Frau verwendet ein Smartphone

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Onlinemedien

Plötzlich sind sie Chefredaktion

Es sind keine einfachen Zeiten für die Medienbranche. Aber das Leben verlagert sich in der Pandemie noch schneller ins Netz, und daher entwickelt sich der Online-Journalismus rasant. So sind in der Krise neue digitale Projekte entstanden, etwa "Die Chefredaktion" auf Instagram und #Hashtag, Online-Verlag und Agentur. Sie zeigen den Alten im Geschäft, was die Jungen vom Journalismus erwarten. Und was macht die Regierung? Sie fördert die Etablierten.

Weiß, männlich, alt - so oder so ähnlich sehe es in den Führungsetagen vieler Medienhäuser aus, meint Journalistin und Buchautorin Melisa Erkurt. Als Gründerin des Instagram-Mediums "Die Chefredaktion" steuert sie nun dagegen. Ihre Zielgruppe: jung und möglichst divers. Erkurt will vor allem jenen eine Stimme geben, die bisher diskriminiert wurden, also Menschen anderer Herkunft und Hautfarbe, Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierungen oder auch Menschen mit Behinderung.

Sehen, wie Geschichten zustande kommen

"Die Chefredaktion" postet zu aktuellen Themen auf Instagram, junge Protagonistinnen erklären Sachverhalte, beantworten Fragen. Einmal pro Woche ist eine Videoreportage geplant. Junge Menschen würden vom Journalismus viel mehr Hintergrund erwarten: "Sie wollen verstehen, wie kommt eine Geschichte zustande, was ist überhaupt Journalismus, wie kommen die Redakteure in die Redaktion? Sie wollen das Gesicht der Journalisten haben, sie wollen sehen, wer ist das."

Journalismus, der viel persönlicher wird

Journalismus wird in dieser Definition also viel persönlicher, auch Meinungen der Journalisten und Journalistinnen haben da mehr Raum. Erkurt versteht das so: „Wir sind Aktivistinnen für Empathie.“ Sie sieht daher auch kein Problem mit der Objektivität, weil man transparent mache, wofür man stehe. Die 30-jährige Erkurt hat lange für "Das Biber" gearbeitet, ein Magazin für Menschen mit Migrationshintergrund, das Projekt kommt nun auch aus dessen Newcomer Netzwerk. Nach einem Monat hat "Die Chefredaktion" auf Instagram 13.000 Abos, finanziert wurde das Projekt mit 200.000 Euro von der privaten Mega-Bildungsstiftung. Auch auf Geld aus der Medieninitiative der Stadt Wien hofft die Redaktion, und man soll künftig auch dafür spenden können.

Ein Brutkasten mit dem Namen #Hashtag

Noch in den Startlöchern steckt #Hashtag, ein Projekt des früheren Datum-Chefredakteurs Stefan Apfl. Er hat einen Digital-Verlag und eine Agentur für Online-Content aufgebaut. #Hashtag ist also keine Redaktion, sondern will andere groß machen, die im Netz Journalismus betreiben oder "Content" produzieren wollen. "Wir verstehen uns nicht als Medium, wir verstehen uns als Inkubator. Wir kooperieren mit Menschen, die im Netz ihr eigenes Ding durchziehen. Jeder ist sein eigener Show-Case, sein eigener Business-Case", erklärt Apfl.

Geld verdienen, und das von Anfang an

Die Agentur #Hashtag unterstützt mit Know-how, Netzwerk, Technik. Verdient werden soll durch Beratung und Entwicklung der Formate, wenn diese dann vermarktet werden, verdient #Hashtag ebenfalls mit. So ist der Plan. Die Kunden sind Medien, aber auch Unternehmen, die Online-Content nicht selbst produzieren wollen oder können. Apfl sagt, er sei schon lange Journalist, aber nun "zum ersten Mal in einem wachsenden Markt". Wer seine Kunden sind, will er noch nicht verraten, aber losgehen soll es im April. Finanziert wird #Hashtag mit 115.000 Euro durch die Wiener Wirtschafsagentur, also die Stadt Wien, und aus privaten Mitteln. "Förderungen sind eine ganz tolle Sache", meint Apfl - aber man müsse von Anfang an auch ein Geschäftsmodell haben.

Belohnt Digitalförderung die Trägheit?

An einem Geschäftsmodell im Internet kiefeln große Medienhäuser schon lange. Und jetzt in der Krise haben sie von der Regierung für die digitale Transformation allein heuer 34 Millionen Euro an Digitalförderung in Aussicht gestellt bekommen, das Gesetz ist noch bis 12. März in Begutachtung. Online-only Projekte wie "Die Chefredaktion" oder #Hashtag unterstützt die Bundesregierung mit der Digitalförderung nicht. Geld gibt es da eher von der Stadt Wien.

Daniela Kraus, Generalsekretärin des Presseclubs Concordia, kritisiert, dass dadurch Trägheit belohnt werde. "Die Digitalförderung verfestigt bestehende Marktstrukturen. Im schlimmsten Fall bekommen die, die jahrelang nicht in digitale Innovation investiert haben, eine Belohnung."

Wohnzimmer-Erklärerin beim "Standard"

Von den Corona-Förderungen der Bundesregierung profitieren etwa Zeitungen. Manche machen etwas daraus. "Der Standard" zum Beispiel hat mit dieser Hilfe voriges Jahr ein Web-Video-Team mit dreizehn Leuten finanziert, sagt Verena Mischitz. Die 23-jährige Moderatorin erklärt in YouTube-Videos komplizierte Sachverhalte in einfacher Sprache - ganz im Pandemie-Look, mit Teetasse in der Hand vor Wohnzimmerkulisse. Themen sind etwa: Was macht die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft, was ist ein Untersuchungsausschuss und warum reden jetzt alle darüber. "Ich finde, dass Nachrichten nicht so ablaufen müssen, wie wir sie seit Jahrzehnten machen. Die Kriterien bleiben ja gleich, es geht um Faktenchecks und Qualität, aber die Präsentation ist anders", sagt Mischitz. Sie will Begeisterung für Politik schaffen, und dazu gehöre eben auch, Grundlagen zu erklären, ohne Scheu vor der Vereinfachung

Öffentlich-rechtlicher "Funk"-Kanal als Vorbild

Es gebe viel News-Angebot für ältere Menschen, aber mit den Jüngeren werde nicht gesprochen, und es werde zu wenig erklärt, meint die Kärntnerin. Sie übernimmt diese Rolle für den "Standard", der dadurch neue junge Leser und Leserinnen an sich binden will. Hier zählt Video, nicht das gedruckte Wort. Beworben wird über Instagram. Ein frischer Blick auf alte Themen soll neues Publikum bringen und helfen, den Journalismus zu erneuern. Es ist auch ein weiterer Schritt in Richtung Medienhaus für Zeitungen, die auf diesem Weg relevant bleiben wollen.

Mischitz Vorbild ist Mai Thi Nguyen Kim, die Wissenschaftsjournalistin, die mit ihren Corona-Erklärvideos im Netz letztes Jahr zur deutschen Journalistin des Jahres gewählt wurde. Sie berichtete auch auf dem Online-Jugendkanal "Funk" der öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF. "Funk" dient den jungen Medienmachern – da sind sich Mischitz, Erkurt und Apfl einig - als Vorbild. Nur Nachahmen bringe allerdings nichts, meinen sie, sie wollen mit eigenen journalistischen Ideen junge Menschen gewinnen - auf ihre Weise.

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