Philipp Hauß

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Das Burgtheater in Ö1

Im Hören ist alles schon da

Burgschauspieler Philipp Hauß über das "visuelle" Medium Radio.

Wenn ich als Schauspieler für das Radio arbeite, steht zu Beginn erst einmal die Reduktion. Die Gesamtheit der Darstellung muss durch das Nadelöhr des Mikrofons passen. Eben dieses ist gleichzeitig ein Vergrößerungsglas, jeder Wackler, jede leere Silbe, etwas, was sich auf der Bühne verspielt, wird hier deutlich hörbar. Natürlich kann man eingreifen, kann zusammenschneiden, kann wiederholen, doch das sind nur Hilfsmöglichkeiten. Um ein Sprechen, das im Moment denkt und darin klar ist, kommt man nicht herum.

Diese Ausschaltung der anderen Sinne kann einen zu dem Irrglauben verleiten, dass Radio ein rein akustisches Medium sei. So wird es ja auch eingeordnet, und für den bloßen Vorgang, wie die Information vom Produzenten zum Rezipienten gelangt, mag das auch stimmen. Die Vorstellung ist, dass das Ohr den Klang wahrnimmt, das Gehirn das Gehörte einordnet und es dann, im besten Fall, als eine sinnliche Erfahrung erlebt, zum Beispiel - wenn es sich um ein Hörspiel handelt - in der Vorstellung Gesichter, Körper, einen Ort ergänzt und somit in eine Situation eintaucht. Auch wenn es sich dabei um einen fließenden Vorgang handelt, hieße es dennoch, dass das Akustische zuerst da ist und dann die Vorstellung folgt.

Die Gesamtheit der Darstellung muss durch das Nadelöhr des Mikrofons passen

Doch ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Das Akustische ist nie allein da. Es wäre sogar eine unglaubliche Verstandesanstrengung nötig, um das Akustische als einen Sinn zu extrapolieren. Denn - und ich glaube, die Erfahrung hat jeder Radiohörer, jede Radiohörerin schon gemacht - wir können uns eine Stimme ohne Körper, ohne Ort, ohne ein komplettes Bild gar nicht vorstellen. Einen Klang ohne Ursache auch nicht. Es wird also nichts ergänzt, was durch einen akustischen Reiz nur unvollständig abgebildet wird, vielmehr ist im Hören alles schon da.

Akustischer Reiz trifft auf Raum

Hören ist immer synästhetisch. Der akustische Reiz trifft auf einen Raum, der in unserem Inneren von Anfang an gegeben ist. Wir erleben unseren eigenen Resonanzraum. Es kommt auf die Fertigkeit der Radio- und Hörspielmacher/innen an, uns Material zu liefern, womit wir diesen Resonanzraum ausgestalten, wodurch wir dort einen Roman, ein Stück erleben.

In diesem Verlocken, sich im eigenen Raum zu verlieren, sich seine eigene Vorstellung zu machen, sind Radio und Theater verwandt. Wir können uns nicht entziehen, außer wir schalten das Radio aus oder verlassen den Theatersaal. Wir können uns nicht dagegen wehren, dass das, was wir hören oder erleben, etwas mit uns macht.

Gestaltung in der Rezeption

Ein Theaterstück lebt wie eine Radiosendung davon, dass der Rezipient, die Rezipientin irgendwie mit seinem oder ihrem eigenen Resonanzraum andocken kann. Und dass er oder sie gleichzeitig weiß, dass es den Ort eigentlich nicht gibt, dass nur dieser Ausschnitt existiert und sich dieser erst in der Rezeption ausgestaltet. Selbst das realistischste Bühnenbild kann nicht vergessen machen, dass rechts und links das Portal beginnt, und auch das in einem Tschechow-Stück auf der Bühne stehende Haus täuscht nicht darüber hinweg, dass hundert Meter weiter kein russisches Gut steht, sondern der Volksgarten beginnt oder der Wiener Eislaufverein.

Theater und Radio sind einander darin viel näher als beispielsweise Theater und Film. Film und Fotografie sagen ja gerade, dieses und jenes war tatsächlich dort im Moment der Aufnahme, jedes Detail bezeugt, dass es die Welt für einen kurzen Moment in der Wirklichkeit gab. Theater und Radio sind viel freier, sich auf das Vorstellungsvermögen des Rezipienten zu verlassen. Gleichzeitig sind sie verloren, wenn sie es nicht schaffen, den Weg dorthin zu finden.

Und was ist mit den digitalen Konkurrenten? Neue Medien verdrängen nicht, sondern - wie der Medienphilosoph Friedrich Kittler sagen würde - sie weisen anderen Medien "neue Systemplätze" zu. Das ist die Chance, dass solche älteren Medien wie das Theater und das Radio ganz bei sich ankommen können. Als Medien, die in und gemeinsam mit den Rezipienten Welten erzeugen.

Text: Philipp Hauß, Schauspieler und Regisseur, seit 2002 Mitglied des Burgtheater-Ensembles. Zu hören in "Das Ö1 Hörspiel", "Radiogeschichten" und "Du holde Kunst"

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