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Wissenschaft unter Druck
Hetzjagd gegen Klimaexperten
Je dringender die Klimaschutz-Appelle, desto lauter dröhnen die Zweifel auf der Gegenseite. Im Fokus stehen Klimajournalisten, sowie Wissenschafter und Wissenschafterinnen. Sie sind immer mehr Hass und Bedrohungen im Netz ausgesetzt. Die Methode: Man spricht ihnen die Glaubwürdigkeit ab, diskreditiert sie als Aktivisten und beschimpft sie persönlich. Das trifft besonders Frauen.
3. Juli 2023, 02:00
"Liebes Kind, sorry", schreibt Benedikt Narodoslawsky auf Twitter mit Blick auf eine düstere Zukunft und er fügt zugespitzt hinzu: "Wir wollten einfach 130 auf der Autobahn fahren, es ging nicht anders". Dann erwischt es ihn. Nach viel Zuspruch aus der klimabewussten Ecke kippt die Stimmung, wie der Falter-Journalist erzählt. "Dann kommen die Brutalos mit dem Holzhammer und hauen richtig drauf“. Das klingt dann so: "Scheiß Lügner" - "Ein grüner Verbots-Bobo" - "Bezahlter Schreiberling verbreitet Weltuntergangsstimmung" - "Sie sind Aktivist, nicht Journalist". Auch Bot-Fabriken seien wohl am Werk. "Wenn der 'Hans573112' mir schreibt, dann bin ich mir sicher, dass das keine Privatperson ist."
#doublecheck
Wenn Politik-Experten regieren anhören
"Der ORF-Wetterfrosch dreht durch"
Auch ORF-Wetterexperte Marcus Wadsak ist wegen seiner Klimaberichterstattung regelmäßig unter Beschuss. "Der ORF-Wetterfrosch dreht jetzt komplett durch. Wir sollen Würmer für das Klima essen", hieß es verächtlich nach dem Wadsak das "ZIB Magazin Klima" zum Thema Ernährung moderiert. Es geht noch viel deftiger, mit Kommentaren wie: "ORF-Propagandasender der Klima-Nazis?" "Nazi" wurde wohl bewusst so geschrieben "K4zi". Auch zu lesen sind Beleidigungen wie "Zwangsgebührengünstling" und "Sektenführer".
Die Bezeichnung "Wetterfrosch" stört Wadsak nicht. "Was mir schon mehr in den Magen schlägt, ist wenn wenn dann so getan würde, als hätten wir keine Ahnung von dem, was wir machen." Die Wetter-Redaktion bestehe ausschließlich aus studierten Meteorologen und Meteorologinnen. "Wir haben das gelernt. Wir wissen, wovon wir sprechen. Wir nehmen diese Aufgabe, objektiv zu berichten, sehr, sehr ernst", sagt Wadsak. Er verbringt viel Zeit damit, im Netz über die Klimakrise aufzuklären. Aber nur wenige wollen ernsthaft diskutieren. Wenn der Austausch sinnlos wird, helfe es nur noch Hetzer zu blockieren.
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Seit Musk-Übernahme explodiert Hass auf Twitter
Alles ist noch schlimmer geworden, seit der konservative US-Milliardär Elon Musk Twitter übernommen hat, sagt Lukas Bayer vom Netzwerk Klimajournalismus: "Man sieht vor allem, dass sich die Zahl der Kommentare, in denen der menschengemachte Klimawandel geleugnet oder verharmlost wird, verdreifacht hat." Bayer beruft sich auf eine Studie von "Advance Democracy" in den USA. Der freie Journalist zeigt regelmäßig Missstände in der Klimaberichterstattung auf. Drohungen folgten, etwa: "Wir beobachten dich". Auch der US-Sender CNN berichtet über Morddrohungen und Hetze gegen Klima- und Wetterjournalisten - und zitiert Stimmen aus Spanien, Frankreich, Großbritannien oder Australien. In Österreich hört man das zum Beispiel auf dem alternativen Sender AUF1. Dort wird berichtet: "Der Wahn mit dem Klimaalarmismus nimmt zu".
