Der Technikdirektor Harald Kräuter, Radiodirektorin Ingrid Thurnher, ORF-Generaldirektor Roland Weißmann, Finanzdirektorin Eva Schindlauer und Programmdirektorin Stefanie Groiss-Horowitz während einer Pressekonferenz nach dem ORF-Stiftungsrat.

APA/ROBERT JAEGER

Neue ORF-Führung am Ruder

Team Weißmann magaziniert auf

Seit 1. Jänner ist Roland Weißmann im ORF am Ruder. Er ist als Kandidat von der ÖVP-Mehrheit im Stiftungsrat durchgedrückt worden, die Grünen haben das mitgetragen und den Generaldirektor einvernehmlich in ein Team gesteckt: drei Frauen - Radiodirektorin Ingrid Thurnher, Programmdirektorin Stefanie Groiss-Horowitz und Finanzchefin Eva Schindlauer, dazu der Technische Direkor Harald Kräuter. Sie sollen den ORF jetzt digital und jung, also zukunftsfit machen. Noch sind nicht alle überzeugt vom Weißmann-ORF.

Barbara Toth, Medienredakteurin beim "Falter" sagt: "Das System Kurz ist weg, aber die ÖVP-Macht, die ihn zu dem gemacht hat, was er ist, die ist noch da. Er hätte, wenn er wollte, alle Möglichkeiten, sich freizuspielen. Die psychologische Frage ist, ob er das von seiner Persönlichkeit heraus auch will und machen wird - und ob er die Kraft dazu hat."

Die Neuen müssen erst überzeugen

Dieter Bornemann, oberster Redakteurssprecher im ORF, sieht zumindest gute Ansätze beim neuen Chef: "Die bisherigen Gespräche, die die Redakteursvertretung mit ihm gehabt hat, die waren eigentlich recht positiv." Er habe den Eindruck, die Unabhängigkeit und die Objektivität der ORF-Berichterstattung seien Weißmann ein echtes Anliegen. Die Probe aufs Exempel komme aber erst – in den Verhandlungen zur Struktur im neuen Newsroom und über ein neues Redakteursstatut.

Der Newsroom als Bewährungsprobe

Der neue Newsroom, das ist nicht mehr und nicht weniger als die komplette Neuaufstellung der ORF-Information. Fernsehen, Radio, Online und Social Media - alles vereint im Redaktions-Neubau auf dem Wiener Küniglberg. Die Übersiedlung soll im Juni stattfinden, und hat für ORF-Chef Weißmann Priorität Nummer eins, wie aus einem Mail an die Belegschaft zum Jahreswechsel hervorgeht. Das gilt auch für die Redaktionen: Mit drei gleichberechtigten Chefredakteuren wird es neue und unerprobte Führungsstrukturen geben, die personell ausgedünnten Radio-Ressorts werden mit großen TV-Ressorts zusammengelegt.

Gegen einen Einheitsbrei im Leitmedium

Die Bedenken, dass ein Einheitsbrei entsteht, sind groß. Auch bei Beobachterinnen von außen. Barbara Toth sagt: "Natürlich ist die Befürchtung berechtigt, dass so ein zentraler Newsroom die vielen unterschiedlichen Zugänge, die es in diesem großen Haus oft gibt, zerstören könnte." Das werde auch sehr genau beobachtet von den anderen Medien. "Für die ist der ORF nach wie vor ein ganz wichtiges Leitmedium für die Demokratie im Land", so die "Falter"-Journalistin.

Barbara Toths Einwand ist berechtigt, der multimediale Newsroom wurde vor Jahren aus Synergie-Überlegungen im stets sparfreudigen ORF-Stiftungsrat als Idee geboren. Nicht nur aber gerade auch in Pandemie-Zeiten ist der riesige Newsroom inzwischen fast schon wieder ein Anachronismus - vor allem aber ist er eine Gefahr für den internen Pluralismus, der beim größten Medienhaus ORF besonders wichtig ist.

Verschiedene Zugänge als Markenzeichen

Unterschiedliche Zugänge zu Themen, das war immer auch ein Markenzeichen etwa von den Ö1-Journalen oder von der ZIB2. Dieter Bornemann betont: "Qualitätsjournalismus ist nie ein Effizienz-Programm, Qualitätsjournalismus ist immer extrem ineffizient, weil wenn ich zu einem Termin gehe und jemanden treffe und mit dem rede, weiß ich nie, ob da eine Geschichte rauskommt oder nicht." Recherche, die eben nun einmal personal- und damit kostenintensiv sei, müsse weiter möglich sein, so der Redakteursvertreter. Es gelte jetzt darum, "eine Struktur zu finden, die verhindert, dass ein Einzelner oder eine Einzelne darüber entscheiden kann, was in allen ORF-Kanälen gespielt wird".

