Sebastian Kurz

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Rücktritt von Sebastian Kurz

Leb wohl, Message Control

Sebastian Kurz hat seinen Rückzug aus der Politik bekanntgegeben. Nach der Geburt seines Sohnes habe es "Klick gemacht", wurden Vertraute des Ex-Kanzlers in Boulevard-Zeitungen zitiert. Er habe sich "gejagt gefühlt", sagte Kurz in seiner Rücktrittsrede. Der Opferrolle und der Message Control - die das Ö1 Medienmagazin #doublecheck zuerst benannt und immer kritisch begleitet hat - ist er bis zum für ihn bitteren Ende treu geblieben.

Bis zuletzt hat Sebastian Kurz an sein Comeback geglaubt, hat er darauf gebaut, dass der ungeliebte Platz in der ersten Reihe der Abgeordneten-Bänke nur ein vorübergehender Zustand sein möge. In Videokonferenzen mit Funktionären – zuletzt des Tiroler Wirtschaftsbundes von Franz Hörl – hat sich der Noch-ÖVP-Chef für seine Kraftausdrücke in den Schmid-Chats entschuldigt und den Hauptteil der Verantwortung auf die ehemaligen Mitstreiter geschoben. Hörl als einer der Wenigen, die noch offen zu Kurz gestanden sind, hat diese Nebelgranaten verbreitet.

Vernebelung bis zum bitteren Ende

Dem Kolumnisten und Kabarettisten Florian Scheuba kommt das vor, "wie wenn man sich über einen Bankraub empört, weil die mutmaßlichen Bankräuber so schiache Masken aufgehabt haben." Tatsächlich geht es nicht um Kraftausdrücke, sondern um Medienkorruption und Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss - und um die politische Verantwortung dafür. Kurz hat deswegen als Kanzler zurücktreten müssen, jetzt hat er erkannt, dass es für ihn vorbei ist. Familiäre Gründe werden bei solchen Gelegenheiten gern ins Treffen geführt.

Hände von Sebastian Kurz

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Opferrolle und Flurschaden als Erbe

Kurzens politisches Vermächtnis ist die Opferrolle und ein Flurschaden für die Demokratie, an dessen Beseitigung das Land noch lange arbeiten wird. Aber dem einstigen Wunderkind, dem sich die ÖVP bedenkenlos ausgeliefert hat und das sie jetzt kalkuliert abserviert, waren die eigene Performance und seine Umfragewerte immer am wichtigsten. Auch in der Pandemie, das Krisenmanagement hat darunter gelitten. Auch weil sich die Kurz-ÖVP schon 2017 eine kommunikative Richtlinienkompetenz ins Kanzleramt geholt hat, wie die Politikwissenschafterin Sieglinde Rosenberger das in einem Gastkommentar im "Standard" nennt. Miss-Kommunikation mit dem federführenden Gesundheitsminister in der Corona-Zeit war programmiert.

Der Versuch, die Justiz einzuschüchtern

Und als es dann eng wurde wegen Postenbesetzungen, die in den Schmid-Chats dokumentiert waren, kamen die Angriffe auf die Justiz, von Sebastian Kurz persönlich und von seinen Helfern ausgeführt. Die Korruptionsermittler ließen sich nicht einschüchtern. Am Ende sah sich Kurz selber nicht nur Ermittlungen wegen Falschaussage, sondern auch wegen Untreue und Bestechlichkeit ausgesetzt. Medienkorruption lautet der schwerwiegende Vorwurf, Kurz musste als Kanzler gehen.

"Medienkrieg" fürs Comeback ist abgesagt

Aus dem "Medienkrieg gegen die Korruptionsjäger", wie der "Falter" martialisch getitelt hat, dürfte die Luft nach dem Rückzug von Kurz draußen sein. Eine kleine Rechtsexperten-Armada sollte den Kampf gegen die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft WKStA führen - mit Hilfe der Medien. Das war der Comeback-Plan, der jetzt geplatzt ist. Der erste Streich war ein Privatgutachten des Strafrechtlers Peter Lewisch, der gleich einmal Inseratenkorruption als "sozial adäquates Verhalten" eingestuft hat. Ein Freispruch noch vor einer Anklage.

Die Verteidigungsstrategie lautet: die WKStA habe schlecht gearbeitet, es gebe keine konkrete Verdachtslage gegen Kurz - in diese Richtung zielt auch das Gutachten von Lewisch, der auch schon für die wegen Korruption verurteilten ÖVP-Politiker Ernst Strasser und Karlheinz Grasser Gutachter war. Diesmal mit dem Logo der Universität Wien - die hat sich distanziert. "Jeden kleinen Polizeibeamten würde man zur Rechenschaft ziehen, wenn er das Logo der Polizei im Privatverfahren verwendet", kritisiert Martin Kreutner vom Anti-Korruptionsvolksbegehren.

Gutachter, Anwälte und Ex-Minister mit Expertise

Auch der seinerzeit als Abgeordneter vom Team Stronach zur ÖVP übergelaufene Anwalt Georg Vetter hat in einem Hintergrund-Gespräch mit einer handverlesenen Zahl von Journalisten gegen die WKStA vom Leder gezogen. Stümperhaft geradezu seien die Chats ausgewertet worden, in denen es um Sebastian Kurz und Ex-Ministerin Sophie Karmasin gegangen ist, die ebenfalls als Beschuldigte geführt wird.