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Reinhard Steurer
Morddrohungen gegen Wissenschafter
Die Hetze trifft Wissenschafter noch härter. Reinhard Steurer von der Universität für Bodenkultur in Wien warnt vor den Folgen der Klimakrise, fordert vehement politische Maßnahmen ein und verteidigt die Aktivisten, die sich an die Straße kleben. Das hat Folgen. "Nach jedem Medienauftritt mit Reichweite, ob das des Morgenjournal ist oder eine Fernsehsendung, kriegt man mehrere Emails bis hin zu Morddrohungen". Das Ziel sei die Glaubwürdigkeit der Wissenschafter in Frage zu stellen: "Man kriegt natürlich oft den Vorwurf, man sei Teil eines Plans, an dessen Ende eine Ökodiktatur stehe, nach dem Motto - Wir haben da irgendwas erfunden, um die Gesellschaft unter Kontrolle zu bringen. Das geht dann oft schnell in Verschwörungstheorien". The Great Reset ist eine davon. Auf Deutsch ist damit "Der große Umbruch" gemeint, das ist eine Verschwörungstheorie über eine vermeintliche neue Weltordnung, die schon aus der Coronakrise bekannt ist.
Die Non-Profit Organisation "Global Witness" hat weltweit mehr als 400 Wissenschafter und Wissenschafterinnen zu dem Phänomen befragt: Von denen, die viel publizieren, werde die Hälfte im Netz attackiert, nach Medienauftritten sind es sogar mehr als 70 Prozent.
Das Gift des Zweifelns
Besonders häufig trifft es Frauen. Wie die bekannte Klimaökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung: "Gerade gegen meine Person ist aktuell eine Riesenwelle da." So schlimm wie jetzt sei es noch die gewesen.
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Claudia Kemfert
Das Ziel sei die Überbringer der schlechten Nachricht "zu köpfen, zu steinigen und damit in der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, die wissenschaftlichen Erkenntnisse seien nicht sicher und die Person, die das behauptet, kenne sich sowieso nicht aus", sagt Kemfert. Die Kommentare will sie nicht wiederholen, um den Hetzern keine weitere Bühne zu geben. Sie will lieber die Methoden und Motive aufzeigen. "Das Gift des Zweifels ist genau das Futter für den Schweinehund. Also diejenigen, die nicht wollen, dass sich etwas verändert. Diejenigen, die an alten Geschäftsmodellen festhalten". Dahinter stünden Kampagnen und Geschäftsinteressen.
Kampagnen schwappen nach Europa
Zweifel säen, das ist eine bekannte und gut erprobte PR-Strategie, auf die zum Beispiel auch schon die Tabakindustrie und das Lager der Corona-Leugner zurückgegriffen hat. Wie auch jetzt beim Klima sind auch die Netzwerke ähnlich, sagt die Kommunikationswissenschafterin an der Universität München, Valerie Hase. "Mein Eindruck ist, dass das ein Konglomerat ist aus rechten PolitikerInnen, die das aus politischen Gründen unterstützen, wirtschaftlichen Unternehmen, die aus wirtschaftlichen Interessen dahinter stehen, und auch teilweise Medien, die davon profitieren, dass sie Zweifel am Klimawandel streuen." Aus den USA wisse man, dass vor allem Think Tanks rund um die Energiewirtschaft gezielt Stimmung gegen Wissenschaft und Journalismus machen. Für den europäischen Bereich fehlen die Belege noch. "Aber da gibt es schon auch die Vermutung, dass das in eine ähnliche Richtung geht", sagt Hase.
"Wir gegen die Elite"
Die Kampagnen befeuern die Polarisierung der Gesellschaft, beobachtet auch Florian Aigner. Der Physiker ist Experte für Wissenschaftskommunikation. Unsinn habe es schon immer gegeben, aber durch die sozialen Netzwerke verbreite sich dieser eben immer schneller. Polarisierende Positionen kämen oft in Kombination vor. Zum Beispiel würden Corona-Impfgegner, Russland-Befürworter und Klimakrise-Verharmloser oft gemeinsam von den gleichen Medien bedient. Sie würden auch die populistische Erzählung teilen, die lautet: "Wir gegen eine nicht näher definierte Elite". Für die Gesellschaft sei diese Zuspitzung gefährlich, "weil sich manche Leute aus dem Diskurs herausnehmen und sagen - ich tu mir das nicht mehr an." Für einen sinnvollen Diskurs, müsse sich die Gesellschaft auf bestimmte wissenschaftlich belegte Tatsachen einigen. Ohne diese Basis könne man Probleme nicht lösen, sagt Aigner.
