Punkt eins | 22 09 2023

Transkript der Sendung

Gäste: Barbara Schuster, Gründerin und Präsidentin des Vereins kinderhände, Sandra Doubek-Stiglitz, Gebärdensprachdolmetscherin und Patricia Neuhofer, Pädagogische Hochschule Wien. Moderation: Andreas Obrecht.

Andreas Obrecht:

Herzlich willkommen zur heutigen Sendung "Punkt eins", die ganz im Zeichen des morgigen internationalen Tages der Gebärdensprachen steht. Weltweit gibt es einige Hunderte davon. Die österreichische Gebärdensprache wurde 2005 in der Bundesverfassung verankert und soll jetzt auch an den österreichischen Schulen flächendeckend unterrichtet werden. Die Gebärdensprache vermittelt zwischen gehörlosen und Hörenden und zwischen Gehörlosen untereinander, und sie beschreibt, wie jede Sprache eine eigene Welt, einen eigenen kulturellen Kosmos, mit denen wir uns auch in dieser Sendung beschäftigen werden. Zu Gast im Studium sind Barbara Schuster, Gründerinnen und Präsidentin des Vereins Kinderhände, den wir in der Sendung ausführlich besprechen werden. Guten Tag, Frau Schuster! Gebärdensprachlich gedolmetscht wird Frau Barbara Schuster von Frau Sandra Doubek-Stiglitz, die uns auch etwas über ihren Beruf in der Sendung erzählen wird, und zudem begrüße ich Frau Patricia Neuhofer, die zwölf Jahre lang an der höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe den Lehrgang für Gehör-Behinderte geleitet hat. Meinen Gästen herzlichen Dank für das Kommen ins Studium!

Danke, danke.

Andreas Obrecht:

Frau Barbara Schuster, sie sind von Geburt an gehörlos und haben, wie gerade erwähnt, 2006 gemeinsam mit Andrea Rohrauer den Verein Kinderhände gegründet. Welche Motivation, welches Ziel lag der Gründung dieses Vereins zugrunde?

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Meine Kollegin, Frau Rohrauer, und ich haben den Verein gegründet mit dem Ziel, Familien, vor allem hörenden Familien, die ein Kind oder Kinder mit Hörbeeinträchtigung bekommen, zu ermöglichen, Kommunikation und Sprache für ihre Kinder zu erlernen. Es gab bis dahin überhaupt kein Angebot für Kinder, für Familien mit Kindern, um Gebärdensprache zu lernen, und so kamen wir auf die Idee, ein Angebot zu schaffen. Es kommt auch aus meiner Vergangenheit, wie Sie sagen, ich bin gehörlos geboren, und auch damals gab es keine Unterstützungsmöglichkeiten für meine Mutter, die aus Eigenmotivation sehr viel getan hat, um mir Sprache und Kommunikation näher zu bringen. Also ich habe da ganz viel aus meiner Biografie mitgebracht, und so sind wir beide auf die Idee gekommen, ein Angebot zu schaffen und den Verein zu gründen.

Andreas Obrecht:

Sind Sie da von öffentlicher Hand unterstützt worden, von allem Anfang an, oder war das eher eine private, auch privat finanzierte Initiative?

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Meinen Sie, ob der Verein gefördert wird?

Andreas Obrecht:

Ja

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Ja, am Anfang war es so, dass wir ehrenamtlich gearbeitet haben und den Verein aufgebaut haben. 2006 wurde der Verein offiziell gegründet, und der Aufbau war eben hart. Wir haben beide, meine Kolleginnen und ich haben beide studiert und neben unserem Studentinnenleben den Verein gegründet und aufgebaut. Ehrenamt und aus eigener Tasche, sozusagen, viel finanziert. Ein bisschen haben wir an Unterstützung bekommen, und der Verein ist heute auch noch teilweise, und vor allem am Anfang war er von Spenden finanziert und auf Spenden angewiesen.

Andreas Obrecht:

Sie offerieren ein reichhaltiges Lehrangebot, Sie haben schon erwähnt, für hörende Eltern mit schwerhörigen oder gehörlosen Kindern beziehungsweise für gehörlose Eltern mit hörenden Kindern. Die Gebärdensprache wird als neue Familiensprache entdeckt und auch eingeführt, wenn ein Kind gehörlos, so wie Sie, geboren wird. Worauf ist dabei bei der Vermittlung der neuen Sprache besonders zu achten?

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Bei uns im Verein Kinderhände ist es so, dass wir die Sprache spielerisch vermitteln. Wir bieten Spielgruppen an, und es kommen zu uns Familien mit ihren Kindern, egal ob die Eltern hörend oder gehörlos sind, ob die Kinder hörend oder gehörlos sind, es kommen auch Familien mit Kindern mit anderen besonderen Bedürfnissen oder Behinderungen zu uns, und wichtig ist uns die Sprachförderung. Was ich dazu sagen möchte: Es ist auch wichtig anzufangen, schon bevor die Kinder drei Jahre alt sind, die Sprache, die Gebärdensprache in dem Fall zu vermitteln, weil das für die Entwicklung der Kinder sehr wichtig ist, die sensible Phase des Spracherwerbs, der ja vor dem dritten Geburtstag stattfindet, da zu nutzen und hier schon Sprache anzubieten. Und es ist auch unser Konzept, dass eben die Eltern dabei sind und mit den Kindern gemeinsam lernen, und das natürlich pädagogisch und spielerisch, kindgerecht verpackt und angeboten.

