Die Fm4 Ente vor dem ORF-Zentrum.

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FM4

Die Angst vor der Spitz-Hacke

Zu urban, zu links, nicht jugendlich genug - immer wieder war von einem möglichen Aus für FM4 die Rede. Auch der neue ORF-Generaldirektor sieht Reformbedarf, FM4-Fans wollen am Sender aber nicht rütteln. Sie unterstreichen, was FM4 für die österreichische Musik- und Kulturszene geleistet habe. Das sei beachtlich. Auf die neue Sender-Chefin Doroteja Gradištanac kommt eine große Aufgabe zu.

Seit mittlerweile 27 Jahren ist FM4 on air, und von Anfang an war der Sender als Gegenpol zum Mainstream gedacht. Die große Radioschwester Ö3 musste fit gemacht werden für die neue Konkurrenz, immerhin wurden kurz nach Sendestart von FM4 im Jänner 1995 die ersten bundesweiten privaten Radiostationen erlaubt.

Schock für Botschafter-Gattinnen

Gesendet hat FM4 die ersten Jahre nur einige Stunden spätabends auf der Frequenz von Blue Danube Radio. "Damals war das der Sender der Botschaftergattinnen, der gut situierten, englischsprachigen, mondänen Hörerinnen, die vielleicht doch verstört waren über das, was da am Abend plötzlich auf ihrer Blue Danube Radio Frequenz aufgetaucht ist", erzählt Thomas Weber. Der Herausgeber von "Biorama", einer Plattform für nachhaltigen Lebensstil, ist bekennender FM4-Fan, und er beschäftigt sich seit Jahren auch journalistisch mit dem Sender.

Thurnher will FM4 "genau ansehen"

FM4 habe seit jeher ein anderes, weltoffenes Österreich verkörpert, sagt Weber. Dass der Sender immer wieder in Frage gestellt wird, kann er nicht nachvollziehen. Nach den Gerüchten, dass FM4 von der ÖVP-FPÖ-Mehrheit sogar abgedreht werden könnte, hatte auch Ex-Generaldirektor Alexander Wrabetz angedacht, FM4 nur noch im Netz zu spielen. Die neue ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher wollte sich bei ihrer Vorstellung im September nicht festlegen. Sie werde sich den Sender "genau ansehen", so Thurnher. FM4 sei aber ein Jugendsender.

Hörerinnen und Hörer werden älter

Fakt ist, dass die junge Zielgruppe immer schlechter erreicht wird. Die Hörerinnen und Hörer – 270.000 sind es durchschnittlich pro Tag, bei einer konstanten Tagesreichweite von 3,4 Prozent – altern mit. Das Schreckgespenst, das in der Redaktion herumgeistert, lautet dementsprechend "Verjüngung mit der Brechstange". Natürlich müsse man am Puls der Zeit bleiben, aber mit Ach und Krach der Jugend hinterherzusenden und damit die Stammhörerinnen und -hörer vergraulen, das könne auch nicht das Ziel sein.

Popkultur auf Augenhöhe mit Bach

Ein ewiger Spagat, der aber auch auf einem Missverständnis fußt, findet Weber. FM4 sei eben kein Jugendsender, sondern ein Popkultursender, und der sei an kein Alter gebunden. Aus der Popkultur wachse man nicht plötzlich heraus und höre dann "Bach und Brahms". Würde man jetzt krampfhaft versuchen, jugendlich zu wirken, könnte der ORF dieses FM4-Stammpublikum ein für alle Mal verlieren. FM4-Hörerinnen und -Hörer wechseln nicht einfach auf Radio Burgenland oder Ö3, warnt Weber.

Politisch unliebsame starke Stimme

Auch Kurier-Medienjournalist Philipp Wilhelmer kennt die Debatte. "Im Hintergrund gibt es natürlich das Bestreben eines konservativ bürgerlichen Lagers, diese starke Stimme ein bisschen in eine Richtung zu drehen, die politisch besser in den Kram passt." Tatsächlich sieht der von eben dieser konservativ-bürgerlichen Stiftungsrats-Mehrheit gewählte neue Generaldirektor Roland Weißmann Reformbedarf. "Zu spitz in seiner Positionierung" sei FM4, schrieb Weißmann in seiner Bewerbung. Wilhelmer dazu: "Ich hoffe, dass damit nicht gemeint ist: zu jung, zu urban und liberal und zu links, sondern vielleicht eher, dass die Zielgruppe zu eng umrissen ist."

