

Service

Thomas Arzt, "Die Gegenstimme", Roman, Residenz Verlag

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