Andreas Obrecht:

Sie haben die Entwicklung jetzt erwähnt, des Kindes. Das hat mit Selbstvertrauen zu tun, das hat mit Identität oder mit Formung von Identität zu tun. Ist es dabei wichtig, dass eine gehörlose Begleiterin, ein gehörloser Begleiter dem Kind sozusagen während dieser wichtigen Zeit zur Verfügung steht? Oder spielt das jetzt weniger Rolle, ob der Trainer, die Trainerin hören kann oder nicht hören kann?

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Ja, es ist wichtig, dass eine gehörlose Person am Unterricht beteiligt ist, also eine gehörlose Trainerin oder ein Trainer dabei ist, um auch die Vorbildwirkung zu haben für das Kind. So, wie Sie richtig gesagt haben, es geht um die Identitätsentwicklung auch und persönlich Bildung, und deswegen ist es so, dass unser Angebot, unsere Spielgruppen bi-lingual, bi-modal stattfinden, das heißt, es ist immer ein Team von einer hörenden Person und einer gehörlosen Person, die gemeinsam die Spielgruppen leiten.

Andreas Obrecht:

Bi-lingual ist mir jetzt klar, was ist bi-modal in dem Sinn? Dass es jedes zwei …

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Das bedeutet, dass die zwei Modalitäten verwendet werden: Gebärdensprache als visuelle gestische Kommunikationsformen und Lautsprache, die gesprochene Sprache. Beide Modalitäten werden gleichzeitig angeboten.

Andreas Obrecht:

Frau Patricia Neuhofer! Sie sind Pädagogin und haben die Gebärdensprache auch erlernt und, wie ich eingangs erwähnt habe, lange Zeit den Lehrgang für Gehör-Behinderte geleitet an der höheren Lernstand für wirtschaftliche Berufe. Wie unterscheidet für Sie als Hörende jetzt sich die Vokal-Sprache von der Gebärdensprache? Was ist da nicht nur sozusagen der große Unterschied Ihrer Wahrnehmung nach, sondern auch das gänzlich Neue, das erfahren und das gelernt und das letztlich auch angewandt sein will?

Patricia Neuhofer:

Also, es ist ganz, ganz wesentlich, die österreichische Gebärdensprache ist dreidimensional. Der Ausdruck ist mit Handzeichen, Mimik, Gestik, die Wahrnehmung, die Sinne werden vermittelt. Es ist jetzt in der normalen Sprache, wenn man jetzt in der deutschen Sprache das unterscheidet, und ganz wesentlich ist, wie die Frau Schuster schon gesagt hat, dass man das anwendet mit einer gehörbeeinträchtigten, gehörlosen Person. Und wichtig ist auch, dass die Pädagogen eine Gebärdensprach-Ausbildung bekommen oder erlernen. Ansonsten kann man sich in das sehr schwer hineindenken, da es eine eigene Sprache ist, die ÖGS, und auch anerkannt ist, und genauso Grammatik hat, eine eigene Grammatik und auch Vokabeln. Wir haben das angewendet, auch oft mit den Kindern lautsprachlich unterstützt. Das ist LBG, wo man sehr viele Vokabeln angewendet hat und keine Grammatik zum Beispiel. Da gibt es dann unterschiedliche Formen, die in der Praxis dann angewendet werden.

Andreas Obrecht:

Welche Rolle spielt das Mundbild in der Gebärdensprache?

Patricia Neuhofer:

Das Mundbild spielt eine große Rolle, das ist ganz wesentlich. Aber die Kinder können nicht nur über das Ablesen der Lippen die Sprache lernen. Das ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass man 20 Prozent zirka über das Lippenablesen aufnehmen kann, und der Rest geht verloren. Also, wenn die österreichische Gebärdensprache bei gehörlosen Personen nicht angewendet wird, können sie keine Sprache erlernen.

Andreas Obrecht:

Sie sind Pädagogin. Jetzt ist die Verschriftlichung, also die Schriftsprache, der Vokal-Sprache, also das geschriebene Deutsch für jemanden, der Gehörlose ist, eine vollkommen fremde Sprache. Heißt das auch im Umkehrschluss, dass es für Gehörlose besonders schwierig ist, die Schriftsprache zu erlernen?

Patricia Neuhofer:

Nein.

Andreas Obrecht:

Oder hängt das eine mit dem anderen nicht zusammen?

Patricia Neuhofer:

Das hängt nicht zusammen. Es kommt drauf an, wie das Kind aufwächst, wie das vermittelt wird, ob mit Lautsprache oder Gebärdensprache, wie die Frau Schuster zuerst schon erwähnt hat, dass es ganz wichtig ist, dass es von Klein auf vermittelt wird jetzt die Gebärdensprache. Aber es gibt immer wieder Kinder, die lautsprachlich erzogen werden, aber mit viel, viel Förderung. Die Kinder können genauso ihre Bücher, müssen, sollen ihre Bücher lesen und genauso gefördert werden. Dahingehend ist die Frau Schuster, denke ich, die Expertin. Ähm!

