Gernot Blümel

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Berichterstattung über Verfahren

Die Angst vor den ikonischen Sätzen

Eine Hausdurchsuchung beim amtierenden Finanzminister Gernot Blümel von der ÖVP wegen Bestechungsverdachts, die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft sieht einen möglichen Zusammenhang mit der Übernahme der ÖVP durch Sebastian Kurz im Jahr 2017. Da ist in der Kanzlerpartei natürlich Feuer am Dach, der ÖVP-Chef und Bundeskanzler persönlich reitet schwere Attacken gegen die Korruptionsermittler. Einschläge treffen auch die Medien, die künftig nicht mehr direkt aus Ermittlungsakten zitieren dürften, wenn es nach der ÖVP geht. Ikonische Sätze wie das "Tu es für mich" aus einem Blümel-SMS blieben dann im Akt vergraben.

"Das was wir wollen, ist, dass Originalkopien und Originalzitate aus den Akten nicht mehr veröffentlicht werden dürfen", das ist die Position der ÖVP, vorgetragen in der ORF-Sendung "Im Zentrum" vom Abgeordneten und Rechtsanwalt Klaus Fürlinger. Die Grünen haben vorerst einmal abgeblockt, man sehe keinen Änderungsbedarf. Das muss aber noch nichts heißen. Die ÖVP will die deutsche Regelung, wo vor der Verhandlung in einer Strafsache nur umschrieben werden darf, was in den Akten steht. Direkte Zitate sind verboten. Michael Nikbakhsh vom Nachrichtenmagazin "profil" sagt dazu: "Sind mittlerweile ikonische Sätze wie 'Wo war mei Leistung' und 'Tu es für mich' wesentliche Passagen aus Ermittlungsakten?" Das ist für den Investigativ-Journalisten offen.

Sebastian Kurz

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Von "Wo war mei Leistung?" bis "Tu es für mich"

"Wo war mei Leistung?" ist ein legendäres Zitat von Walter Meischberger, der ehemalige FPÖ-Politiker ist mittlerweile im BUWOG-Prozess nicht rechtskräftig wegen Korruption verurteilt. Der Kabarettist Florian Scheuba hat den Satz vor genau zehn Jahren im Audimax der Universität Wien bei einer Lesung der Staatskünstler aus Abhörprotokollen vorgetragen. Die Buhlschaft für den Salzburger Jedermann 2021 nennt sich auf Twitter: Verena "Tu es für mich" Altenberger. Sie spielt damit auf ein Zitat aus dem Blümel-Ermittlungsakt an, das es zu rasanter Berühmtheit gebracht hat. Und genau das sei der ÖVP ein Dorn im Auge, vermutet die Wiener Medienanwältin Maria Windhager.

Keine legendären Zitate mit deutschen Regeln

"Diese Sätze leben genau von dieser Formulierung. Das würde nach deutschen Regeln bei Strafe nicht mehr zitiert werden dürfen, was ich für problematisch halte." Und Windhager weiter: "Ich denke, das ist auch die Intention. Um das geht es, weil ihnen das richtig wehtut. Sie wollen verhindern, dass solche Gesprächsverläufe veröffentlicht werden können." Die Öffentlichkeit habe aber ein Recht, von solchen Chats zu erfahren, die eine hohe Aussagekraft hätten. Ashwien Sankholkar von "Dossier", der mit einem Tweet den Beschuldigten-Status von Gernot Blümel öffentlich gemacht und damit die ganze Diskussion ins Rollen gebracht hat, findet auch: Es sei besser, authentisch zu informieren als Umschreibungen verwenden zu müssen.

Journalisten gegen "durchsichtige" ÖVP-Pläne

Grundsätzlich könnte er auch mit der deutschen Regelung leben, so Sankholkar: "Es würde meine Arbeit erschweren, aber nicht unmöglich machen." Auch Michael Nikbakhsh weist darauf hin, dass Journalisten in Deutschland Wege gefunden hätten, mit den Einschränkungen umzugehen. "Was mich aber daran stört, ist, dass die Debatte jetzt geführt wird. Jetzt, wo gegen ÖVP-Politiker ermittelt wird, jetzt will die ÖVP, dass wir nicht mehr aus Gerichtsakten zitieren. Das ist mir zu durchsichtig." Die Investigativ-Journalistin Renate Graber vom "Standard" sieht das ähnlich. Sie ist entschieden gegen die von der ÖVP ins Spiel gebrachten Einschränkungen.

