Mann greift in eine Ledertasche

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Zwischen Expertise und Befangenheit

Wenn Politik-Experten regieren

Die Berichterstattung über die langwierige Suche der SPÖ nach einem neuen Vorsitzenden hat es wieder einmal vor Augen geführt: Österreichs Medien, besonders die diversen Talk-Formate im Fernsehen, aber auch wichtige Informationssendungen setzen massiv auf Politik-Experten. Deren Agenda und mögliche Befangenheiten stehen dabei fast nie im Vordergrund. Eine Erklärung dafür ist: diese Leute werden dringend gebraucht, wenn sich die Politiker – was oft vorkommt – verweigern oder wenn sich politische Entscheidungen ziehen und Sendungen gefüllt werden müssen.

Es ist eine mediale Parallelwelt der PR-Berater und Politik-Erklärer, die dieser Tage mit der surrealen Welt der Innenpolitik verschmolzen ist. SPÖ-Vorsitzkandidat Andreas Babler zieht in einem Video über die EU her - linke Kritik, die sich für Staatsämter nicht eignet und bei der Kampfabstimmung am Parteitag schaden könnte, wie Babler-Anhänger argwöhnen. Gemacht hat das Video vor drei Jahren der PR-Berater Rudi Fußi, meinungsstark, fernsehtauglich und SPÖ-affin, aber im Team Doskozil. Fußi schwört, er habe das Video nicht ausgegraben. Nach dem Parteitag wird diese Episode rasch in Vergessenheit geraten.

Meinungsstarke Formate im Privatfernsehen

Und doch ist sie symptomatisch für ein Land, das gefühlt mehr Politik-Experten hat als Politiker. Seit Jänner macht der Privatsender Puls 24 mit einem neuen Talk-Format so richtig Dampf, es heißt "Wild umstritten" und läuft vier Mal in der Woche zur Hauptsendezeit. Pro Sendung drei Experten und Expertinnen, alle richtig meinungsstark. Das ist das wichtigste Kriterium, erfüllt wird es von abgetakelten Politikern, auch Journalisten sind dabei. Für Formate wie dieses gibt es Geld aus der Privatrundfunk-Förderung, auch Fellner und Servus TV nehmen das in Anspruch.

WildUmstritten - Die Puls 24 Insider: Werner Sejka

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Ein billiges Programm, um die viele Sendezeit zu füllen, könnte man meinen. Puls24-Chefredakteur Stefan Kaltenbrunner widerspricht. "Ich halte das nicht für ein billiges Programm. Wenn man es seriös macht. Man kann natürlich solche Runden machen, wo man halt diskutieren lässt, aber dass ein Mehrwert entsteht, ein Informations-Mehrwert für den Zuseher, dann ist das schon eine ziemliche Vorbereitung, die dahintersteckt." Ein Mehrwert ist freilich nicht immer klar erkennbar, etwa wenn ein Heinz-Christian Strache auf Puls 24 wieder öffentlich reden darf und die Kickl-FPÖ analysiert und sein Ibiza-Kollege Johann Gudenus auf Fellners oe24.TV über die SPÖ spricht. Willkommen in der Riege der Politik-Erklärer.

Die Frage nach der Grenze der Transparenz

Es ist eine bunte Schar, der auch viele PR-Berater angehören, nicht alle treten überall auf, manche werden dafür bezahlt, andere nicht. Die Privatsender nennen es Aufwandsentschädigungen. Was die Experten machen, wenn sie nicht vor der Kamera was erklären, bleibt im Verborgenen. So wie beim Journalisten Josef Votzi, der die längste Zeit seine Beratertätigkeit für den ÖVP-Europapolitiker Othmar Karas versteckt hat. Er schreibt immer noch für das Magazin Trend und tritt bei Puls24 auf. Stefan Kaltenbrunner: "Wenn Josef Votzi bei uns on air auftritt, dann wird es immer dazugesagt, wen er gerade berät. Aber man müsste das wirklich bei allen anderen auch machen, von Peter Filzmaier weiß ich nicht, was er sonst macht. Das wird nicht ausgewiesen. Also wo ist die Grenze und wo fängt es an, dass man wirklich Transparenz ausleben muss?"