Andreas Obrecht:

Da fragen wir doch gleich die Frau Schuster. Vielleicht noch eine Frage, anschließend an Ihre Frage. Es hat ja auch so Versuche, oder vielleicht auch nicht nur Versuche, von Verschriftlichung von Gebärdensprache gegeben. Wie schaut es damit aus?

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Also Gebärdenschrift oder Verschriftlichung von Gebärdensprache. Es ist so, dass es jetzt sozusagen keine offizielle, anerkannte Gebärdenschrift gibt. Früher war es so, dass mehrere Schriftsysteme entwickelt wurden, um Gebärdensprache festzuhalten. Sozusagen. Jetzt durch die neue Technik und Medien ist es so, dass die Entwicklung eine andere ist, dass mehr Gebärden-Videos gemacht werden, um Gebärdensprache, zum Beispiel Vokabeln, festzuhalten. Es ist praktisch für Leute, die zum Beispiel Gebärdensprache lernen, oder auch in der Gebärdensprach-Forschung. Da vor allem, für diese Zwecke wurden Gebärden-Schriften entwickelt. Da wurde versucht, eigene Symbole zu erfinden, um eben die unterschiedlichen Komponenten, die Handstellung, die Finger, etc., festzuhalten. Aber es ist nicht so, dass es eine offizielle, anerkannte Gebärdenschrift gäbe, und meistens jetzt im Kontext des Lernens, werden Gebärden-Videos erstellt.

Andreas Obrecht:

Das heißt, diese Komponenten, von denen Sie jetzt gesprochen haben, das ist dieses sogenannte Fingeralphabet.

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Nein, das Fingeralphabet ist nicht gemeint. Also es ist so, dass eine Gebärde aus unterschiedlichen Komponenten besteht: aus der Hand-Form, aus der Bewegung der Hand, der Ausführungsstelle, der Handstellung, also ist die Hand senkrecht oder waagrecht? Wo am Körper ist sie? Vor dem Körper? Seitlich? Eher beim Kopf oder eher im Bauchbereich? Und so weiter. Und das sind die unterschiedlichen Komponenten, aus denen sich eine Gebärde zusammensetzt, und die wurde in der Gebärdensprach-Forschung, da wurde eben ein Schriftsystem versucht zu entwickeln, um das festzuhalten.

Andreas Obrecht:

Sie haben jetzt die Hände …

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Aber es hat nichts mit dem Fingeralphabet zu tun.

Andreas Obrecht:

Sie haben jetzt die Hände angesprochen. Wir haben im Titel der Sendung auch die Körperhaltung. Welche Rolle spielt die Körperhaltung in Bezug auf Hände und auch Mimik des Gesichtes?

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Ja, also, es ist so, in den Gebärdensprachen gibt es manuelle Komponenten, also das, was ich gerade beschrieben habe, die Hand-Form, die Hand-Ausführung der Gebärden. Und, wie Sie richtig sagen, es ist ganz wichtig und essenziell, auch die Mimik dazu zu machen, weil es braucht einfach, für den Ausdruck der Gebärden braucht es die richtige Mimik. Die manuelle Komponente alleine würde nicht ausreichen, weil die Mimik und die Körperhaltung ein Teil der grammatikalischen Struktur von Gebärdensprachen sind. Also würde man zum Beispiel nur die Hände sehen und das Gesicht nicht des Menschen, könnte man nicht verstehen, was der Mensch gebärdet. Alles zusammen ergibt dann Gebärdensprache.

Andreas Obrecht:

Heißt das, dass auch mehrere Inhalte gleichzeitig ausgedrückt werden? In der Vokalsprache, das ist ja eigentlich eine lineare Sprache, da werden die Worte, und die Sätze kommen hintereinander in einer chronologischen Reihenfolge, ist das bei der Gebärdensprache anders?

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Genau, das ist der Unterschied, dass die Lautsprachen lineare Sprachen sind, wie Sie richtig sagen, und Gebärdensprachen sind räumliche Sprachen, dreidimensional, wie die Frau Neuhofer auch gesagt hat, wo auch Lokalisation, also wo im Raum vor mir stelle ich eine Gebärde dar, etc., eine Rolle spielt, und das ist richtig. Man kann mehrere Dinge gleichzeitig dadurch gebärden, die man in der Lautsprache hintereinander sagen müsste, und das zeigt eben, wie es schon angesprochen wurde, dass Gebärdensprache eine eigene Grammatik und Struktur haben und demnach auch, was bereits erwiesen ist, vollwertige eigenständige Sprachen sind.

Andreas Obrecht:

Heute in "Punkt eins" Musik von Gabriel Fauré, vor der sich 1923 im Alter von 78 Jahren eigentlich hätte zurücklehnen können. Er war damals schon taub, hat aber eine große Sehnsucht noch verwirklicht und ein Streichquartett komponiert, sein erstes übrigens, mit 78 Jahren. Hören wir nun das Klaviertrio in d-Moll, in das 1923, also ein Jahr vor dem Tod des Komponisten, in Beisein des tauben Komponisten in Paris uraufgeführt wurde.

