ORF.at Website

ORF/ISABELLE ORSINI-ROSENBERG

Halbierung von ORF.at

Der finale Kampf um die Blaue Seite

Während die Medienreform samt Inseratenvergabe und Journalismus-Förderung fertig ist, wartet der ORF weiter auf eine Digitalnovelle. Mit seiner Ankündigung, das Angebot auf der Blauen Seite zu halbieren, hat Generaldirektor Roland Weißmann Schwung in die Verhandlungen gebracht. Ob sich die Privaten damit zufriedengeben, ist aber sehr fraglich.

Vor einem Vierteljahrhundert, im Sommer 1997, ging die Blaue Seite online. Der digitale Auftritt von ORF.at war damals revolutionär, die kachelförmige Meldungsübersicht oben, die Ticker-Meldungen unten wurden bald legendär. Bis heute ist ORF.at mit 1,4 Millionen Userinnen und Usern täglich die mit Abstand beliebteste Nachrichtenseite des Landes. Und trotzdem oder gerade deshalb beginnt jetzt, 25 Jahre später, die Demontage einer journalistischen Erfolgsgeschichte.

Roland Weißmann

Roland Weißmann

APA/TOBIAS STEINMAURER

Der Gong zur neuen Medien-Runde

Die Bombe platzen ließ ORF-Chef Roland Weißmann persönlich. Künftig werde es auf ORF.at nur rund 60 statt 120 Meldungen pro Tag zu lesen geben, und die veröffentlichten Geschichten sollen auch kürzer werden, kündigte Weißmann bei der Branchenveranstaltung "Medientage" an. Dass er die eigene Redaktion vorab nicht über seine Pläne informiert hat, verteidigt Weißmann. Mit den Führungskräften im Haus seien die Maßnahmen sehr wohl abgesprochen gewesen, mittlerweile habe es auch eine Betriebsversammlung gegeben. "Ehrlicherweise, wenn es im Vorfeld schon bekannt geworden wäre, dann hätte man nicht den Gong für eine neue Gesprächsrunde einleiten können. Insofern war es notwendig", sagt Weißmann zu seinem Überraschungscoup.

Das Feindbild behutsam transformieren

Während die ORF-Belegschaft, allen voran das 66-köpfige Online-Team, lautstark protestierte, begrüßten die Verleger den Schritt vorsichtig. Weißmann erhofft sich von ihnen im Gegenzug mehr Wohlwollen für die ORF-Player-Pläne. Um dieses digitale Prestige-Projekt umsetzen zu können, braucht Weißmann neue Gesetze, die es dem ORF erlauben, Inhalte auch "online-first" und "online-only" zu publizieren. Außerdem soll die Löschpflicht nach sieben Tagen endlich fallen. Einen entsprechenden Deal mit dem VÖZ, dem Verband Österreichischer Zeitungen, gebe es aber noch nicht, sagt Weißmann. Er werde den ORF sicher nicht billig verkaufen, die "Transformation Richtung mehr Bewegtbild" werde er "behutsam" angehen. "Aber es ist ja auch kein Geheimnis, dass die Zeitungsverleger einen kritischen Blick auf die Blaue Seite werfen", so Weißmann.

Verdrängungseffekt ist nicht bewiesen

Manche würden sogar sagen: ORF.at ist das Feindbild Nummer eins der Zeitungen. Weil es dort jede Menge Information ohne Paywall gibt, gelinge es privaten Medien nicht, mit ihrem Journalismus im Netz Geld zu verdienen, heißt es immer wieder. Eine gewagte These, findet Medien-Experte und ZDF-Verwaltungsrat Leonhard Dobusch. Natürlich herrsche im Internet ein Kampf um die Aufmerksamkeit. Wer auf orf.at surfe, könne nicht gleichzeitig private Angebote nutzen. "Aber dass deshalb, weil man die öffentlich-rechtlichen Angebote verschlechtert, die Leute dann automatisch zu den österreichischen Anbietern privater Medienhäuser wechseln, das ist natürlich überhaupt nicht ausgemacht. Kann auch sein, dass sie dann länger bei YouTube und Facebook rumhängen."

In Ländern, in denen es keine öffentlich-rechtliche Konkurrenz gibt, sei das Zeitungssterben außerdem genauso weit vorangeschritten, wie das Beispiel USA zeige. Studien deuten zudem darauf hin: Dort wo Öffentlich-Rechtliche stark sind, ist die Zahlungsbereitschaft sogar eher größer.

