Briefkasten

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Newsletter

Die Entdeckung des Mail-Journalismus

Newsletter erleben einen neuen Boom. Mittlerweile hat praktisch jedes Verlagshaus mehrere Newsletter im Angebot. In der Branche redet man von der "ältesten Innovation, seit es Journalismus gibt". Tatsächlich war es nie einfacher, die Medienmarke digital zu pflegen. Das Potenzial geht aber weit darüber hinaus.

Mit der Ankündigung, ein Newsletter-Magazin zu starten, hat die Wiener Stadtzeitung "Falter" Anfang des Jahres überrascht. Eine Print-Wochenzeitung, täglich digital im E-Mail-Posteingang – kann das funktionieren? Ja, wenn es nach den Zahlen geht. Der "Falter.morgen" hat einen Monat nach dem Start mehr als 30.000 Abonnentinnen und Abonnenten. Das ist weit mehr als erhofft: "Wir sind eigentlich überrascht vom Erfolg", erzählt Martin Staudinger. Er leitet das Projekt gemeinsam mit Soraya Pechtl. Besonders die Öffnungsquote – also der Anteil jener, die das Mail auch tatsächlich öffnen und es nicht gleich in den Papierkorb schieben – sei mit 70 Prozent erfreulich. Im Vergleich zu anderen Medien-Newslettern ein erstaunlich hoher Wert, der sich noch nach unten einpendeln könnte.

Ein "Falter-Boulevard" auf dem Handy

Finanziert wird der "Falter.morgen" durch Anzeigen, von "kleinen, mittelständischen Unternehmen, die ihr Publikum zielgerichtet erreichen wollen", sagt Staudinger. Die schwarze Null sei in Reichweite. Inhaltlich soll das Mail-Magazin eine Art "Falter-Boulevard" sein: "Guter, qualitätsvoller, aber pointierter Journalismus. Die Leute sollen sich, wenn sie in die U-Bahn steigen, idealerweise überlegen: Mach ich mir die Hände schmutzig, in dem ich ein schlecht bedrucktes Papier nehme, oder schnappe ich mir mein Handy und lese ein paar Geschichten, die Anspruch haben aber trotzdem unterhaltsam sind?", so die Kampfansage.

Lockeres Naheverhältnis zum Publikum

Staudinger ist für den Newsletter vom Nachrichtenmagazin "profil" zu seiner alten Redaktions-Heimat "Falter" zurückkehrt. Als langjähriger Außenpolitik-Journalist weiß er jetzt die Vorteile von Newslettern zu schätzen. Man habe einen direkten Draht zu den Leserinnen und Lesern und bekomme enorm viel Feedback: "Es ist ein ganz nahes Verhältnis, ganz anders als ich es bis jetzt gewohnt war." Und man könne sich auch mal einen lockeren Ton leisten.

Satirische Hobby-Mails vom Chefredakteur

Das kann auch Christian Nusser bestätigen. Der Chefredakteur von "Heute" betreibt seinen satirischen Newsletter "Kopfnüsse" schon länger. Mittlerweile ist das Nusser-Mail für viele Innenpolitik-Aficionados zur Pflichtlektüre geworden. "Offensichtlich gibt es ein Bedürfnis nach politischer Hintergrundberichterstattung, die auch ein bisschen mit Humor daherkommt und nicht immer bierernst ist", sagt Nusser. Wobei die Gratwanderung schwierig sei und es neben all dem Lob auch immer wieder Beschwerden von der Politik gebe.

Rund 5.000 Abonnentinnen und Abonnenten lesen Stand Herbst 2020 mit. Die Lesezeit beträgt durchschnittlich beachtliche 25 Minuten, sagt Nusser, der seinen Newsletter als "Hobby und Entspannung" beschreibt, als Abwechslung zu den kurzen Texten in seiner Zeitung. Geld macht „Heute“ mit dem Politblog des Chefredakteurs aber nicht. Werbung sei derzeit noch keine geschaltet, es gehe mehr ums Image, sagt Nusser, womit er wohl den Kern vieler journalistischen Newsletter trifft.

Mehr als nur Markenpflege im Posteingang

Denn Markenpflege und Prestige sind in den meisten Fällen ausschlaggebend, sind Newsletter in Österreich doch bisher vor allem als zusätzlicher Ausspielkanal meinungsstarker Chefredakteure aufgefallen. "Kurier", "Presse", "Kleine Zeitung", "Vorarlberger Nachrichten" – überall hauen die Chefredakteurinnen und Chefredakteure regelmäßig in die Mail-Tasten.

Dabei steckt viel mehr Potenzial drinnen, sagt der Digitalexperte von der "Süddeutschen Zeitung", Dirk von Gehlen. Spannender und nachhaltiger sei etwa die Möglichkeit, mit Newslettern Bedürfnisse zu befriedigen und Zielgruppen punktgenau anzusprechen: "Du möchtest jeden Tag diese Information speziell auf dich zugeschnitten haben? Dann bestell unseren Newsletter." Wenn man das gut mache, sei das auch ein Bezahlmodell, sagt von Gehlen, der selbst für die "SZ" einen Lauf-Newsletter schreibt.

Finanziell und technologisch unabhängig

Für Von Gehlen ist der Hype um Newsletter absolut berechtigt. Er schwärmt von der Technologie, die es erlaube, einen Journalismus zu betreiben, der unabhängig ist von den Algorithmen der großen Sozialen Netzwerke wie Facebook oder Instagram. Sie könnten immerhin von einem Tag auf den anderen entscheiden, Inhalte abzudrehen oder kaum mehr auszuspielen. Newsletter machen das nicht: "Mail ist eine Technologie, die vollkommen unabhängig von Plattformen ist, die auf einem alten Android-Gerät genauso funktioniert wie auf einem neuen iPhone, die völlig unabhängig von der Bandbreite, zeitunabhängig empfangbar und später lesbar ist." Das Internet als großer, barrierefreier Raum zur Vernetzung.

Chance für Freie mit Expertise und Namen

Besonders freie Journalistinnen und Journalisten hätten das erkannt. Immer mehr von ihnen gibt es, die großen Medienhäusern den Rücken zukehren und stattdessen einen Abo-Newsletter anbieten. Ein paar Dutzend zahlender Leserinnen und Leser machen es möglich. Fachwissen und ein bekannter, etablierter Name schaden ebenso wenig, wie das Beispiel des US-Investigativ-Journalisten Glenn Greenwald zeigt. Plattformen wie Substack oder Steady bieten die nötige Infrastruktur. Von den Abo-Preisen bekommen sie dafür ein Stück.

Überleben mit gutem inhaltlichem Konzept

Offen ist, ob sich mit Newslettern für Medien eine Herausforderung lösen lässt, die besonders drängend ist: Wird auch ein jüngeres Publikum angesprochen? Oder ist das doch mehr auf jenen Plattformen zu finden, von denen sich die Medien jetzt emanzipieren wollen? Die Newsletter-Macherinnen und -Macher glauben jedenfalls nicht, dass der Hype so schnell verschwindet, sondern dass das Interesse trotz potenzieller medialer Übersättigung bestehen bleibt. "Um aus der Masse herauszustechen, braucht es ein Konzept dahinter, und das ist der Schlüssel, ob ein Newsletter funktioniert oder ob er nervig ist", sagt Veronika Dolna von der "Kleinen Zeitung", die den Newsletter-Ableger der "Kleinen" für die Hauptstadt - das "Wien-memo" – mitaufgebaut hat. Auch Soraya Pechtl vom "Falter" ist überzeugt: "Inhalt setzt sich durch."

Übersicht