Musik

Andreas Obrecht:

Hände, Mimik, Körperhaltung. Es geht um die Gebärdensprache und speziell auch um die österreichische Gebärdensprache anlässlich des morgigen internationalen Tages der Gebärdensprache, und zu Gast ist Frau Barbara Schuster. Sie hat den Verein Kinderhände gegründet und leitet diesen Verein. Sie ist seit Geburt an gehörlos und wird gebärdensprachlich gedolmetscht von Frau Doubek-Stiglitz, und zusätzlich haben wir auch eine Pädagogin noch im Studio, Frau Neuhofer. Herzlichen Dank, dass Sie sich eingefunden haben, und wie immer freuen wir uns, wenn Sie sich, werte Hörerinnen und Hörer, an unserem Gespräch beteiligen. 0800 22 69 79, 0800 22 69 79 ist unsere Nummer ins "Punkt eins"-Studio. Sie können uns auch ein Mail schreiben unter punkteins@orf.at. Ich darf jetzt eine Frage an unsere Gebärdendolmetscherin schreiben. Sie übersetzen ja in beide Richtungen. Ist das eine sehr, sozusagen, also natürlich eine anspruchsvolle Tätigkeit, eine herausfordernde Tätigkeit. Gibt es dafür eine spezielle Ausbildung? Also kurz gesagt, wie wird man Gebärdensprachen-Dolmetscherin?

Sandra Doubek-Stiglitz:

Es ist eine, es ist ein Beruf der Dolmetscherin, so wie es für andere Fremdsprachen auch Dolmetscherinnen gibt, und es gibt in Österreich insgesamt vier Möglichkeiten, zurzeit Gebärdensprachdolmetscherin oder -dolmetscher zu werden, und zwar in der an der Universität Graz als Studium, ein FH-Studiengang an der FH für Gesundheit in Innsbruck, es gibt eine Fachausbildung in Linz, und es gibt einen berufsbegleitenden Universitätslehrgang an der Universität Salzburg.

Andreas Obrecht:

Wir haben auch gleich eine Mail bekommen, und zwar von Anton C. Ich hoffe, ich spreche das richtig aus. Gibt es in den Gebärdensprachen, vielleicht auch eine Frage an Sie, eine, ich tu das jetzt abkürzen, eine weltweite Lingua franca? Also so wie das Englische sich bei den Vokalsprachen herausgebildet hat, das oder die weltweitverständlich ist? Ich weiß nicht wer, Frau Schuster, vielleicht, ja?

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Frau Schuster sagt, ja, ähnlich wie es für die Lautsprache das Englische gibt, gibt es für Gebärdensprachen International Sign, internationale Gebärden. Es ist keine eigenständige Gebärdensprache, aber es ist eine Kommunikationsform. Zum Beispiel bei internationalen Veranstaltungen, Kongressen, Konferenzen wird diese Form der Gebärden, Gebärdensprache verwendet, die weltweit verständlich ist.

Andreas Obrecht:

Wir haben in der Ankündigung, das sag ich jetzt gleich dazu, die Zahl 137 stehen als Anzahl der Gebärdensprache. Im Vorgespräch haben wir festgestellt, es gibt wahrscheinlich sogar etliche Hunderte. Die Frage ist, wie sich die dann von Dialekten und Soziolekten abgrenzen lässt, auf die wir auch noch zurückkommen werden. Und dazu haben wir auch einen Anruf schon bekommen, und zwar Herrn Wechselberger. Bitte schön, Herr Wechselberger!

Anrufer:

Ja, meine Frage an Frau Schuster, man spricht von der österreichischen Gebärdensprache. Mich hätte jetzt interessiert, wo es einen Unterschied, ob es einen Unterschied gibt zur deutschen Gebärdensprache, wenn es so was gibt, oder ist es möglich, dass die österreichische Gebärdensprache von den Schweizerdeutschen, von den Deutschen, Luxemburgern, Deutschland verstanden wird, und wo die Abgrenzungen, wenn es eine Abgrenzung gibt, wo es hier Abgrenzungen gibt? Danke.

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Ja, das ist eine sehr gute Frage. Im deutschen Sprachraum ist es so, dass es unterschiedliche Gebärdensprachen gibt, nationale, also die österreichische, die Deutsche, die Schweizer Gebärdensprache. Aber es ist so, dass das Mundbild oft sehr ähnlich ist, weil das Mundbild angelehnt ist oft an die deutsche Lautsprache. Das heißt, man kann sagen, dass vielleicht 10 Prozent der Sprachen einander ähneln. Aber es gibt einen großen Unterschied in den Vokabeln, also in den Gebärden an und für sich. Da gibt es unterschiedliche Ausdrücke.

Andreas Obrecht:

In der Gebärdensprache, so heißt es, kann eigentlich alles ausgedrückt werden. Jedes Thema, Witze, Gefühle, Redewendungen, bis hin zu philosophische Inhalten, und in die ähnliche Richtung schlägt ein Mail von Klaus Nemetz. Etwas humorig, finde ich. Er schreibt: Lügen sind übel, heißt es, aber manchmal auch notwendig, weil die Wahrheit nicht wieder gut zu machen Schaden verursachen würde. Ist es leichter oder schwieriger, in Gebärdensprache zu lügen? Fragt Klaus Nemetz aus Wien.

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Ähm, also, ich muss da zurückfragen, also ob eine Person in Gebärdensprache lügt, ob man das leichter feststellen kann, dass es eine Lüge ist. Ist es so wahrscheinlich?

