Grammophone

AP

Medien im Wahlkampf

Umfragen wieder stark gewürzt

Im Bundespräsidenten-Wahlkampf schlägt in den Medien wieder die Stunde der Meinungsforscher. Die bisher veröffentlichten Umfragen zeigen ein konträres Bild. Während eine Umfrage mit großem Sample dem Amtsinhaber Alexander Van der Bellen eine satte absolute Mehrheit schon im ersten Wahlgang voraussagt, sehen andere eine Zitterpartie. Haben Meinungsforscher und Medien aus Fehlern gelernt?

Wolfgang Fellner tischt wieder auf. Und zwar die neuesten Umfragen von Werner Beutelmeyer. Fellner spricht von einer "Bombenumfrage“, einem "Krimi“, einem "Thriller“. Denn die Lazarsfeld-Gesellschaft, deren Geschäftsführer Beutelmeyer ist, hat erhoben, dass Amtsinhaber Alexander Van der Bellen seit der letzten Umfrage vor zwei Wochen um fünf Prozentpunkte zurückgefallen ist, auf 53 Prozent Zustimmung. Auch Beutelmeyer spricht von einer "massiven Erosion“.

Präsidentschaftskanzlei - die Amtsräume des Bundespräsidenten im Leopoldinischen Trakt der Wiener Hofburg

APA/GEORG HOCHMUTH

Fellner hat schon einen Beinschab-Ersatz

Beutelmeyer nimmt jetzt bei Fellner den Platz von Sabine Beinschab ein, die heute Kronzeugin in der ÖVP-Inseraten-Affäre mit frisierten Umfragen ist. Beinschab hat im #doublecheck-Interview vor der Nationalratswahl 2017 gesagt: "Irgendwie sind Umfragen die Würze. Was wäre denn der Wahlkampf ohne Umfragen? Das wäre doch total langweilig."

Die Spannungsmomente sind überschaubar

Sehr gelassen sieht den Wahlkampf Laurenz Ennser-Jedenastik, Politikwissenschafter am Institut für Staatswissenschaft an der Universität Wien. Er betont, dass die Bundespräsidentenwahl besonders schwer abzufragen sei, weil nie dieselben Leute antreten und es keine Vergleichswerte mit früheren Abfragen gebe. Dazu komme, dass diesmal außer der FPÖ keine Parlamentspartei einen eigenen Kandidaten aufstelle, und überhaupt erst seit kurzem fix sei, wer genug Unterstützung hat, um anzutreten. "Jetzt schaut es so aus, als hätten wir einen Amtsinhaber, der recht komfortabel in Führung liegt und sich wahrscheinlich nicht viele Sorgen machen muss, in eine Stichwahl zu müssen. Selbst wenn, wird die dann auch nicht sehr spannend. Da muss man schon sehr kreativ werden, um sehr viele Spannungsmomente zu sehen.“

Eine Zitterpartie ist immer gut fürs Geschäft

"Wir wissen natürlich, dass Medien insgesamt immer einen Bias haben zu knappen Rennen, spannenden Wahlgängen, weil das ist fürs eigene Geschäft gut. Es kann natürlich sein, dass sich die eine oder andere Person da ein bisschen zu weit aus dem Fenster lehnt", meint Ennser-Jedenastik.

Der "hemdsärmelige" Herausforderer

Hochspannung im Wahlkampf ortet auch Meinungsforscher Christoph Haselmeyer in der "Kronen Zeitung" mit ihrem TV-Kanal und auf "Puls24". Der ehemalige OGM-Geschäftsführer hat vor knapp zwei Jahren ein eigenes Institut gegründet - das Institut für Demoskopie und Datenanalyse IFDD. Haselmayer legt sich gern mit der Branche an, wie im Krone-TV-Interview. Die Branche erwarte keine Stichwahl, betont er, aber seiner Meinung nach sei eine Stichwahl wahrscheinlicher als umgekehrt. Oft sagt Haselmayer dann dazu, "ich lehne mich da hinaus". Dass er sich in diesem Interview auf Zahlen stützt, ist nicht erkennbar.

Machen Meinungsforscher Meinung?

Die "Krone" nennt ihn Meinungsforscher und "Polit-Profi". Rollen, die Christoph Haselmayer fließend wechselt - und auch im #doublecheck-Interview sagt er, er sei eben beides und sehe da keinen Widerspruch. Für den Politikwissenschafter Ennser-Jedenastik gibt es aber schon eine Grenze, und zwar wenn sich die Antwort auf die Frage, warum eine Umfrage in eine gewisse Richtung geht, nicht mehr auf Zahlen und deren Entwicklung stützt, sondern eine rein persönliche Einschätzung ist, sagt der Politikwissenschafter. Für das Publikum sei das irreführend. Haselmayer sagt, seine "hemdsärmeligen" Kommentare seien Teil seines Erfolgs.