ORF-Argumente sind "Kaffeesud-Lesen"

Argumente, die die Zeitungen nicht gelten lassen wollen. Solche Studien halte er zum großen Teil für "Kaffeesud-Lesen", sagt etwa Clemens Oistric, Chefredakteur von Heute.at. Mit einer Halbierung der Meldungen würde der ORF den Zustand herstellen, den das Gesetz vorschreibt. "Nämlich kein zeitungsähnliches Angebot zu betreiben", so Oistric. Eine Kastration sei das nicht. Mit sport.orf.at und den Meldungen der Landesstudios werde die Blaue Seite auch bei einer Halbierung immer noch weit über hundert Meldungen täglich veröffentlichen, glaubt Oistric. Heute.at komme auf 180 Geschichten pro Tag.

Christian Rainer

Christian Rainer

APA/TOBIAS STEINMAURER

Zeitungen kämpfen "ums Überleben"

Als Scharfmacher in der Debatte gilt Christian Rainer, Herausgeber und Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "profil". Die Blaue Seite ist für ihn die "Inkarnation einer Wettbewerbsverzerrung". Das sei angesichts der sich zuspitzenden Finanzierungskrise nicht mehr hinzunehmen. Werbe-Gelder brechen weg und wandern zu Tech-Giganten, die Abo-Verkäufe und Auflagen gehen zurück, gleichzeitig explodieren die Kosten, etwa für Papier. "Es geht um die Zukunft und ums Überleben", sagt Rainer. Die einzige Chance sei es, die Leserinnen und Leser dazu zu bringen, im Netz für Journalismus zu zahlen. Und genau dabei stehe die Blaue Seite im Weg, sagt Rainer. "Solange man sehr viel vom ORF ohnehin gratis bekommt, ist das sehr schwierig."

Es geht um Online-Abos, nicht Inserate

Christian Rainer macht damit klar: Strengere Werberegeln im Netz als Alternative zu weniger Meldungen auf ORF.at wären keine Option. Für die Zeitungen gehe es nur um Online-Abos, sagt auch Richard Grasl. Er ist in der Kurier-Chefredaktion für Digitales zuständig. "Wir sind dafür, dass sich die Information auf ORF.at auf Überblicksberichterstattung konzentriert, für die würden Zeitungen auch nie Geld verlangen können", so Grasl.

Demokratiepolitisch wäre die Beschneidung der wichtigsten Info-Quelle der Österreicherinnen und Österreicher allerdings fatal, warnen indes nahezu alle Medien-Fachleute. In Zeiten von Fake News, Desinformation und Parteipropaganda auf allen Kanälen sei unaufgeregte und objektive Berichterstattung eigentlich wichtiger denn je, meint Leonhard Dobusch. Er kann sich auch nicht vorstellen, dass sich die Zeitungen mit dem Vorschlag, der jetzt auf dem Tisch liegt, zufriedengeben. "Es wird immer weitere Gründe und Ideen geben, wie und wo man den ORF noch weiter beschneiden kann."

Christian Rainer vom "profil" gibt das auch deutlich zu verstehen. "Meldungen halbieren, schön und gut. Das ist mal ein Einsehen, dass der ORF zu viel darf. Aber von dort aus muss und sollte man weiter diskutieren."

Einer der Chefredakteure schert aus

Rainer verweist auch auf den Offenen Brief des Vereins der Chefredakteurinnen und Chefredakteure, in dem diese im Sommer vor einer Digitalnovelle samt erweiterten Möglichkeiten für den ORF im Online-Bereich gewarnt haben. Die Medienvielfalt sei in Gefahr, hieß es darin. Unterzeichnet wurde das auch vom Wochenblatt "Falter". Dass daraus jetzt ein Abbau von ORF.at wurde, geht Chefredakteur Florian Klenk allerdings zu weit. "Kein vernünftiger Journalist kann dafür plädieren, dass ein exzellentes redaktionelles Angebot, das der ORF auf der Blauen Seite anbietet, gekürzt wird", sagt Klenk.

Zurückstutzen von ORF.at für Raab fix

Mit der Unterzeichnung des Briefes habe er zeigen wollen, dass die privaten Medien endlich eine faire und transparente Medienförderung brauchen, und dass das korrupte Inseratensystem ein Ende finden müsse, sagt Klenk. Markante Schritte in genau diese Richtung hat die schwarz-grüne Bundesregierung diese Woche in die Wege geleitet.

Dass die Blaue Seite deshalb mit einem blauen Auge davonkommt, ist trotzdem unwahrscheinlich. Als diese Woche die Medienreform präsentierte wurde, ließ Ministerin Susanne Raab ganz zum Schluss knapp wissen: "Und darüber hinaus haben wir uns innerhalb der Koalition verständigt, dass es eine Digital-Novelle für den ORF geben wird und dass dem gegenüber auch eine Redimensionierung von ORF.at stehen wird und dem Vorstoß des Generaldirektors auch nachgegangen wird." Die Pflöcke sind also eingeschlagen.

Übersicht