Andreas Obrecht:

Ja, das ist sicherlich so gemeint.

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Ja, das kann man. Weil eben die Mimik eine große Rolle in der Gebärdensprache oder in Gebärdensprachen spielt, glaube ich schon, dass man da Lügen relativ gut erkennen kann, also die Augen, der Ausdruck oder vielleicht ein kurzes Blinzeln oder so. Also ich glaube schon, dass das, das ist eine Gefühlssache. Also vor allem gehörlose Menschen, die das sehr scharf beobachten, glaube ich schon, können da recht schnell draufkommen.

Andreas Obrecht:

Relativ gut erkennen. Das bringt mich zur nächsten Frage. Es wird ja auch oft gesagt, dass die Gebärdensprache, das würde da dazu passen, eine direktere Sprache ist als die Vokal-Sprache. Dass es natürlich da vielleicht weniger Verklausulierungen, Umschreibungen gibt als in Lautsprache. Würden Sie das teilen, diese Erklärung oder diese Beschreibung?

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Ja, Frau Schuster lacht gerade ein bisschen. Ja, es heißt oft, Gebärdensprachen sind mehr direkt, aber das hängt auch mit der Kultur zusammen. Also ein Beispiel, wenn eine Person, die man gestern noch gesehen hat, plötzlich eine neue Frisur hat oder sich irgendetwas verändert hat an der Person, es kann auch nur eine Kleinigkeit, eine Winzigkeit sein, dann wird das sofort angesprochen. Moment, du schaust anders aus, Moment, du hast neue Frisur. Oder was Witziges ist auch, wenn man eine Person, die man länger nicht gesehen hat, vielleicht ein Gewicht zugenommen hat, dann wird oft gleich einfach direkt gefragt, bist du schwanger oder was ist los? Also, das ist schon etwas Direktes. Aber das heißt nicht, dass es unhöflich ist, sondern das ist eine kulturelle Gegebenheit, und was ich auch dazu sagen möchte, es wird oft gesagt, in Gebärdensprachen gibt es nur die Du-Form, es gibt keine Sie-Form, keine Höflichkeitsform. Das stimmt nicht. Es gibt es sehr wohl eine Höflichkeitsform, die aber in der Community wenig oder nicht so häufig verwendet wird, weil man einander kennt und schneller ins Du kommt.

Andreas Obrecht:

Frau Neuhofer, wie verbreitet ist die Gebärdensprache im Regelschulbetrieb eigentlich? Es gibt eine Entschließung von Juni 2021, das bis zu diesem jetzt kommenden oder beginnenden Schuljahr eine Verordnung über einen Lehrplan bezüglich der österreichischen Gebärdensprache verordnet werden soll, wie das in der parlamentarischen Entschließung heißt, durch den Bundesminister für Bildung. Wie geht sich das aus? Wie schaut die jetzige Situation aus, und welche Wege könnten dazu führen, dass wirklich eine breitere oder eine größere Verbreitung der Gebärdensprache auch im Schulbetrieb stattfindet?

Patricia Neuhofer:

Also, ich denke, es ist jetzt wichtig, jetzt ist das Unterrichtsministerium daran, dass die ÖGS auch fix in den Lehrplan verankert wird. Da gibt es ja das Ansuchen, das ja jetzt wieder überarbeitet wurde. Vor einem Jahr war die Information so, dass wir ab September 2023 die österreichische Gebärdensprache, so wie alle anderen Sprachen, fix im Lehrplan verankert haben und damit zu arbeiten beginnen können. Das wurde jetzt wieder nicht gemacht. Also, es gibt im Oktober einen weiteren Termin im Ministerium. Ich denke, wichtig ist, dass das jetzt so schnell als möglich einfach gesetzlich verankert wird. Das ist ganz wichtig, und dass ab der Volksschule, ab dem Kindergarten fix im Lehrplan die österreichische Gebärdensprache verankert ist. Dazu gibt es auch ein Best-practice-Beispiel, zum Beispiel in der Schule, wo ich gearbeitet habe. Wir sind die einzige Schule in Österreich, die seit 2003 im Lehrplan österreichische Gebärdensprache anbietet, und das ist aber die Sekundarstufe ab dem 15 Lebensjahr. Nur haben die Schüler davor, in den Ausbildungen oder in der Schulausbildung wird ÖGS als Freifach angeboten.

Andreas Obrecht:

Wir haben eine Nachfrage. Die geht an Sie, Frau Doubek-Stiglitz. Und zwar Ulrike fragt, ich muss nachfragen. Habe ich richtig gehört, dass es in Wien keine Möglichkeit gibt, Gebärdendolmetschern zu werden?

Sandra Doubek-Stiglitz:

Leider, ja, das haben Sie richtig gehört, und der österreichische Gebärdensprach-Dolmetscherinnenverband, unsere Berufsvertretung, ist dran, schon seit vielen Jahren, eine Ausbildung in Wien auch zu etablieren. Aber es scheitert leider oft an Gegebenheiten, und wir sind froh, dass es die vier Ausbildungen in Österreich zumindest gibt, und hoffen, dass bald auch eine Erweiterung nach Wien kommen wird.

Andreas Obrecht:

Ich darf Herrn Haberl, unseren nächsten Anrufer, in die Sendung bieten. Herr Haberl, bitte!

