Blick über die Jedermann-Bühne 2015 am Domplatz

TOURISMUS SALZBURG/GÜNTER BREITEGGER

Vom Ende der Zeiten

Die Salzburger Festspiele 2022 in Ö1

Der Festspielsender Ö1 wird neben vielen Konzerten und Kammermusikabenden heuer insgesamt neun Opern aus Salzburg übertragen. Davon sind gleich zwei szenische Produktionen live zu erleben. Unter den insgesamt sechs Einaktern befindet sich auch Wolfgang Rihms frühes Werk "Jakob Lenz".

Ö1 Klassiktreffpunkt | 16 07 22

Es ist eine schöne und langjährige Tradition, dass der Ö1 Klassiktreffpunkt kurz vor Beginn der Salzburger Festspiele sozusagen als inoffizieller, freudiger Radioauftakt der Festspiele fungiert. Zu Gast bei Ulla Pilz waren der australisch-deutsche Regisseur Barrie Kosky, der gerade mitten in der Probenarbeit für Leos Janaceks Oper "Katja Kabanova" steht, sowie Intendant Markus Hinterhäuser. Freuen Sie sich auf ein launiges Gespräch über das Wesen der Kunst, das Programm der Festspiele, die Muppets und Kafka und hören Sie, was sich beide für ihr nächstes Leben wünschen - Spoiler: der eigene Hund zu werden und Backgroundsängerin bei Leonard Cohen zu sein. Fragt sich nur, wer von den beiden will was?

Aus rechtlichen Gründen können wir Ihnen nur das Gespräch ohne die ausgewählten Musikstücke zur Verfügung stellen.

Die wichtigsten Sendungen

Angesichts der Programmierung der heurigen Festspiele entsteht fast der Eindruck, eine Vorahnung, es könnte nach den von der Coronapandemie massiv überschatteten Festspielen noch schlimmer kommen, habe hier Regie geführt. Und tatsächlich zeigte sich in den vergangenen Monaten in der Ukraine Unfassbares, was zuvor undenkbar schien.

Als Opernpremieren stehen zwei außergewöhnliche Kompositionen auf dem Programm. Zunächst Carl Orffs Oratorienoper "De temporum fine comoedia", ein "Spiel vom Ende der Zeiten", 1973 in Salzburg uraufgeführt. Das Stück handelt vom Jüngsten Gericht, von Schuld und Vergebung - bei Orff bekommt nicht ein rächender Gott die Oberhand, sondern der Komponist ist getrieben vom Glauben an eine Utopie, in der das Böse Aufnahme in das Göttliche findet, in der es um eine Tilgung aller Schuld und die Rückkehr aller Wesen zu Gott geht, wie es im Programmbuch heißt.

"Ich glaube fest daran, dass die Kunst in unserer ziemlich aus den Fugen geratenen Welt Orientierung bieten kann" - Helga Rabl-Stadler, Abschiedsbrief

Ausrine Stundyte

PETRA-BARATOVA

Ausrine Stundyte

Currentzis & das Gustav Mahler Jugendorchester

In Béla Bartóks Oper "Herzog Blaubarts Burg" wird Judith, eine furchtlose, von Lebenshunger getriebene junge Frau, zur Tabubrecherin, wenn sie sich aufgrund ihrer verbotenen Fragen und ihrer Neugier in der dunklen, fensterlosen Burg Blaubarts u. a. mit Folter, Waffen, Mord und seelischer Grausamkeit konfrontiert sieht. In der Titelrolle ist der in Salzburg als Elektra frenetisch gefeierte litauische Sopran Aušrinė Stundytė zu erleben. Das Gustav Mahler Jugendorchester debütiert in dieser Premiere in der Felsenreitschule als Opernorchester.

Starregisseur Romeo Castellucci und Teodor Currentzis loten gemeinsam die psychologischen Abgründe szenisch wie musikalisch aus. Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs ist der griechisch-russische Dirigent Teodor Currentzis heftig umstritten und wird von Teilen der Kritik angefeindet. Er ist mit seinem MusicAeterna Orchestra & Choir wegen der Finanzierung durch eine große, Putin-nahe russische Bank zwischen alle ideologischen Fronten geraten.

