Friedenstaube an einer Hausmauer

AP/MICHAEL PROBST

Ö1 Schwerpunkt

Frieden denken

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist die Idee von Frieden, als identitätsstiftendes Element der europäischen Gemeinschaft, in seine bislang schwerste Krise geraten. Putins Krieg stellt nicht nur die politische und territoriale Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepublik in Frage. Er ist ein Angriff auf die gesamte Weltordnung, die Europas Rolle und Selbstverständnis seit Ende des Kalten Krieges definiert hat. Die Staatengemeinschaft ringt bis heute um eine Antwort, wie sie darauf angemessen und effektive reagieren soll.

Sind Waffenlieferungen und militärische Unterstützung mit der pazifistischen, friedensstiftenden Idee Europas vereinbar? Und wie weit kann oder soll die moralische Verpflichtung zu Solidarität und Beistand in Zeiten kriegerischer Aggression gehen? Diese Fragen haben Österreich, Deutschland sowie andere europäische Länder schon während der Jugoslawienkriege Anfang der 90er Jahre tief gespalten. Ebenso wie die Ansichten darüber, auf welcher Grundlage man diese Fragen überhaupt beantworten soll.

Die unterschiedlichen Vorstellungen von Frieden

Friedensvorstellungen entwickeln sich nicht in einem historischen Vakuum, sondern vielmehr in unmittelbarer Reaktion auf geopolitische und lokale Machtverhältnisse. Das hat Frieden - als politisches Ziel und Gesellschaftsvision - immer wieder selbst zum Gegenstand von Konflikten gemacht. Die unterschiedlichen Positionen dazu verteilten sich unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg keineswegs gleichförmig entlang der Frontlinien zwischen kapitalistischen Demokratien im Westen und den kommunistisch regierten Staaten des Warschauer Pakts. Die politischen Visionen und Gesellschaftsentwürfe der Nachkriegszeit durchkreuzten die bipolare Weltordnung des Kalten Kriegs mit einer Vielzahl politischer, sozialer und kultureller Allianzen zwischen Europa und dem Rest der Welt.

Frieden durch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

Das macht Friedensvorstellungen zu einem ebenso ambivalenten wie machtvollen, rhetorischen Instrument, um politischen und strategische Interessen einzufordern und durchzusetzen, was keineswegs immer gewaltfrei verläuft. Spätestens seit Gründung der Europäischen Union, als politische Staatengemeinschaft, scheint sich in Europa die liberale Idee von Friedenssicherung durch Demokratie, freie Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit durchgesetzt zu haben.

Die zentrale Annahme dabei ist, dass die Vernetzung wirtschaftlicher Interessen und Bedürfnisse unweigerlich auch die politische Zusammenarbeit und Kompromissbereitschaft fördert und damit demokratische Strukturen verfestigt und die Chance auf Frieden erhöht.

Die ökologischen Kosten des Friedensprojekts Europas

Dass diese liberale Friedensauffassung maßgeblich zur Entwicklung Europas in eine friedensstiftende Gemeinschaft beigetragen hat, ist unbestreitbar. Das hat sich nicht zuletzt an der in Integration ehemaliger Ostblockstaaten gezeigt. Was dabei aber lang übersehen wurde ist, dass diese friedensstiftende Wirkung von politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit nur um den Preis der rücksichtlosen Ausbeutung von Natur und Rohstoffen möglich war, deren langfristige Folgen den sozialen und politische Frieden zunehmend bedrohen.

Der aktuelle Krieg in der Ukraine hat die Dringlichkeit die ökologischen Kosten des Friedensprojekts Europas zu überdenken, auf besonders dramatische Weise verdeutlicht. Wie lässt sich Friedenspolitik in Zukunft gestalten, sodass politische Souveränität, Freiheit und der Schutz von Leben und Menschenrechten nicht mehr auf Kosten der souveränen Rechte von Natur und endlichen Ressourcen gehen?

Gestaltung: Monika Halkort

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