APA/DPA/PATRICK PLEUL
Kampf gegen Verschwörungstheorien
Faktencheck als Königsdisziplin
Wenn Verschwörungstheorien und Falschinformationen Hochkonjunktur haben wie in dieser Pandemie, dann wird Faktenchecken zur Pflicht. Die Austria Presse Agentur (APA) macht das seit eineinhalb Jahren, auch in Zusammenarbeit mit der deutschen DPA, das Nachrichtenmagazin "profil" startet mit 1. Oktober das Projekt "faktiv". Studien belegen, dass Faktenchecken bei Medienkonsumenten wirkt.
1. November 2021, 02:00
Jakob Winter hat für das "profil" eine Faktencheck-Gruppe aufgebaut, gefördert von der Stadt Wien mit 100.000 Euro für ein Jahr. Das ist nicht unwesentlich, ernsthaftes Faktenchecken ist auch eine Frage des Geldes. Winter: "Das Hinterfragen von politischen Aussagen ist sehr recherche-intensiv, die Redaktionen sind ausgedünnt, es ist wenig Recherche-Power da." Winter startet in einem Vierer-Team, eine Kollegin ist voll für "faktiv" da, drei machen es zusätzlich zu anderen redaktionellen Aufgaben.
Zuerst APA und jetzt auch "profil"
Die Austria Presse Agentur macht Faktenchecks seit eineinhalb Jahren, sieben Leute spüren dort Falschinformationen auf und nach. Florian Schmidt von der APA erklärt wie: "Wenn wir uns anschauen wollen, ob ein Bild oder Video echt ist, dann muss man gewisse Tricks und Tools kennen. Wir sind Profis in Online-Recherche, wir wissen genau, mit welchen Werkzeugen wir zu gezielteren Ergebnissen kommen. Etwa beim Personen überprüfen und Hintergründe ausleuchten."
Facebook als wichtigster Auftraggeber
Zwei Faktenchecks pro Woche für die APA, vor allem aber - das ist das Hauptprodukt - zwanzig Faktenchecks im Monat für Facebook, gemeinsam mit der Deutschen Presseagentur DPA. Das ist das Pensum, sagt Schmidt. Auch das deutsche "Correctiv"-Team prüft Facebook Postings. Alle Drei gehören dem "International Fact-Checking Network" an. Das IFCN gibt Kriterien für gute Faktenchecks vor, auch was zu tun ist, wenn einer einmal danebengegangen ist. Das "profil" hat den Ehrgeiz, dieses Gütesiegel vom IFCN auch zu bekommen.
Kooperation mit deutschen Checkern
Mit "Correctiv" arbeitet "faktiv" schon zusammen. Gemeinsam haben sie dokumentiert, dass rechtsextreme Websites aus Oberösterreich im deutschen Bundestags-Wahlkampf mitgemischt haben. Durch Grünen-kritische Postings, die von der AfD in Deutschland weiterverbreitet worden sind. Jakob Winter will den Fokus aber auf österreichische Politik legen. Eine Art Gegenpol bilden also zur beliebten Message Control.
PROFIL
Maurer und Schramböck auf Prüfstand
Die ersten Faktenchecks betreffen Behauptungen von Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer zur Klimabilanz der Koalition und von ÖVP-Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck zum Lehrstellen-Angebot in Wien. "Die Checks werden online auch unter der Woche veröffentlicht, wir wollen eine hohe Schlagzahl haben und zum Beispiel auf ZIB2-Interviews oder Radiointerviews rasch reagieren, wenn da falsche Politiker-Behauptungen vorgekommen sind", sagt Jakob Winter.
