Juan Gabriel Vásquez

AFP/MARTIN BUREAU

Erinnerung

Juan Gabriel Vásquez zu Gast in Österreich

Der kolumbianische Schriftsteller Juan Gabriel Vásquez ist ein Meister der magischen Erinnerungsliteratur und kniffligen Spurensuchen. Mit Romanen wie "Das Geräusch der Dinge beim Fallen" oder "Die Gestalt der Ruinen" begeisterte er ein internationales Publikum. Zuletzt erschien sein Erzählband "Lieder für die Feuersbrunst". Auf seiner Lesereise macht er auch in Wien, Innsbruck und St. Johann in Tirol Station.

Warum hört ein alter Mann tränenüberströmt immer dasselbe Tonband in der Mediathek, grübelt der Ich-Erzähler im Roman "Das Geräusch der Dinge beim Fallen". Und schon folgt man ihm bereitwillig auf seiner investigativen literarischen Schnitzeljagd. Mit solchen Fragen und Ungereimtheiten kapert Juan Gabriel Vásquez eine wachsende Leserschar.

"Am Anfang steht bei mir immer die Neugier. Eine Sache bereitet mir Unbehagen, ich habe das Gefühl, dass die Realität lügt oder etwas verbirgt. Dann beginne ich zu recherchieren und lasse meinen Erzähler ebenfalls wie einen Fahnder zu einer bestimmten Wahrheit gelangen", erklärt der 1973 geborene Kolumbianer.

Wenn der Schrecken nie verjährt

Diese Wahrheit reicht manchmal Jahrzehnte, manchmal Jahrhunderte zurück, führt zu Drogenkriegen, korrupten Politikern oder grausamen Familiengeheimnissen und zieht einen mehr oder weniger unbeteiligten Ich-Erzähler aus purer Neugier plötzlich hinein in historische Ungeheuerlichkeiten, die seine Gegenwart völlig durcheinanderwürfeln.

Genau dieser Vorgang sei für ihn am spannendsten, erklärt Vásquez: "Der Raum, in dem sich Politik und Geschichte ins Privatleben der Menschen einschleusen und sie verwandeln."

Geschichte & Geschichten in Dialog setzen

Leichte Kost und luftige Beziehungsdramen sind seine Sache nicht. Wohl aber eine erzählerische Leichtigkeit im Verknüpfen von unwahrscheinlichen Tatsachen und glaubwürdigen Erfindungen oder von Ereignissen, die augenscheinlich nichts gemein haben.

Zuletzt etwa im Roman "Die Gestalt der Ruinen", als Vásquez kurzerhand den Mord am Thronfolger Franz Ferdinand 1914 in Sarajevo mit jenem an Rafael Uribe in Kolumbien in Dialog setzte. "Das sind zwei politische Verbrechen, verübt von verzweifelten Männern mit verzerrter Wahrnehmung. Solche Parallelen haben mir immer gefallen", so der Autor.

Die Poesie der Prosasprache

Auf Deutsch erscheinen die Werke des Kolumbianers in der kundigen Übersetzung von Susanne Lange, die auch ihre starke poetische Komponente spürbar macht. Seine Lieblingsautoren, darunter Jorge Luis Borges und Gabriel García Márquez, hätten immer poetische, lyrische Ansprüche an ihre Prosatexte gestellt - eine Tradition, die er gerne weiterführt:

"Das muss nicht immer augenscheinlich sein, es fällt nur auf, wenn es fehlt. Wenn die Sprache holpert, kann die Erzählung noch so magisch sein, dann vermisse ich etwas. Und im Rahmen meiner Möglichkeiten versuche ich auch in meine Texte eine gewisse klangliche und rhythmische Qualität zu bringen, einen gewissen Respekt gegenüber den Ohren der Leserschaft."

Besonnener Kommentator der Gegenwart

Poetische Klänge, gepaart mit spannenden Nachforschungen, Holzwege nicht ausgespart: Das ist vielleicht das Erfolgsrezept des international renommierten Lateinamerikaners, der an der Sorbonne studierte und unter anderem Victor Hugo übersetzte, bevor er mit "Die Informanten" seinen ersten Romanerfolg erzielte.

In seinem Land, das historische Wahrheiten gerne vertuscht oder umschifft, hat sich Juan Gabriel Vásquez immer auch politisch zu Wort gemeldet; ruhig, besonnen und wortgewandt, stets aber mit einer beeindruckenden Entschlossenheit. Zuletzt setzte er sich vehement für das umstrittene Waffenstillstandsabkommen zwischen Regierung und Guerrilla-Gruppen ein.

Das Waffenstillstandsabkommen

2016 hätte es einen 60-jährigen Krieg beenden sollen, doch es wurde gebrochen, nicht zuletzt von Teilen der Regierung, so Vásquez: "Die Vereinbarungen von 2016 waren viel ambitionierter als ein reiner Waffenstillstand. Es ging um ein neues, integratives Gesellschaftsmodell, um die Stärkung von Minderheiten und gerechte Landverteilung. Das behagte nicht allen. Auch Teile der Regierung haben das Abkommen sabotiert und dadurch neue Gewalt geschürt."

Zurück an den Start? Zumindest bei der bevorstehenden Präsidentschaftswahl werde die Situation ein entscheidendes Thema sein. Zwölf Kandidaten stellen sich der Wahl am 29. Mai. Große Hoffnung auf stabilen Frieden hegt der Schriftsteller nicht. An brisanten Romanstoffen wird es ihm weiterhin nicht mangeln.

Gestaltung

Übersicht