
APA/HERBERT NEUBAUER
Härtetest für die Medienpolitik
Viele Baustellen und ein Auftrag
Mit der taufrischen Entschließung des Bundespräsidenten vom 4. Jänner ist Susanne Raab von der ÖVP zur neuen Medienministerin ernannt worden. Manche sehen das als Chance für einen Neubeginn, denn bisher war Medienpolitik ja Chefsache und mit Machtfragen überfrachtet. Andere befürchten, dass die Neue mit den vielen auseinanderstrebenden Interessen der Medienbranche überfordert sein könnte. Eine Vorgabe für Raab von Bundeskanzler Karl Nehammer gibt es schon: Mehr Transparenz in die Vergabe der Regierungsinserate. Doch es warten noch mehr Baustellen.
7. Februar 2022, 02:00
#doublecheck in der Radiothek
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Eine Schonfrist darf sich Susanne Raab nicht erwarten: "100 Tage Zeit kann man ihr nicht geben, weil viel zu viele Themen anstehen", meint Daniela Kraus, Generalsekretärin des Presseclubs Concordia. Sie zählt einige der vielen Baustellen auf: Inseratenvergabe neu regeln, Medienförderung für Qualitätsjournalismus endlich angehen, Digitalförderung umsetzen, ORF-Gesetz reformieren. Leistungsschutzrecht, "Wiener Zeitung", Angriffe gegen Journalisten – bis hin zum Informationsfreiheitsgesetz, das zwar nicht Raab verhandelt, sondern Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP). Aber, so Kraus, hier müsse man an einem Strang ziehen.
Ein Detail am Rande: Edtstadler hat sich dem Vernehmen nach für die Medien-Agenden interessiert, was manche in der Koalition als eine durchschlagskräftigere Variante gesehen hätten. Das ÖVP-interne Tauziehen ging aber anders aus.
"Dann kriegen wir echt ein Problem"
Gerade in politisch so angespannten Zeiten wie jetzt müsse Qualitätsjournalismus besonders gefördert werden - als Gegengewicht zu Desinformation und Verschwörungstheorien, das ist das Credo von Concordia- Vertreterin Kraus: "Wenn wir nicht Journalismus unterstützen, der dem entgegenwirken kann, dann werden wir ein richtiges Problem kriegen." Aber wie ernst ist es der ÖVP damit? Was hat es zu bedeuten, dass die Ex-ORF-Journalistin Gaby Schwarz neue Mediensprecherin der ÖVP im Parlament ist? Sie ist vor Bekanntwerden der Umfragen- und Inseratenkorruptions-Affäre mit Beschwichtigungen aufgefallen. "Es ist nichts mehr da", hat Schwarz in einer kuriosen Pressekonferenz wissen lassen – wenige Tage bevor die Hausdurchsuchungen im Kanzleramt und in der ÖVP-Zentrale die Republik erschüttert haben.
Die medienpolitische Gretchenfrage
Wie ernst es der ÖVP ist, wird an folgender Frage gemessen werden, sagt Kraus: "Werden wir das Gefühl haben, dass Medienpolitik im Sinne der Öffentlichkeit gemacht wird oder im Interesse einer Partei?" Außerdem: wird Susanne Raab neben ihren anderen Agenden Integration, Familie und Frauen überhaupt genug Zeit für die Medienpolitik haben? #doublecheck hat sich um ein Interview mit der Medienministerin bemüht, doch sie spricht noch nicht. Erste allgemeine Aussagen gegenüber der Austria Presse Agentur lassen erahnen, dass sie die Inseraten-Transparenz - wie vom Kanzler gewünscht – auf der Agenda hat: Transparenz im Umgang mit Steuergeldern sei ihr ein "absolutes Anliegen", sie habe viele Jahre in der Verwaltung verbracht und sei bekannt für einen "recht strengen Blick bei Vergaben und Förderungen", so Raab.
Transparenz-Auftrag des neuen Kanzlers
Bundeskanzler Nehammer war in diesem Punkt schon viel konkreter und hat in einem gemeinsamen Interview mit ZIB2 und Puls4 wörtlich gesagt: "Es wird aus meiner Sicht notwendig sein, das so zu regeln. Das heißt, der Auftrag wird von mir ergehen, dass das neu aufgestellt wird, nachvollziehbar ist und damit nach den Transparenz-Erfordernissen klar wird, warum wo inseriert wird. Da ist Steuergeld, selbstverständlich."
Qualitätsförderung statt Inseraten-Gunst
Ideen gibt es da längst genug. Die Journalistengewerkschaft zum Beispiel fordert weniger öffentliche Inserate, dafür mehr öffentliche Förderung für Qualitätsjournalismus – zur Zeit beträgt die Presseförderung nur rund 9 Millionen Euro, sie sollte deutlich erhöht werden, sagt Vorsitzender Eike Clemens Kullmann. Er denkt groß und fordert 150 Millionen Euro pro Jahr: "Das sollte der Republik Österreich qualitätsvoller Journalismus auf alle Fälle wert sein." Was die Inserate angeht, sagt der führende Journalistengewerkschafter Kullmann, könnte man das Budget dafür beschränken und Kriterien einfordern, wonach ein Inserat einen Nutzen haben muss – indem es relevante Information bietet. Ob sich die ÖVP so was traut, daran wird sie gemessen werden, meint Kullmann: "Wenn wir bei der Medienförderung bleiben, bei der wir 2021 waren, und im Inseratengeschäft Business as usual betrieben wird, dann hat man nichts gelernt, dann ist außer Lippenbekenntnissen nichts gewesen."