Anrufer:

Ja, vielen Dank für dieses Thema. Ich liebe die Gebärdensprache sehr. Ich habe auch selbst in meiner Verwandtschaft gehörlose Personen, eine aus meiner mütterlichen Verwandtschaft, zwei Personen auf meiner mütterlichen Verwandtschafts-Seite. Und eine Person auf meiner väterlichen Verwandtschafts-Seite. Und bei allen ist es sehr, sehr schwierig, dass die Umgebung diese Gebärdensprache, die Familie oder sogar die Schule dann diese Gebärden, die Gebärde annimmt oder praktiziert. Das ist relativ schwierig, und ich finde die Initiative mit den Schulen wunderbar. Ich halte, finde ich ganz realistisch, und vielleicht haben Sie da schon Ideen, wie man das implementieren kann. Also, ich denke, dass man pro Bezirk eine Schule, eine Schulklasse und dann für jeden Jahrgang eine Schulklasse, eine bilinguale oder bi-modale Schulklasse braucht. Und in der Volksschule möglichst viele Lehrer und auch Kindergartenpädagogik sollte das Platz greifen. Ich bin ein großer von der Gebärdensprache, ich bin Psychotherapeut und habe selbst dann schon mit Klienten in der Gebärdensprache gearbeitet, und ich spreche sie nicht einmal so perfekt. Ich habe schon viel geübt und gelernt in Kursen, aber die Gebärdensprache hat schon den Vorteil, dass man sich annähern kann, gemeinsam. Und durch das internationale Alphabet dann doch auch Wörter schreiben kann, sozusagen in die Luft schreiben kann, weil ich jetzt ein Wort nicht weiß, dann schreibe ich das mit den Buchstaben. Und mein gehörloser Gesprächspartner weiß dann, du meinst das, du meinst diese Gebärde. Und so entsteht sozusagen in der Kommunikation diese gemeinsame Sprache und diese gute Kommunikation.

Andreas Obrecht:

Danke vielmals. Da war jetzt viel drinnen. Bevor wir auf das internationale Alphabet vielleicht dann noch kommen, und das Schreiben in die Luft, Frau Neuhofer, ganz kurz das, was der Herr auch gesprochen hat. Wie sollte es mit der Implementierung klappen, wenn es so wenig Lehrer gibt und Lehrerinnen gibt, die die ÖGS, die österreichische Gebärdensprache sprechen?

Patricia Neuhofer:

Ganz richtig, das ist ein wichtiges Thema, weil man müsste schauen, den Zugang jetzt, ÖGS, zu erlernen. Der Zugang ist jetzt so: Es ist Voraussetzung, dass man eine Matura hat, dass man dann eine Gebärdensprach-Ausbildung macht und als Lehrerin für österreichische Gebärdensprache dann unterrichten kann, dass man da vielleicht andere Zugangsmöglichkeiten gibt. Es gibt interessierte Kolleginnen und Kollegen, die ja sehr gut geeignet wären, die gehörlos sind und diese Ausbildung auch machen möchten, haben aber nicht die Zugangsvoraussetzungen. Das müsste überarbeitet werden, konkret, und dass man diese Personen, auch gehörlose Personen, mit ins Boot holt. Es gibt aber Gebärdensprach- Wissenschaftlerinnen, Professorinnen auch auf der Universität Wien, Institut für Sprachentwicklung, die Frau Krausneker, und an der KPH die Frau Kramreiter, die da seit 2017 intensiv mit dem Bildungsministerium in Kontakt sind und da versuchen, das auch realistisch umzusetzen und anzuwenden.

Andreas Obrecht:

Frau Barbara Schuster, es ist vorhin angesprochen worden, das In-die-Luft-Schreiben. Was hat es damit auf sich? Herr Haberl hat das erwähnt.

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Gemeint ist, dass das Fingeralphabet und das Fingeralphabet bedeutet. Für Wörter, deren Gebärde man nicht kennt, oder Eigennamen, für die es keine Gebärde gibt, kann man buchstabieren. Also wie es der Anrufer gesagt hat, wenn er eine Gebärde nicht weiß in der Kommunikation, dann buchstabiert er das Wort und kann so die Kommunikation aufrechterhalten, oder das gegenüber kann dann zum Beispiel die Gebärde zeigen. Also, Herr Haberl hat gemeint im psychotherapeutischen Setting, wenn er eine Gebärde nicht weiß, buchstabiert er sie, und das gegenüber kann dann ihm zum Beispiel die Gebärde zeigen oder weiß zumindest, was gemeint ist. Das Fingeralphabet ist nicht eine eigene Sprache, es ist ein Teil der Gebärdensprachen. Es ist ein Hilfsmittel eben für Eigennamen, für Abkürzungen, für Wörter, wo es keine Gebärde gibt. Also zum Beispiel ORF, würde man das O, R und F buchstabieren.

Andreas Obrecht:

Frau Schmidinger bitte, Sie sind am Telefon. Grüß Gott!

Anrufer:

Ich hätte zwei Fragen. Erstens, kann ein gehörlos geborener Mensch auch akustische Träume haben? Und die zweite Frage wäre, was die Musik betrifft, kann ein gehörlos geborener Mensch Zugang zur Musik finden durch die Bewegung der Finger und durch die Mimik der Musiker?

