ORF/APA
Hörspiel, binaural
Ihre Ohren werden Augen machen
Poetologische Randbemerkung zum gereimten Hörspiel "Das Begräbnis" von Marc Carnal. Ö1 stellt parallel zur Ausstrahlung im Radio online eine binaurale Version zur Verfügung. #ASMR #headphoneson.
2. Juni 2023, 02:00
Binaural, was ist das?
Eine binaurale Aufnahme erlaubt ein natürliches Hörerlebnis mit Kopfhörern, natürlicher als dies bei der Wiedergabe mit Lautsprechern möglich ist: Es ist die Reproduktion unseres räumlichen Hörens. Dabei ist die Ortung der Schallquellen nicht nur zwischen links und rechts, sondern auch zwischen vorne und hinten, oben und unten möglich.
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Den ersten Lockdown im März 2020 habe ich nicht mit Sauerteig-Zucht oder Skype-Gelagen verbracht, sondern mich der völlig idiotischen Aufgabe gestellt, ein ganzes Hörspiel in Paarreimen zu schreiben. "Die Hochzeit" hat in rund 1.200 Verszeilen im beinhart durchgepeitschten AA-BB-Schema die Chronik eines katastrophenreichen Abends erzählt. Ein äußerst sportliches Unterfangen, das nur mit viel Sitzfleisch und einem straffen Arbeitsplan zu bewältigen war, ein lyrischer Iron Man mit vielen kleinen Rückschlägen und Momenten der Ratlosigkeit, aber auch so manchem Schreibflow aus dem Nichts, der für zähe Reim-Grübeleien und rhythmischen Frickeleien entschädigt hat.
Wie sich dieses XL-Gedicht dann aber als naturalistisch umgesetztes Hörspiel machen würde, wusste ich nicht. Bis zur fertigen Aufnahme hatte ich große Angst, dass da etwas unangenehm Gekünsteltes rausschauen könnte, eine peinlich unorganische Geschichte in viel zu gestelzter Sprache, die sich am Papier gut liest, aber im Radio schlecht hört.
Die Aufnahme mit grandiosen Schauspieler:innen und einem durch die Bank famosen Team rund um Tonmeister Martin Leitner, viele begeisterte Reaktionen nach der Ausstrahlung und die Wahl zum "Hörspiel des Jahres 2021" haben mich glücklicherweise eines Besseren belehrt. Beflügelt davon wollte ich mir diese masochistische Schreib- und wunderschöne Produktions-Erfahrung ein zweites Mal geben und ein gereimtes Spin-off verfassen, ein morbides Gegenstück zur Hochzeit, "Das Begräbnis".
Der Arbeitsprozess war ähnlich wie beim Erstversuch - eine fast schon mechanische Tätigkeit, die am besten mit einem kleinen, aber konsequent exekutierten Tagespensum zu bewerkstelligen war. Und wie schon zwei Jahre zuvor saß mir beim Schreiben stets die Befürchtung im Nacken, dass mir da eine überkonstruierte Geschichte aus der Feder fließen könnte, eine ungelenke oder sterile Reißbrett-Story. Und verblüffenderweise war (wieder) das Gegenteil der Fall. Zumindest empfinde ich das so, und ich bin eigentlich ein sehr ungnädiger Selbst-Leser.
Ich finde, sowohl "Die Hochzeit" als auch "Das Begräbnis" sind bezüglich Setting, Figuren, Geschichte, Plot-Twists und dem Erzählbogen auf eine sehr weirde Weise recht lebensnah. So künstlich die Form auch sein mag - da sprechen Menschen einfach ganz selbstverständlich in Gedichtform miteinander und werden permanent von einem über allem schwebenden Erzähler unterbrochen - irgendwie geraten diese Geschichten und ihre Figuren dann trotzdem authentisch.
Zuerst habe ich dieser Erkenntnis misstraut, dann habe ich sie auf mögliche Ursachen abgeklopft und bin schließlich draufgekommen, welchen banalen und auch etwas bezaubernden Grund das haben könnte.