Verhandeln über neues Redaktionsstatut

Und ganz wichtig: die ORF-Information brauche auch ein neues Redaktionsstatut, sagt Dieter Bornemann: "Weil Führungsfunktionen nach den aktuell gültigen Regelungen einfach nicht mehr rechtskonform besetzt werden können. Da haben wir schon eine gewisse Hoffnung, dass die Mitsprache und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Redakteurinnen und Redakteure deutlich verbessert werden." Und das könne durchaus bis zur Abwahlmöglichkeit von Chefredakteuren durch die Redaktion gehen, das sei bei den meisten Qualitätsmedien Standard.

Junge Mitarbeiter für junges Publikum

Auf der Prioritätenliste der ORF-Führung findet sich das naturgemäß nicht. Dort steht, dass der ORF-Player im ersten Halbjahr weiter ausgebaut wird - die Module Sound und Sport sollen online gehen, das geht noch ohne Novelle zum ORF-Gesetz, mit der das Kanzleramt säumig ist. Und das Jahr 2022 wird zum Jahr der jungen Zielgruppen erklärt - mit einer "Young-Audience-Initiave" und einer neuen Social-Media-Strategie. Details dazu gibt es nicht, aber neue junge ORF-Mitarbeiter sollen dafür gewonnen werden. Eine nahe Pensionierungswelle gibt da Spielraum, was die "Heute"-Zeitung zu diesem reißerischen Titel inspiriert hat: "ORF tauscht Hunderte alte Mitarbeiter gegen junge aus!" Längst gibt es Stimmen, die vor leichtfertigem Verzicht auf Erfahrung und Know-how warnen.

ORF vor gigantischem Change-Prozess

Es ist ein gigantischer Change-Prozeß, vor dem der ORF steht. Nicht nur personell, sondern auch technisch und organisatorisch. Dabei soll eine neue Stabsstelle für Unternehmenskultur unterstützen, die jetzt ausgeschrieben wird. Um den Kulturwandel durch das für viele im ORF ungewohnte multimediale Arbeiten ordentlich zu begleiten. Und das Team Weißmann verspricht "einen Managementstil, der auf den Werten Verlässlichkeit, Verantwortung, Transparenz und Respekt beruht", wie es im Begrüßungs-Mail heißt.

Unruhe bei den Fernseh-Magazinen

Ein Versprechen, das nicht überall gut angekommen ist. Jüngste Vorgänge bei den Magazinen im Fernsehen liefen gar nicht respektvoll und transparent ab – es geht um die Hauptabteilung mit Sendungen wie Report, Schauplatz, Eco und auch dem tagesaktuellen Konsumenten-Magazin Konkret. Barbara Toth vom "Falter" sagt über diese Sendungen: "Die Magazine sind neben der ZIB2 und neben so wichtigen Sendungen wie #doublecheck ein bisschen wie die interne Revision im ORF. Das sind einfach die kritischen Magazine, die kritischen Sendungen, wo auch investigativ gearbeitet wird und wo man sich nichts dreinreden lässt."

Weißmann und Groiss schufen Tatsachen

Jetzt hat die neue ORF-Führung aber dreingeredet: Das Magazin Konkret wird "verschoben" - samt Personal, Budget und Sendungschef zur ORF2 Info, die unter anderem die ZIB-Sendungen macht. Die Redakteurinnen und Redakteure der Magazine haben protestiert, vor allem gegen die Vorgangsweise: Team und Sendungschef sind von Generaldirektor, Programmdirektorin und Channel-Manager Anfang Dezember vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Mit 1. Jänner werde das umgesetzt, hieß es. Nach den Protesten gibt es eine Fristverlängerung bis 1. Februar.

Eine Unbequeme wird Magazin-Chefin

Ob Konkret zu den tagesaktuellen Sendungen besser passt oder zu den Magazinen, das wird unterschiedlich gesehen. Dass das Ganze passierte, bevor die Leitung der Hauptabteilung neu vergeben war, nährt freilich die Gerüchte, es gehe nicht um die Sache. Lisa Totzauer, die eine Unbequeme ist und bei der ORF-Wahl als Gegenkandidatin zu Weißmann und Wrabetz aufgezeigt hat, wird mit 10. Jänner Magazine-Chefin. Der Generaldirektor hat sie am Dreikönigstag mit einer Woche Verspätung bestellt.

Und immer wieder blühen die Gerüchte

Totzauer hat in den Hearings am besten abgeschnitten und unter anderem die ZIB-Chronik-Leiterin Claudia Lahnsteiner ausgestochen. Die soll jetzt - laut Standard "im Gegenzug" - das Magazin Konkret dazubekommen, eine willkommene personelle Verstärkung für die ZIB - was die Konkret-Leute als Schwächung ihrer Sendung sehen. Andere sehen es auch als den Versuch, die Weißmann-Gegenspielerin Totzauer - wenn sie auf dem Posten schon nicht zu verhindern war - nicht zu groß werden zu lassen.

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