Berichterstattung, damit nichts im Sand verläuft

Die Berichterstattung über staatsanwaltschaftliche Ermittlungen habe auch schon verhindert, dass Fälle im Sand verlaufen, so Graber. Sie verweist auf den Birnbacher-Prozess in Kärnten, wo es um Korruption in Zusammenhang mit dem Verkauf der Hypo-Anteile des Landes an die Bayern LB gegangen ist, die ÖVP und Haiders BZÖ haben mitgeschnitten. Zweimal wurden die Ermittlungen eingestellt, erzählt Renate Graber: "Und eben weil weiter darüber berichtet wurde, ist dann wieder ermittelt worden, der Beschuldigte hat ein Geständnis abgelegt, und im dritten Anlauf kam es zu einem Verfahren." Das 2014 vor dem OGH mit Haftstrafen für den Steuerberater Dietrich Birnbacher und den früheren ÖVP-Landeschef Josef Martinz endete, Jörg Haider war da schon lange tot.

Wie die Ermittlungsakten zu Journalisten kommen

Als Ashwien Sankholkar die Akte Blümel öffentlich bekannt machte, kam der bekannte Reflex, dass es undichte Stellen in der Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft geben müsse. Auch wenn es unlogisch ist, dass die WKStA ihre eigenen Ermittlungen torpediert. Den Leak-Vorwurf hat vor einem Jahr schon Bundeskanzler Sebastian Kurz erhoben - die Ermittlungen dazu wurden von der Staatsanwaltschaft Wien ausgerechnet dieser Tage eingestellt. Kurz hatte keine Beweise, und sonst auch niemand. Michael Nikbakhsh sagt dazu: "Ich kann nur für mich sprechen, aber beim Augenlicht meiner Kinder: Ich habe noch nie einen Akt von der Staatsanwaltschaft erhalten." Es gebe in Österreich ganz legale Möglichkeiten, Akten weiterzugeben – für Beschuldigte und Opfer bzw. deren Anwälte. Die haben Akteneinsicht, und die könne man ihnen auch nicht nehmen, sonst breche das ganze Gefüge auseinander, betont die Medienanwältin Maria Windhager.

19 Beschuldigte plus ein U-Ausschuss

Im konkreten Fall des WKStA-Berichts zu Gernot Blümel hätten 19 Beschuldigte, deren Anwälte und der komplette Ibiza-Untersuchungsausschuss Zugriff darauf gehabt – deshalb habe er das auch via Twitter öffentlich gemacht, sagt "Dossier"-Journalist Sankholkar. "Es ist einfach von öffentlicher Bedeutung und Relevanz, wenn der Finanzminister der Republik Beschuldigter im momentan wohl prominentesten Strafverfahren dieses Landes ist." Zudem würden Qualitätsmedien ohnehin immer dreimal überlegen, ob sie aus Ermittlungsakten zitieren. Es genüge nämlich nicht, am Ende eines Artikels "Es gilt die Unschuldsvermutung" zu schreiben, so "profil"-Redakteur Michael Nikbakhsh. Den Beschuldigten müsse Zeit und Raum gegeben werden, sich zu den Vorwürfen aus dem Akt zu äußern. Dann brauche es auch diesen Satz von der Unschuldsvermutung nicht, der längst in sein Gegenteil verkehrt und zur Lachnummer verkommen sei.

Wenn eine Vorwurfslage schärfer rüberkommt

Nikbakhsh grundsätzlich: "Wir müssen uns als Journalistinnen und Journalisten auch immer wieder neu an der Nase nehmen und nachdenken, wie verantwortungsvoll wir mit Akteninhalten umgehen. Da sind wir oft in Grauzonen unterwegs, weil eine Vorwurfslage in einem Medienbericht oft schärfer rüberkommen kann, als sie in dem Akt gemeint war." Windhager schließt sich dem an. Entscheidend sei, dass Journalisten mit den Informationen aus Ermittlungsakten sorgsam umgehen. Das gebiete ja auch das Mediengesetz, das Strafen für die Verletzung des Persönlichkeitsschutzes vorsieht. Wenn man etwas verschärfen wolle, dann könnte man hier ansetzen, nicht beim Strafrecht, so Windhager. Allerdings hat der Boulevard mit einem schärferen Medienrecht keine Freude, und die Politik weiß das.

Am Ende zitierte der Kanzler selbst aus Akten

Kanzler Kurz hat diese Woche zur Überraschung vieler Journalisten übrigens eilig zu einem Hintergrundgespräch im Kanzleramt gerufen, um dort ausgerechnet aus einem Ermittlungsakt der WKStA in eigener Sache – Ungereimtheiten um einen Mallorca-Aufenthalt - zu zitieren. Genau das will die ÖVP ja Journalisten verbieten. Fazit von "profil"-Redakteur Michael Nikbakhsh: "Da wird schon so ein Bodensatz an Haltung geschaffen: Man ist der Meinung, man muss ein bissl aufpassen auf diese wildgewordenen Staatsanwälte. Journalisten pflichten dem bei, und dann hat man schon so einen Konsens." Dazu die potenziellen handwerklichen Erschwernisse mit den Akten. "Und was haben wir dann? Einen Staat, der sich versteckt."

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