Große Unterschiede auch in der Methodik

Angesichts der Unterschiede lohnt sich ein Blick auf die Details. Hajek hat 1600 Personen befragt, die Zustimmung für Van der Bellen hat er aber nur unter jenen rund 950 erhoben, die sagen, dass sie fix zur Wahl gehen. Beutelmeyers Lazarsfeld-Gesellschaft befragt jede Woche 1000 Personen, wirft die Ergebnisse von zwei Wochen zusammen und errechnet daraus die Umfrage. Auch die Rohdaten legt Beutelmeyer bei Fellner vor. Die Daten sind noch nicht hochgerechnet und geben auch keine Auskunft darüber, wieviele Befragte fix wählen wollen.

Kritik an reinen Onlinebefragungen

Haselmayer und Beutelmeyer machen ihre Wahl-Befragungen nur online, sie sind beide nicht Mitglieder im Verband der Markt- und Meinungsforschungs-Institute. Der VdMI kritisiert, dass viele ältere Personen online schlecht erreicht werden und die Umfragen weniger repräsentativ seien. 93 Prozent der bis zu 75-Jährigen würden inzwischen online erreicht, kontert Haselmayer - er habe mehr als 10.000 Personen, die er befragen könne, auch ältere über 70 Jahre. Hajek verzichtet dennoch lieber nicht aufs Telefon, weil man besonders in kleineren Regionen Menschen online schlecht erreiche.

Was aus Fehlern (nicht) gelernt wurde

Meinungsforscher sollen Details offen legen - zum Beispiel wie befragt wurde, wie viele Personen, welchen Alters, wo, in welchem Zeitraum und mit welcher Fragestellung. Auch die Schwankungsbreite müsse immer angeführt sein. Medien sollen diese Details auch klar und deutlich publizieren: Mit dieser Botschaft ist Peter Hajek durch viele Redaktionen getourt - nach der Wien-Wahl 2015 und der Bundespräsidenten-Wahl 2016, wo einige Prognosen krass danebengelegen sind. Dass jetzt wieder Umfragen, egal welcher Qualität, von Medien und Journalisten eifrig geteilt und kommentiert werden, besonders auf Twitter, ärgert ihn. "Ich bin der Meinung, man hätte das schon lernen können. Und dementsprechend liegt dieses Learning aber in dem Fall auf der publizierenden Seite, auch nicht auf der Seite der Marktforschung."

Zahlt der Veröffentlicher für die Umfrage?

Auch Meinungsforscher Christoph Hofinger von SORA sieht in Sachen Transparenz noch Luft nach oben - vor allem nach dem Beinschab-Skandal sei wichtig zu wissen: Wer hat die Umfrage bezahlt? "Das ist einfach ein selbstverständlicher Teil von umfassender Transparenz. In der Regel sollte das ja auch kein Problem sein." Sagt Hofinger, aber für manche ist es schon ein Problem: #doublecheck hat bei Werner Beutelmeyer nachgefragt, ob und was Wolfgang Fellner für die Umfragen bezahlt. Daraufhin hat er sein bereits geführtes Interview zurückgezogen.

Christoph Hofinger im #doublecheck-Interview mit Nadja Hahn.

"Seriös ist, wer Unsicherheiten ausweist"

Selbst wer heute mit den Umfragen richtig liege, könne sich im Oktober dennoch irren, gibt Hofinger noch zu bedenken. Auch die letzten Meter zählten. Bei der Präsidentschaftswahl 2016 habe sein Insitut einen Monat vor dem ersten Wahlgang die letzten Umfragen gemacht - deshalb sei er falsch gelegen: "Wenn wir sagen, diese Wahl wird ein breiter, tiefer See, dann haben wir jetzt gerade mal am Ufer die Zehen reingesteckt", sagt Hofinger. In emotional aufgeheizten und unsicheren Zeiten wie jetzt sei noch Veränderung möglich. Sein Rat: "Alle, die sich informieren wollen, sollen sich an denen orientieren, die auch die Unsicherheiten ihrer eigenen Vorhersagen kommunizieren." Für SORA-Mann Hofinger birgt der "tiefe See Präsidentschaftswahl" auch so genug Würze.

Übersicht