Spitz bleiben oder gleich zusperren

Auch der Chef des Plattenlabels "Ink Music" Hannes Tschürtz sagt, dass man den Sender natürlich besser machen könnte. "Aber spitz zu bleiben, interessiert daran zu bleiben, was sich draußen in der Welt tut, das ist die integrale Aufgabe des Senders." Gebe man das auf, könne man gleich zusperren. Tschürtz managt Bands wie My Ugly Clementine und die Sängerin Mira Lu Kovacs. Bilderbuch, die mittlerweile sogar in den USA touren, haben bei ihm das erste Album veröffentlicht. Für die international erfolgreiche Musikszene aus Österreich sei FM4 eine Art "Götterfunke" gewesen, sagt Tschürtz. "Wäre FM4 nicht gewesen, wäre sehr viel von all dem, was wir heute abfeiern, einfach nicht passiert."

40 Prozent Musik aus Österreich

International blicke man mit Staunen und Neid auf die Plattform, die FM4 der Szene hierzulande biete. 40 Prozent hat der Anteil österreichischer Musik 2021 auf FM4 ausgemacht, ein beachtlich hoher Wert, der auch die 33-Prozent-Quote, auf die sich ORF und Musikwirtschaft 2018 geeinigt haben, locker übertrifft. "Es gibt da wahrscheinlich so etwas wie einen natürlichen Plafond. Man kann sich jetzt nicht nur abkapseln, den ganzen Tag nur österreichische Musik spielen, weil dann umgekehrt wiederum dieses Einbetten in eine natürliche Umgebung verlorengeht, wo österreichische Band X neben internationalen Superstars ganz selbstverständlich läuft", sagt Label-Chef Tschürtz.

Konkurrenz durch Internet-Blasen

Hat FM4 nach 27 Jahren dann vielleicht einfach seine "Mission übererfüllt", wie es "Kurier"-Journalist Wilhelmer vor kurzem geschrieben hat? "Die wichtige Aufgabe, die FM4 in den frühen Jahren hatte, nämlich für einen Raum zu sorgen, Jugendkultur in all ihren Spielarten zu etablieren, das ist im Jahr 2022 wahrscheinlich nicht mehr das Entscheidende", sagt Wilhelmer.

Denn genau diese Nischen biete heute auch das Internet. Viele junge Menschen entdecken vor allem auf Spotify neue Musik und hören über diverse Podcatcher Podcasts. Laut dem "Reuters Digital News Report" hören bereits mehr als die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen in Österreich regelmäßig Podcasts. Zwar produziert auch FM4 fleißig Podcasts, muss diese aber nach 30 Tagen wieder löschen. Das ORF Gesetz will es so. Die strengen Online-Regeln sind vor allem für FM4 ein Bremsklotz.

Neue Chefin mit viel Hausmacht

Viel zu tun also für die Neue. Doroteja Gradištanac hat den Sender mit Jahresanfang übernommen. Die ehemalige Fernsehmoderatorin, besser bekannt als Dodo Roščić, war zuletzt Leiterin der Abteilung für Formatentwicklung und Qualitätsmanagement. Dass ihre Bestellung schon vor dem internen Hearing als so gut wie fix galt, hat für Unmut gesorgt. In der nicht bindenden Redaktions-Abstimmung ist Gradištanac gegen Ex-FM4-Marketingchef Oliver Lingens dann auch unterlegen, dennoch traut man Gradištanac dank ihrer Hausmacht im ORF einiges zu.

Top-Kulturjob ohne Öffentlichkeit

Dass in der Öffentlichkeit erst gar nicht darüber diskutiert wurde, wer FM4 führen soll, das kann Thomas Weber nicht verstehen. Man sei sich wohl zu sicher, dass es FM4 ohnehin immer geben und der Sender nie kategorisch in Frage gestellt werde. Wegen des fehlenden Interesses selbst von Medienjournalistinnen und -journalisten hat Weber kurzerhand selbst recherchiert und auf Twitter und Facebook geschrieben, wer sich um den Posten bewirbt. Immerhin handle es sich um einen der wichtigsten Kulturjobs des Landes. Für "Kurier"-Mann Wilhelmer zeigt das Ausbleiben der Debatte schlicht die schmale Relevanz des Senders.

Mit Monika Eigensperger hatte FM4 jahrelang eine Chefin, die den Sender wie eine Löwin verteidigt hat, nach außen und nach innen. Jetzt liegt es an ihrer Nachfolgerin Gradištanac, dafür zu sorgen, dass sich weiterhin viele bei FM4 – ganz nach dem Sender-Motto "You’re At Home, Baby!" - zu Hause fühlen.

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