Silvia Grünberger

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Silvia Grünberger

Die "Wiener Zeitung" und verdeckte Regierungs-PR

Die Grenze ist zum Beispiel klar erreicht, wenn die PR-Beraterin Silvia Grünberger, die mit ihrer Agentur die "Wiener Zeitung" berät, in einer Diskussion auf Puls24 genau dazu was sagen darf und der Auftrag nicht deklariert wird. Grünberger hat die Einstellung der Druckausgabe des Blattes und die damit einhergehende Kündigungswelle in der Redaktion verteidigt, ganz im Sinne des Eigentümer-Vertreters – nämlich der Bundesregierung.

Solche Befangenheiten müssten jedenfalls klar ausgewiesen werden, fordert Christina Aumayr schon länger. Aumayr ist selbst PR-Beraterin mit viel TV-Präsenz. Für Auftritte von Vertretern ihrer Branche brauche es Transparenz-Regeln, sagt sie. "Kein Berater richtet seinen Kunden in einer TV-Sendung unangenehme Wahrheiten aus. Und genau das erleben wir ja sehr häufig in unzähligen Talkformaten, indem Beraterinnen und Berater, die von den Aufträgen einer bestimmten Partei profitieren, die betreffende Partei schönreden und die politischen Mitbewerber schlechtreden."

Experten entscheiden selbst, wie befangen sie sind

Eine Position, der auch Politikberater Thomas Hofer (er berät Unternehmen und Verbände im Umgang mit Politik, aber nicht Parteien oder Politiker) etwas abgewinnen kann. Aber: "Bis zu einem gewissen Grad wird es aber immer auf die Ebene kommen: Was hat man selber für einen ethischen Standard, und was legt man offen." Hofer sagt, dass er ganz selten gefragt werde, für wen er arbeitet. Wenn es – bei ihm in seltenen Fällen - eine Befangenheit gebe, dann mache er das selbst zum Thema. Auch der Experte für Internationales Recht, Ralph Janik, erzählt, dass er noch nie gefragt wurde, ob er Parteien berate oder andere Befangenheiten habe.

Wenn sich der Jurist wie ein Zirkusaffe vorkommt

Janik war früher auch als Journalist tätig, er kennt das Geschäft von beiden Seiten und hat sich als Experte etablieren können. Manchmal komme er sich vor "wie ein Zirkusaffe", alles wiederhole sich ständig, sagt Janik. Die Vielzahl an Anfragen sei manchmal sehr fordernd. Expertenkollege Peter Filzmaier formuliert das verklausulierter: "Im Idealfall argumentiert man datengestützt. Das ist am Wahltag aber viel leichter, als wenn man mit sehr kurzfristiger Vorbereitungszeit in eine Sendung muss. Da kann man nur aus dem Erinnerungsfundus und mit indirektem Erfahrungswissen weiterkommen." Stichwort kurzfristig: die politischen Akteure sagen Interview-Anfragen immer öfter ab, Themen müssen trotzdem vertieft, Sendezeit muss gefüllt werden.

Thomas Hofer

Thomas Hofer

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Im Zweifel für die rasche Verfügbarkeit

Und so verschieben sich die Prioritäten: Die Expertise scheint gegenüber der Verfügbarkeit fast in den Hintergrund zu rücken. Thomas Hofer bestätigt das auch: "Insgesamt ist es auch so, dass natürlich Situationen entstehen, teilweise an Tagen, wo dann drei, vier unterschiedliche Themen daherkommen, wo man sich eigentlich nicht nur auf schon erschienene Medienberichte berufen sollte bei der Einschätzung, sondern das schon auch im besten Fall ein bisschen selbst recherchiert haben sollte." Was sich offenbar nicht immer ganz ausgeht. Kriterien für einen TV-Auftritt als Politik-Experte sind laut Hofer: "Verfügbarkeit, Flexibilität, rasche Einsatzbereitschaft - das alles ist ganz entscheidend."