Andreas Obrecht:

Stimmt das, Sie sind selbst Komponistin?

Anrufer:

Ich bin Komponist. Ich bin der Komponist Gerhard Schmidinger.

Andreas Obrecht:

Verzeihen Sie, entschuldigen Sie, ja, sie sind selbst Komponist. Bitte schön, interessante Frage, Frau Schuster, bitte!

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Ich kann von meiner eigenen Erfahrung erzählen. Die erste Frage, in Bezug auf die Träume ist es so, dass Träume sehr visuell sind und ich in Gebärdensprache träume, aber manchmal ich doch akustische Wahrnehmungen habe, glaube ich. Also zum Beispiel Geräusche oder einen Schrei oder so höre. Ich vermute, es hängt damit zusammen, dass ich als junges Kind Hörgeräte getragen habe und da akustische Eindrücke gewonnen habe dadurch, und das vielleicht in meinem Gehirn irgendwie gespeichert ist und im Traum dann irgendwie wieder vorkommt. Das kann ich mir vorstellen, aber das kann ich nicht für alle gehörlosen Menschen beantworten. Das ist eine sehr individuelle Sache und hängt auch von deren Hintergrund ab. Und zur zweiten Frage: Ähm, die Wahrnehmung von Musik. Es ist sehr unterschiedlich. Also in der Gehörlosen-Community ist es so, es gibt auch Gebärdensprach-Poesie als eigene kulturelle Kunstform, und es gibt auch die Sache, dass Musik in Gebärdensprache umgewandelt wird, umgeformt wird, um sozusagen entweder den Text oder Emotionen des Musikstückes in Gebärden und visuell darzustellen. Und es ist so, dass viele Gehörlose Musik sehr gerne dem Folgen, wenn es gebärdensprachlich visuell dargestellt wird, weil auch viel Emotion transportiert wird: Rhythmus etc. Es gibt auch gehörlose, taube Musiker, Musikerinnen, also es ist ganz, ganz unterschiedlich. Aber grundsätzlich, ja, es gibt auch in der Gehörlosen-Kultur diese Art der Gebärdensprach-Poesie und auch des Übersetzens, nenne ich es jetzt einmal, von Musik.

Andreas Obrecht:

Was hat es denn, Frau Schuster, mit Gebärdenchören auf sich, weil die Frage nach der Kunst auch angesprochen war?

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Gebärdenchöre, also zum Beispiel wir im Verein Kinderhände haben auch jedes Jahr einen Auftritt in Schönbrunn am Weihnachtsmarkt, wo Kinder gemeinsam Weihnachtslieder singen und gebärden. Also, es ist ein bilingualer, bimodaler Chor, wo die Kinder auftreten und Weihnachtslieder singen und gebärden, das wäre zum Beispiel ein Gebärdenkurs.

Andreas Obrecht:

Noch einmal Gabriel Fauré. Am Ende ist eine kompositorische Laufbahn taub, mit einem Stück für Harfe, dass er 1904 komponiert hat, hier in einer Piano-Version, die der Komponist 1913 erstellt hat.

Musik

Andreas Obrecht:

Hände, Mimik, Körperhaltung, Gebärdensprache, Gebärdensprachen als komplexes Kommunikationssystem, das ist das Thema der heutigen Sendung "Punkt eins". Barbara Schuster, Präsidentin und Gründerin des Vereins Kinderhände, ist unser Gast. Sie wird gebärdensprachlich gedolmetscht von Sandra Doubek-Stiglitz. Und zudem ist auch die Pädagogen Patricia Neuhofer zu Gast in der Sendung "Punkt eins".0800 22 69 79, unsere Telefonnummer. punkteins@orf.at unsere Mailadresse. Und Susanne Hochreiter hat uns eine Mail geschickt mit einer Frage, von der sie sagt, sie muss unbedingt in der Sendung noch angesprochen werden. Doppelpunkt. Wie ist die Situation gehörloser Menschen heute in Österreich in Bezug auf adäquate Bildungsangebote und berufliche Chancen? Aus meiner Wahrnehmung gibt es immer noch sehr stark benachteiligende Strukturen. Mit den besten Wünschen und alle Diskussionsteilnehmerinnen und herzlichen Grüßen, Susanne Hochreiter. Wer möchte darauf eingehen?

Patricia Neuhofer:

Ich kann beginnen.

Andreas Obrecht:

Mhm. Bitte, Frau Neuhofer.

Patricia Neuhofer:

Ich sehe das genauso, dass es noch, dass da noch sehr viel erarbeitet werden muss und es noch viel Benachteiligung gibt anhand den Lehrplänen, anhand dem Angebot für Betroffene, und es gibt auch wenig Schulen, die spezielle Angebote haben in Österreich, auf ganz Österreich gesehen. Für die Personen ist es oft so, dass sie in andere Bundesländer pendeln müssen, um Schulen zu besuchen. Das Angebot ist sehr gering, gering. Ich möchte dann an meine Kollegin, an die Frau Schuster weitergeben, als Expertin auch aus dem Bereich von den Kinderhänden. Bitte.