Wenn der Spott die Argumente verdreht
Befeuert wird die Skepsis von allen Seiten, die glauben, davon profitieren zu können, wie Falter-Journalist Benedikt Narodoslawsky beobachtet. Etwa wenn er angesichts der steigenden Hitze für ein Tempolimit eintritt und ihm der SPÖ-naher PR-Berater Josef Kalina auf Twitter das Wort im Mund verdreht. Dieser habe geschrieben: "Wird es denn dann gleich wieder mehr regnen oder braucht es noch Regentänze auf den Autobahnraststätten?" Weil der PR-Berater so eine große Reichweite hat, habe er damit einen Schneeballeffekt ausgelöst. Den Text des Journalisten mit wissenschaftlichen Argumenten sei untergegangen. Auch so verschiebe sich der Diskurs, sagt Narodoslawsky. Ähnlich laufe es bei dem FPÖ-nahen Berater Heimo Lepuschitz. Dieser habe ein gutes Sensorium, was man aus dem Kontext reißen kann. "Wenn irgendwas missverständlich ist, dann gibt es halt den Retweet mit seinem Framing und dann aktiviert es natürlich die Leute, die sowieso nichts mit Klimaschutz am Hut haben wollen", so Narodoslawsky.
Der Boulevard rückt die Zweifler in die Mitte
Auch der Boulevard gießt Öl ins Feuer, im Fokus ist zum Beispiel Marcus Wadsak, der häufig im ÖVP-nahen Onlineportal "Exxpress" lächerlich gemacht wird. So rückt das Misstrauen in die Mitte der Gesellschaft, sagt Reinhard Steuer von der Boku: "Wenn ich so tue, als ob alles halb so schlimm wäre, dann nehme ich das Problem nicht ernst und ziehe auch die falschen Schlüsse daraus." Die Kommunikationswissenschafterin Valerie Hase sagt, mit diesen Methoden soll außerdem der Eindruck vermittelt werden, dass die Zweifler in der Überzahl seien. Eine bewusste Übertreibung, die den politischen Druck erhöhen soll. Davon würden vor allem rechte Parteien profitieren.
Trotz statt Selbstzensur
Der Kampf gegen die Hetze frisst Zeit, zermürbt und soll einschüchtern. Selbst in der aufgeschlossensten Redaktion hinterlassen die Kämpfe Spuren, sagt der Journalist Narodoslawsky. "Durch diese Masse an Leuten, die da auf einen draufhauen, schaut man dann irgendwie aus wie der dumme August". Selbstzensur ist eine Gefahr, aber keine Option. Auch nicht für Marcus Wadsak: "Auch wenn diese kleine Gruppe sehr laut ist, die große Gruppe meiner Follower ist sehr froh, sehr freundlich und dankbar für meine Berichterstattung". Auch Reinhard Steurer trotzt: "Das ist mir völlig egal. Ich mache das, was ich für richtig halte". Claudia Kemfert betont, an ihr perle die Hetze ab: "Ich komme aus Norddeutschland, Gegenwind ist für mich Energie. Mich spornt das an". Sie alle werden noch ein dickes Fell brauchen. Denn es ist anzunehmen, dass im Superwahljahr 2024 der Gegenwind ordentlich zunimmt.
Service
Programm-Hinweis - Am 11.6. ist Reinhard Steurer in der Ö1-Sendung "Gedanken"
Global Witness - Global Hating - Studie über Hetze gegenüber Wissenschafterinnen und Wissenschafter
CNN - "‘Murderers’ and ‘criminals’: Meteorologists face unprecedented harassment from conspiracy theorists"