Das sehen auch die Sendungsmacher so. Im ORF-"Report" war Hofer seit Jahresbeginn dreimal Studiogast – Peter Filzmaier zweimal. Sendungschef Wolfgang Wagner: "Es stimmt, dass die zwei Herren etwas häufiger im Studio sind. Das hat aber natürlich auch den Grund, dass das ja nicht jedermanns Sache ist, auf Verdacht sozusagen sich einen Abend freizuhalten und dann vielleicht doch nicht abgerufen zu werden." Der Witz, dass ORF-Chefanalytiker Filzmaier im ZIB2-Studio übernachtet, ist schon einige Jahre alt, hat aber ob seiner Dauerpräsenz auf allen öffentlich-rechtlichen Kanälen nichts von seiner Frische verloren.

Peter Filzmaier

Peter Filzmaier

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Filzmaier oder der Vorteil der Exklusivstellung

So bunt die Schar der Erklärer bei den Privaten ist, so allgegenwärtig ist der Politikwissenschafter Filzmaier im ORF. Im Unterschied zu den diversen Beratern hat Filzmaier das Problem mit den Befangenheiten durch einen Vertrag mit dem ORF gelöst. "Der legt einerseits fest, dass ich im Privatfernsehen und Privatradio eben nicht analysiere, und andererseits, dass ich genau gar nichts für politische Parteien tun darf."
Diese bewusste Exklusiv-Stellung bringe natürlich auch mehr TV-Präsenz mit sich, sagt Peter Filzmaier. Von Dominanz oder gar einem Monopol will er nicht sprechen, es gebe viele Kollegen und Kolleginnen aus der Politikwissenschaft, die so wie er auch im TV auftreten. Manche – wie Kathrin Stainer-Hämmerle und Katrin Praprotnik – kommen freilich aus der Filzmaier-Schule, Praprotnik ist Mitarbeiterin in seiner Firma, dem Institut für Strategieanalysen.

Alle immer auf der Suche nach neuen Gesichtern

Sendungsmacher wie Puls24-Chefredakteur Stefan Kaltenbrunner und "Report"-Chef Wolfgang Wagner sprechen sehr wohl von der Notwendigkeit, neue Gesichter – vor allem weibliche – für die Expertenriege zu gewinnen. Kaltenbrunner sagt: "Wir versuchen, sehr viele neue Wege zu gehen, auf Universitäten zu schauen. Wo sind die Nachwuchs-Wissenschafter, wer hat was publiziert, wer ist aufgefallen in letzter Zeit?" Auch die Redaktion des "Report" ist immer auf der Suche nach neuen Experten. Gerade fürs Studio-Gespräch, das Highlight des wöchentlichen Magazins, seien die Anforderungen aber groß, sagt Wolfgang Wagner. "Hat die Person fürs Studio die Nerven, auch die Eloquenz, um ein komplexes Thema in relativ kurzer Zeit gut besprechen, gut analysieren zu können." Da habe man permanent die Augen offen seitens der Redaktion. "Es könnte besser sein, und wir müssen sicher unsere Anstrengungen noch verstärken", räumt Wagner ein.

Frauen haben nur 30 Prozent Bild-Präsenz

Eine gängige Beobachtung ist auch, dass Frauen Interview-Anfragen eher ablehnen. Aus diversen Gründen, oft haben sie etwa Betreuungspflichten. Expertinnen in den Medien, die sind also weiter eher die Ausnahme. Die Agentur "Media Affairs" spricht von rund 30 Prozent Frauen-Bild-Präsenz, ein wirklich beachtlich niedriger Wert. Die Sichtbarkeit von Expertinnen steigern, das will die "Frauendomäne". Eine für alle abrufbare Online-Datenbank mit viel weiblicher Expertise, 1.200 Expertinnen sind mittlerweile gelistet.

Mitgründerin der "Frauendomäne", Hannah Zach, sieht die Medien in der Verantwortung, ihre Arbeitsweise bewusst zu hinterfragen. Nur weil Männer öfter ja sagen, könne man sich nicht einfach zurücklehnen: "Es gibt sehr starke strukturelle Gegebenheiten, die die Sichtbarkeit von Männern einfach ermöglichen, wenn nicht sogar boosten. Strukturelle Quellen-Netzwerke, die Journalisten haben, auf die sie schnell zurückgreifen." Werde diese Struktur nicht in Frage gestellt, so Zach, "werden wir immer wieder männliche Experten reproduzieren".

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