Gewaschene FFP2-Maske

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Servus TV

Das Recht, Unsinn zu senden

Servus TV hat in der Pandemie eine zweifelhafte Rolle eingenommen. In Sendungen und Dokumentationen werden die Sinnhaftigkeit der Impfung und die Anti-Corona-Maßnahmen immer wieder angezweifelt, auch vom Intendanten höchstpersönlich. Vor dem Hintergrund des geringen Impftempos gerät die Corona-Berichterstattung des Senders zunehmend in Kritik. Und die Impfkampagne der Regierung schafft es nicht dagegenzuhalten.

Dass Servus TV mit seiner Corona-Berichterstattung zum Sammelbecken für verschwörungs-affine Menschen geworden ist, ist kritischen Beobachterinnen und Beobachtern schon länger aufgefallen. Nun wird die Entwicklung des Senders von Red-Bull-Milliardär Dietrich Mateschitz erstmals von einer Studie der Universität Wien im Zuge des breit angelegten "Austrian Corona Panel Project" belegt.

Schlägt Profit den Gesundheitsschutz?

Wer sich auf Servus TV über Corona informiert, neige eher zur Verharmlosung des Virus, sei eher gegen Anti-Corona-Maßnahmen, glaube eher an Verschwörungstheorien und sei eher impf-skeptisch. Studienautor Jakob-Moritz Eberl spricht von Desinformation. Hinter der Anti-Corona-Linie vermutet der Medienwissenschafter schlicht wirtschaftliche Motive: "Der Profit wird über die Gesundheit der Gesellschaft gestellt."

Leise Kritik vom Gesundheitsminister

Auch Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) ließ im Ö1-Mittagsjournal, angesprochen auf die Gründe für die niedrige Impfquote, mit leiser Kritik aufhorchen. Es gebe Fernsehsender, "die den ganzen Tag rauf und runter spielen, dass das Impfen in Wirklichkeit sehr, sehr kritisch ist", sagte Mückstein Anfang September im Ö1 "Journal zu Gast". Benennen will Mückstein Servus TV aber offenbar nicht.

"Für immer der Querdenker-Sender"

Ob Menschen, die bereits impfskeptisch sind, Servus TV schauen oder ob Menschen, die Servus TV schauen, impfskeptisch werden - die alte Henne-Ei-Problematik - das ließe sich nicht genau sagen, es sei wohl beides, so Eberl. Eine höhere Impfquote hätte Österreich ohne Servus TV aber eher schon. Die Positionierung des Senders sei jedenfalls gewagt. Die Pandemie werde einmal enden, "aber Servus TV wird möglicherweise für immer der Querdenker-Sender, der Desinformations-Sender, der Virus-Verharmloser-Sender sein", sagt Jakob-Moritz Eberl von der Uni Wien.

Eberl mahnt eine "pandemische Verantwortung" ein. Servus-TV-Intendant Ferdinand Wegscheider wollte #doublecheck kein Interview geben. Zitat: "Wir kommentieren keine Gerüchte." Gemeint sind damit offenbar die wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Talk-Gäste ernten Hassnachrichten

Expertinnen und Experten, die in Sendungen von Servus TV auftreten, berichten von einer eindeutigen Agenda, die hinter den Kulissen zu spüren sei. Etwa die Kommunikationsberaterin Nina Hoppe, die im "Talk im Hangar" rund ums Thema Kinderimpfungen zu Gast war. Ihre Punkte durchzubringen, sei ihr nicht gelungen, weil es von der Moderationsführung nicht gewollt war, sagt Hoppe. Nach der Sendung habe sie Hassnachrichten erhalten.