Puccini-Triptychon und Janáček

Ö1 überträgt diesen Premierenabend live aus der Felsenreitschule, ebenso live zu hören ist Giacomo Puccinis als Gesamtheit selten zu erlebendes Opern-Triptychon, das sich aus den drei Einaktern "Gianni Schicchi", "Il Tabarro" und "Suor Angelica" zusammensetzt. Die Wiener Philharmoniker spielen unter bewährter Leitung von Franz Welser-Möst, in allen Hauptrollen steht Asmik Grigorian auf der Bühne des Großen Festspielhauses. Die ebenfalls aus Litauen stammende Sopranistin ist noch lebhaft als überragende Salome der Festspiele 2018 in Erinnerung.

Beklemmend und zum Scheitern verurteilt zeigen sich die Frauenschicksale in Leoš Janáčeks Opern. Unterdrückung, Lieblosigkeit und der unbändige Wille zum Ausbruch aus einer kleinbürgerlichen Welt führen zur Katastrophe im Leben von Katja Kabanowa, Titelfigur der gleichnamigen Oper. Sein Festspieldebüt begeht der in Brünn geborene 40-jährige Dirigent Jakub Hrůša am Pult der Wiener Philharmoniker.

Elena Stikhina

DANIIL RABOVSKY

Elena Stikhina

Elena Stikhina als Aida

Das tragische Schicksal einer äthiopischen Königstochter als Geisel im Ägypten zur Zeit der Pharaonen steht im Zentrum von Giuseppe Verdis Oper "Aida". Die aus dem Iran stammende US-Amerikanerin Shirin Neshat, Filmemacherin, Fotografin und Regisseurin, verknüpft die historische, tragische Liebesgeschichte mit dem religiösen Fanatismus von heute.

Sie hat auf Anregung von Markus Hinterhäuser ihre Regiearbeit aus dem Jahr 2017 überarbeitet. In der Neueinstudierung hat Alain Altinoglu die musikalische Leitung inne, die Hauptrolle singt die russische Sopranistin Elena Stikhina, sein Debüt als Radamès gibt Startenor und Publikumsliebling Piotr Beczała.

Wolfgang Rihms Kammeroper "Jakob Lenz"

Eine große Personale ist dem deutschen Komponisten Wolfgang Rihm zum 70er gewidmet. Im Mozarteum steht die konzertante Aufführung der Kammeroper "Jakob Lenz" des damals 25-jährigen Komponisten nach einer Erzählung des deutschen Dramatikers Georg Büchner auf dem Programm. Das ungemein dichte Werk setzt, so Walter Weidringer, "der Idee eines schöpferisch leidenden und leidend schöpferischen Genies, das an einer starren, kunstfeindlichen Umgebung zerbricht, ein programmatisches Denkmal".

Der österreichische Bariton Georg Nigl singt die Titelfigur, das Pariser Ensemble Le Balcon musiziert unter der Leitung von Maxime Pascal. Der Franzose ist Gewinner des Young Conductors Award und seither regelmäßig bei den Festspielen in Salzburg engagiert. Ihm wurde auch die Aufführung von Arthur Honeggers dramatischem Oratorium über Frankreichs Nationalheldin Jeanne d’Arc im Rahmen der Ouverture spirituelle anvertraut, die ebenso in Ö1 übertragen wird.

"Lucia" konzertant

Und wie jedes Jahr gibt es auch konzertante Opernaufführungen, heuer auf Ö1 mitzuerleben ist Gaetano Donizettis Dramma tragico "Lucia di Lammermoor", ein tragischer Romeo-und-Julia-Stoff, angesiedelt im Schottland des späten 17. Jahrhunderts. Auf ein gutes Ende hofft man vergebens.

Optimismus versprüht dagegen die scheidende Festspielpräsidentin, die in ihrem Abschiedsbrief an das Festspielpublikum Ende 2021 ihrer Hoffnung mit folgenden Worten Ausdruck verlieh: "Ich glaube fest daran, dass die Kunst in unserer ziemlich aus den Fugen geratenen Welt Orientierung bieten kann."

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