Fiala-Interview im Mittagsjournal
Das könnte dann auch ein Interview im Ö1-Mittagsjournal mit Christian Fiala treffen - das ist der stellvertretende Obmann der neuen Corona-Leugner- und Impfgegner-Fraktion MFG im oberösterreichischen Landtag. Solche Interviews kommen oft unter großem Zeitdruck zustande, da kann auch einmal etwas schiefgehen. In dem Fall hatte Fiala mit falschen Behauptungen leichtes Spiel, wie Faktenchecker auf Twitter aufgezeigt haben. Leute wie Fiala geben den Menschen das, was die Autorin Katharina Nocun kürzlich bei den Medientagen beschrieben hat.
Faktenchecks erreichen Zögerliche
Nocun spricht von der "Illusion von Kontrolle: Ich kenne den Plan. Ich bin was Besonderes, Teil einer Gruppe, die auserwählt ist, Dinge zu sehen, die anderen verborgen bleiben". Bei Menschen, die so denken, haben Medien meist ausgespielt. Da helfen auch keine Faktenchecks mehr, mit denen erreicht man bestenfalls die Zögerlichen. Und das belegen Studien, weiß die Internet-Expertin und Autorin Ingrid Brodnig. Wenn auf Facebook eine falsche Behauptung auftaucht und mindestens zwei User mit Faktenchecks dagegenhalten, dann seien Mitlesende davon positiv beeinflusst worden. Das hat laut Brodnig eine US-Studie zur Verbreitung von Falschinformationen in Brasilien rund um die Zika-Epidemie gezeigt.
Lokalmedien als Chance für Aufklärung
Faktenchecks helfen auch beim Argumentieren im persönlichen Umfeld, sagt Katharina Nocun, da zähle Beharrlichkeit - und dazu brauche man eben Argumentationsstoff. Und Ingrid Brodnig sieht auch eine Aufgabe für Lokalmedien. Wenn die Skepsis gegenüber den Mainstream-Medien und der Lügenpresse - wie es verächtlich heißt - zu groß geworden ist, gebe es oft noch ein Leibblatt, das man seit Jahren liest und das eine Ausnahmestellung hat. "Deshalb ist wichtig, dass unterschiedlichste Medien solche Faktenchecks bringen", so Brodnig.
DIE TAGESPRESSE
Satireprojekt führt die Redaktionen vor
Ausgerechnet die Austria Presse Agentur hat sich zuletzt in puncto Faktenchecken nicht mit Ruhm bekleckert. Die APA ist auf ein Satireprojekt der "Tagespresse" hereingefallen und in der Folge dann auch die meisten Redaktionen - sie haben die Falschmeldung übernommen, dass Frank Stronach 2022 bei der Bundespräsidentenwahl kandidieren wird. APA-Chefredakteur Johannes Bruckenberger hat von einem "Debakel" und einem "Weckruf" gesprochen, die APA-Faktenchecker sollen künftig mehr eingebunden werden. Denn die Redaktionen müssen sich auf die Agentur verlassen können.
"Wenn man genau geschaut hätte"
Was sagen die APA-Faktenchecker selbst dazu? Florian Schmidt war bei der stundenlangen Nachbesprechung des Debakels dabei, er redet offen darüber. "Wenn man genau geschaut hätte, dann hätte es Auffälligkeiten gegeben." Die "Tagespresse" hat die alte Internet-Domain des Team Stronach gekauft und eine Website mit vermeintlichen politischen Botschaften gebaut. Schmidt: "Die Bilder von den Pressesprechern waren computer-generiert, man hat zu den Namen auch nichts im Netz gefunden, es waren auf der Seite keine Social-Media-Auftritte verlinkt."
"Beleg für die Inhaltsleere der Politik"
Das Fazit von "Tagespresse"-Gründer Fritz Jergitsch ist ernüchternd und traurig zugleich: "Was die Aktion gezeigt hat, ist: wie inhaltsleer die Politik mittlerweile ist. Wenn sogar Vollprofis in den Innenpolitik-Redaktionen eine Kampagnen-Website sehen, wo jemand kandidiert für das wichtigste Amt des Landes, aber eigentlich überhaupt nichts sagt - und das fällt nicht auf und wird für echt gehalten."