Sehr viele Detail-Entscheidungen, kleine Wendungen und Nebensätze, auch manch größere Nebenhandlung oder akustische Slapstick-Einlage (derer es in "Das Begräbnis" einige gibt) entstehen aus der normativen Kraft des Reims.
Vieles ergibt sich nicht vorrangig aus meiner freien Entscheidung, sondern aus der schieren sprachlichen Notwendigkeit. Das unfassbar enge und oft mühselige Korsett der Gedicht-Form erleichtert gleichzeitig auch viele Entscheidungen - Manchmal tun oder sagen Figuren einfach nur das, was der (einzig) mögliche Reim nahelegt. Genau diese von der Form diktierten erzählerischen Weggabelungen, die eben ein bisschen gegen den naheliegenden Story-Strich gebürstet sind und die man in einem Prosa-Text so niemals treffen würde, verleihen den beiden Hörspielen aus meiner Sicht eine charmante Authentizität. Denn auch im Leben passiert meistens weder das Naheliegendste noch das Abwegigste, sondern oft einfach irgendwas. Vieles ist reiner Zufall und manches viel zu abwegig, um unwahr zu sein.
Es ist ein schönes Geschenk, eine Form gefunden zu haben, die gleichzeitig derart limitierend und dann auch wieder herrlich befreiend ist, weil sie einem viele schwierige Entscheidungen abnimmt.
Als sich in "Das Begräbnis" Bernadette in der Kirche nach ihrem Freund Johannes umdreht und ihr Onkel dazu ansetzt, den Grund für dessen Abwesenheit zu erklären, wusste ich am Beginn dieser Passage noch nicht, wo oder wer dieser Johannes denn sein könnte. Alleine sein Name war nur dem gerade praktischen Reim auf "kann es" geschuldet. Und dann sagt der Onkel, weil es sich rhythmisch so schön anbietet: "Nun, was deinen Freund betrifft:" Das schmale Angebot an Reimen legt die nächste Zeile nahe: "Der steht vor der Tür und kifft". Daraus ergibt sich in weiterer Folge ein ganzer Nebenhandlungsstrang: Die Klosterschwester Edeltraud erwischt Johannes beim Kiffen, gemeinsam frönen sie dann dem Weihrauch-Missbrauch und die schwer eingerauchte Klosterschwester hat mir schließlich beim finalen Leichenschmaus einen selbstreferenziellen Achtzeiler erlaubt, zu dem es wohl nie gekommen wäre, wenn sich nicht so wenig auf "betrifft" reimen würde:
"Ich hab mir grad eine Welt
voller Lyrik vorgestellt,
wo man nur in Reimen spricht,
Wär doch ganz schön lustig, nicht?
Alle reden nur in schlichten,
rhythmischen Spontan-Gedichten.
Diese Welt wär voll Magie,
voller Alltags-Poesie!"
säuselt Edeltraud und grinst.
Doch Johannes sagt: "Du spinnst."
"Das Begräbnis" von Marc Carnal - mit Christoph Grissemann als Erzähler und Michaela Bilgeri, Reinhold G. Moritz, Sarah Viktoria Frick, Martin Vischer, Ton: Martin Leitner. Schnitt: Manuel Radinger. Regie: Marc Carnal
Der Autor
Marc Carnal wurde 1986 in Zürich geboren und lebt in Wien. Er ist freier Autor und schreibt Glossen, Romane, Theaterstücke, Hörspiele, Gedichte und Witze fürs Fernsehen. Unter anderem ist er regelmäßig für FM4, Die Tagespresse sowie als Headautor und Gestalter für "Willkommen Österreich" tätig. Im Milena Verlag sind bisher die Romane "Unglaublich glücklich" (2015, mit Max Horejs) und "King Kong in Wien" (2017) sowie die Textsammlung "Die 7 Säulen des Glücks" (2019) erschienen. 2018 wurde sein Live-Hörspiel "Der verhängnisvolle Tod des Werner Gruber" unter der Regie von Klara Rabl u. a. beim Theaterfestival HIN & WEG und im Kabarett Niedermair aufgeführt. Sein durchgehend im Paarreim erzähltes Hörspiel „Die Hochzeit" gewann bei der Ö1 Hörspiel-Gala 2022 den Publikumspreis.