Flankiert war Vetter bei dem Termin vom Top-Experten für Strafprozess-Recht Eckart Ratz. Ratz war früher Präsident des Obersten Gerichtshofs und kurz Innenminister, eher er gemeinsam mit Kurz abgewählt wurde. Ratz will zu seiner Rolle nichts sagen, ob er sich einspannen hat lassen, das möge jeder interpretieren, wie er wolle, so Ratz. Faktum ist: Er sieht die Rolle der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren kritisch, schreibt in Fachmedien von der "Prangerwirkung durch schiere Führung eines Strafverfahrens" und dass "eine Art Verwaltung von Verdachtsmomenten durch Organe der Gerichtsbarkeit" den Persönlichkeitsschutz ablöse.

Rechtsschutzbeauftragte in schiefem Licht

Das ist ganz nach dem Geschmack von Kurz und seinem Netzwerk, das die Fühler nach passenden Experten ausgestreckt hat. Eine hochrangige Expertin ist ihnen dann auch noch einfach so zugeflogen. Die Rechtsschutzbeauftragte im Justizministerium, Gabriele Aicher, hatte das Vorgehen der WKStA bei Hausdurchsuchungen in der Medienkorruptionsaffäre um Kurz und sein Umfeld scharf kritisiert, da seien rote Linien überschritten worden, schrieb Aicher auch in einer Mitteilung an einzelne Boulevard-Medien.

"Skandalöser Schachzug des Anpatzens"

Der "Standard" und der "Spiegel" haben herausgefunden, dass diese Presseinformation von einer Anwaltskanzlei mit-verfasst wurde, die zwei Beschuldigte dieses Verfahrens vertritt. Oliver Das Gupta vom "Spiegel": "Das sieht ganz nach einem geschickten Schachzug hinter den Kulissen aus, um die Ermittler der WKStA anzupatzen. Und zwar über eine der höchsten Juristinnen des Landes." Das sei schlicht ein Skandal, so Das Gupta. Und der Anti-Korruptionsexperte Martin Kreutner sagt über die Rechtsschutzbeauftragte, die nicht abgesetzt werden kann: "Es wird interessant sein, wie sie reagiert. Jegliche Befangenheit in derartigen Funktionen sind zu vermeiden."

Über die Grenzen der Litigation-PR hinaus

Anwaltskanzleien, die ausgewählte Redaktionen mit rasch verwertbaren Informationen füttern, Hintergrundgespräche im kleinen Kreis mit dem richtigen Spin, renommierte Professoren, die Privatgutachten auf Universitätspapier noch renommierter aussehen lassen - das alles läuft unter dem Titel Litigation-PR. Der Versuch, Stimmung für einen Beschuldigten zu machen, sei legitim, sagt Martin Kreutner. Aber bei Angriffen auf die Justiz, gar persönlich, da höre es sich auf. Auch das ist im noch jungen Ermittlungsverfahren gegen Kurz schon zu beobachten gewesen. ÖVP-nahe Medien fuhren eine Kampagne gegen eine WKStA-Mitarbeiterin samt Fotos und privaten Details.

Der Kabarettist als Korruptions-Erklärer

Gute Litigation-PR dürfe auch innerhalb der Grenzen nicht plump und manipulativ sein, sagt Nicole Bäck-Knapp von der Agentur Ecker & Partner, die zum Thema aktuell ein Buch veröffentlicht hat. Weil aber gerade in politischen Verfahren immer manipuliert wird, ist der Kabarettist Florian Scheuba auch zum Journalisten geworden. In seiner "Standard"-Kolumne und in seinem "Falter"-Podcast fördert er die bizarrsten Details aus Korruptionsfällen zu Tage. "Man kann mit dem Stilmittel der Satire Dinge herunterbrechen, so dass Leute sie verstehen. Und deshalb beschäftige ich mich mit Themen, wo ich finde, die Leute müssen das verstehen. Das macht Demokratie aus", sagt Scheuba.

Ein Beispiel für das "Herunterbrechen" liefert der Kabarettist gleich mit. Die Rechtfertigung von Sebastian Kurz in den Ermittlungen wegen Falschaussage, wonach er als Kanzler bei der Bestellung des ÖBAG-Vorstands informiert, aber nicht involviert gewesen sei – die übersetzt Scheuba so: "Ich habe diese Geschwindigkeitsübertretung nicht veranlasst, ich wurde nur durch meinen Tachometer darüber informiert."

Eurofighter-Schmiergeldskandal als Warnung

Was passiert, wenn Korruption nicht entschieden bekämpft wird, zeigt für Florian Scheuba das warnende Beispiel Eurofighter - für ihn der größte Korruptionsskandal der Zweiten Republik: "Obwohl Schmiergeldzahlungen nachgewiesen sind, es Geständnisse gibt und Eurofighter hohe Strafen bezahlen musste, ist es gelungen, das Verfahren in Österreich zu ‚daschlogn‘. Wir haben einen gigantischen Schmiergeldskandal, und niemand wird dafür zur Verantwortung gezogen." Das sei unfassbar, sagt Scheuba. "Das soll sich bitte in Zukunft nicht mehr wiederholen."

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