Die Branche will sich zusammenraufen
Die Journalistengewerkschaft ist da engagiert, sie hat im Herbst einen Runden Tisch mit allen Playern gestartet, auch der Zeitungsverband VÖZ war prominent vertreten. Gemeinsam will man jetzt ein Grundsatz- und Forderungspapier an die Regierung vorbereiten. Die Gespräche gehen noch im Jänner weiter, das Ziel ist ein rascher Abschluss - solange das Thema heiß und der öffentliche Druck groß genug sei, sagt Kullmann.
Ein neuer Hauch von Message Control
Und dann ist da noch der Umgang der Kanzlerpartei mit Medien und Journalisten – daran wird man erkennen können, ob die ÖVP nach der Neuaufstellung an der Message Control Marke Kurz & Fleischmann festhalten wird oder nicht. Die Bilanz der ersten Kanzler-Interviews fällt in dieser Hinsicht gemischt aus, so haben ungewöhnlich viele Sammeltermine für Kritik gesorgt. Medien wurden paarweise zum Interview geladen, Politikjournalistin Isabelle Daniel von der Zeitung "Österreich" sagt dazu: "Das ist natürlich eine Message Control. Wenn ich an einem Tag sämtliche Journalisten jeweils mit anderen zusammenspanne, kontrolliere ich die Message mehr, als wenn ich unterschiedliche Menschen unterschiedliche Interviews führen lasse."
Unkultur der Sammelinterviews lebt auf
Die Tageszeitung "Der Standard" hat bei den Sammelinterviews erst gar nicht mitgemacht. "Weil ich es für wichtig halte, dass 'Der Standard' zum Antritt des Bundeskanzlers ein Interview nicht in Teilen von einem anderen Medium übernehmen muss", schreibt Chefredakteur Martin Kotynek auf #doublecheck-Nachfrage. Auch die "Kronen Zeitung" hat dankend abgelehnt. Christoph Kotanko von den "Oberösterreichischen Nachrichten" sieht es gelassen: Die Bundesländerzeitungen seien solche Sammelinterviews gewohnt, sagt Kotanko. Tatsächlich ist das seit Jahren gelebte Praxis, da ist auch "Die Presse" dabei – und nicht alle in den betroffenen Redaktionen sind mit dieser Entwicklung glücklich.
Alte Konkurrenten als neue Freunde?
Auch der ORF hat zum Amtsantritt kein Einzelinterview mit dem Kanzler bekommen, Armin Wolf interviewte Nehammer in der ZIB2 gemeinsam mit Corinna Milborn von Puls4. Das hat nicht allen im ORF gefallen, aber ursprünglich ist sogar ein gemeinsamer Termin mit allen Privatsendern bis hin zu Servus TV im Raum gestanden. Das war dann der Kompromiss, für viele ein Zeichen, dass unter Roland Weißmann die Kooperation des ORF mit den privaten Medien aufleben wird - zu deren Nutzen, dafür haben sie ja in den vergangenen Jahren auch stark lobbyiert. Daniela Kraus vom Presseclub Concordia sagt, das sei ganz klar Ausdruck der ÖVP-Medienpolitik: Mit der Botschaft "Kooperation statt Konkurrenz" sei Weißmann angetreten, die ÖVP-Mehrheit im ORF-Stiftungsrat habe ihn auch dafür bestellt. "Davon erwarten sie sich den meisten Nutzen, weil man will, dass man freundlich behandelt wird", urteilt Kraus.
Premiere: Am Sonntag um 22 Uhr wird der neue Bundeskanzler @karlnehammer sein erstes großes TV-Interview geben. In einer Kooperation zwischen @ORF und @P7S1P4 werden @ArminWolf & @corinnamilborn die Fragen stellen, das Signal wird allen privaten TV-Sendern zur Verfügung gestellt
— Daniel Kosak (@Kosak_Daniel) December 10, 2021
Samtpfötige Kommunikations-Kontrolle
Und was sagt der neue Kanzlersprecher Daniel Kosak dazu? Die Sammelinterviews hätten aus Zeitgründen sein müssen, würden jetzt aber nicht zur Gewohnheit, verspricht er. Außerdem hätten ja trotzdem alle Fragen gestellt werden können. Mit ORF-Chef Weißmann habe er nicht gesprochen, das Doppelinterview sei mit der Redaktion so vereinbart worden, sagt Kosak. Der ZIB-Chefredakteur bestätigt das. Kontrollierte Kommunikation, das müsse aber schon sein, hält Kanzlersprecher Kosak dann noch fest - Rückfragen aber immer gerne. Eine "Message Control auf Samtpfoten" also? Mit dem Begriff könne er gut leben, sagt Kosak.