Illusionsloser Rückblick auf "Corona-Quartett"

Auch Richard Greil, Internist am Uni-Klinikum Salzburg, erzählt von Anfeindungen nach Auftritten auf Servus TV. Greil war vergangenes Jahr mehrmals im "Corona Quartett", der mittlerweile abgesetzten Sendung, in der der umstrittene Arzt Sucharit Bhakdi – dessen Videos teilweise sogar von YouTube wegen Falschinformationen gelöscht wurden – der hofierte Star war. Greil versuchte damals, Bhakdi zu kontern. Die Ausgangslage sei aber schwierig gewesen: "Es ist völlig klar, dass dieser Sender oder dieses Format von der ersten Sekunde an eine ganz bestimmte Richtung gegen die Impfung verfolgt hat", sagt Greil heute.

"Servus" nicht unbeackert lassen

Das "Corona-Quartett" habe auch den Boden für impfskeptische Parteien aufbereitet. Der Mediziner warnt vor einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft. Trotz seiner Kritik sei es für ihn ein "Selbstverständnis", Aufklärung zu betreiben, auch direkt auf Servus TV. Auch Nina Hoppe findet es wichtig, der anderen Meinung nicht das Feld zu überlassen. "Das ist ja das, was Demokratie ausmacht. Sonst sind wir in einer Diktatur."

Auch Unsinn senden ist erlaubt

Die Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig sagt, prinzipiell gelte das Recht, "Unsinn zu senden". Zwar könne man darüber nachdenken, ob die 1,5 Millionen Euro Privatrundfunk-Förderung, die Servus TV voriges Jahr erhalten hat, gerechtfertigt sind, aber "zu einem gewissen Grad müssen wir aushalten, dass es Medien geben kann, die fernab der Wissenschaft kommunizieren".

Öffentlich-Rechtlicher wird angefeindet

Brodnig ruft die anderen Medien dazu auf, die von Servus TV verbreiteten falschen Fakten geradezurücken. Ausgerechnet für den ORF werde das aber immer schwieriger, weiß Medien- und Politikwissenschafter Eberl. Denn Untersuchungen der Universität Wien zeigten auch, dass Nicht-Geimpfte dem Öffentlichen-Rechtlichen weniger vertrauen als Geimpfte. Der ORF werde als "Elitenmedium" wahrgenommen und könne gewisse Menschen mit seiner Berichterstattung schlicht nicht mehr erreichen.

Private als Brückenbauer zur Parallelwelt?

Noch einen Fuß in der Tür zur Corona-Parallelwelt haben aber die anderen privaten Sender wie Puls4 oder ATV. Sie könnten als Brückenbauer dienen, sagt Jakob-Moritz Eberl. Als positives Beispiel nennt der Politikwissenschafter die Impflotterie von oe24, mit der Unentschlossene mit Sach- und Geldpreisen von der Impfung überzeugt werden sollen.

Impfkampagne weiter in den Startlöchern

Dagegenhalten müsste eigentlich auch die Impfkampagne der Regierung. Sie ist zuletzt aber mehr als ins Stocken geraten. Laut dem zuständigen Bundeskanzleramt soll die Kampagne in den nächsten Wochen verstärkt hartnäckige Fake-News rund um die Corona-Impfung aufklären. Ein guter Ansatz, sagt Ingrid Brodnig. Nur allgemein zu sagen "Lass dich impfen" reiche nicht, man müsse die konkreten Ängste der Menschen direkt ansprechen. Dabei helfen könnten auch Influencerinnen und Influencer.

"Wir haben Monate vergeudet"

Das hätte aber schon längst passieren sollen, so Brodnig: "Wir haben Monate vergeudet." Die Infografiken, mit denen die "Initiative Österreich impft" jetzt wirbt, findet Brodnig gut. Harte Kritik kommt auch vom Internisten Richard Greil. "Unzureichend" sei die Impfkampagne. "Im Verhältnis dazu ist erstaunlich, dass sich doch 60 Prozent bisher impfen haben lassen." Also nicht wegen, sondern trotz der Kampagne.

Service

Blog-Beitrag der Uni Wien zur Corona-Einstellung des TV-Publikums

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