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Ja, aus meiner Perspektive ist es so, dass natürlich in früherer Zeit es noch mehr Barrieren gab, die Berufsauswahl für gehörlose Menschen sehr eingeschränkt war. Jetzt kann man sagen, es hat sich ein bisschen erweitert. Gehörlose Menschen haben mehr Möglichkeiten, Ausbildungen zu machen und Berufe zu ergreifen. Das Problem ist aber aus meiner Sicht, dass einerseits gehörlose Menschen - eine Berufsausbildung abzuschließen, ist noch okay, aber dann eine zweite Ausbildung noch hintanzusetzen oder Weiterbildungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen, da gibt es oft Probleme. Da fehlt es an Finanzierungen, an Plätzen und an Möglichkeiten. Das heißt, da sehe ich noch viele Barrieren und Einschränkungen.

Andreas Obrecht:

Wir haben einige Fragen, die sich beziehen auf eine internationale Gebärdensprache. Ich glaube, das haben Sie schon angesprochen, Frau Schuster, dass es ja so etwas ähnliches analog zum Englischen sehr wohl gibt. Wir haben zusätzlich Fragen zu Dialekten und Soziolekten, Frau Doubek-Stiglitz, vielleicht darf ich diese Frage an Sie weitergeben. Wie ist das, wenn Sie ganz im Westen Österreichs dolmetschen? Ist das sehr verschieden von zum Beispiel Ihrer Tätigkeit in Wien?

Sandra Doubek-Stiglitz:

Ja, also es gibt ja in Österreich, ich glaube, sieben verschiedene Gebärdensprach-Dialekte und Varianten, und da ist es schon so, dass natürlich mit viel Erfahrung in der Sprache und viel Kontakt mit unterschiedlichen gehörlosen Menschen man mehr ein Sprachgefühl bekommt. Aber so, wie es die Frau Schuster vorher angesprochen hat: Deutsche Gebärdensprache, die sich von der österreichischen in den Vokabeln teilweise unterscheidet, ist es auch so, dass zum Beispiel Vorarlbergerisch oder Tirolerisch sich von Wienerisch unterscheidet, und das kann ich dolmetschen. Aus dem Kontext heraus verstehe ich dann, wenn Gebärden anders sind, sie schon, und wenn ich es gar nicht verstehe, dann muss ich genauso wie andere auch nachfragen, und dann muss es mir erklärt werden. Oder im Optimalfall: Natürlich ist es so, dass Kolleginnen und Kollegen aus Tirol dolmetschen, die die Tiroler Variante beherrschen.

Andreas Obrecht:

Herr oder Frau, das ist hier nicht das sichtlich. B. fragt an, ob es ähnliche Musikopern, Aufführungen, Musik-dramatische Aufführungen gibt. Er/sie schreibt, sie/er war einmal in Helsinki, und da standen zwei Übersetzerinnen auf der Bühne. Die eine hat den Text der Arien übersetzt, die andere wortwörtlich die Musik, also zum Beispiel Instrumenten, Solo, Streicher, Einsatz von Bläsern, Musik-Gesten und so weiter. Ich fand das wirklich toll. Gibt es so etwas auch in Österreich?

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Ich muss kurz überlegen, in Österreich, ja, ist eine gute Frage. Wie soll ich sagen? Es gibt leider keine Opern, die gebärdensprachlich begleitet werden. Es gibt vereinzelt Projekte, Kulturprojekte von interessierten Institutionen oder Organisationen, die ein Projekt leiten wollen und einmal sagen, sie wollen einmal jetzt ihre Aufführung sozusagen gebärdet wissen und laden dann Dolmetscherinnen, auch taube Dolmetscherinnen, ein, die auf der Bühne stehen, und sozusagen in Gebärdensprache das übertragen. Aber auch hier natürlich im Kulturbereich ist es eine Kostenfrage, und es gibt noch viel zu wenig Bewusstsein, auch was das bedeutet. Es gibt Angebote in Österreich, Oper wüsste ich jetzt nicht, aber es gibt schon vereinzelt Veranstaltungen, wo auch gebärdet wird, aber das ist immer oder meistens abhängig vom Engagement der Gruppe oder der Institution, der Organisation, die diese Aufführung planen und durchführen. Ich weiß, auch hier ist es sozusagen so, dass in Skandinavien, die skandinavischen Länder eine Vorreiterrolle haben und das dort viel mehr gefördert wird und viel mehr Angebote gibt als zum Beispiel in Österreich.

Andreas Obrecht:

Ich darf Frau W. in die Sendung bitten. Bitte, Frau W.!

Anruferin:

Ich war in Kambodscha auf Urlaub, und da war ich auf dem Markt, und an der Artikulation, wie die Marktfrau gesprochen hat, habe ich mir gedacht, die ist taub, weil ich, meine Eltern waren auch taub. Und ich habe dann mit der Gebärdensprache mit dieser Frau eigentlich eine einfache Unterhaltung sprechen können. Und da habe ich mir gedacht, warum wird das eigentlich nicht überall unterrichtet, auf der ganzen Welt? Gehörlose hätten es leichter. Und wir könnten uns dann auch sehr gut alle miteinander verständigen. Danke, vielmals.

Andreas Obrecht:

Danke, vielmals, und ich darf gleich noch Frau J. bitten um ihren Beitrag. Frau J., bitte!

Anruferin:

Ja, danke schön! Es war für mich jetzt hochinteressant. Ich bin gerade dazugestoßen, und ich finde, dass die Gebärdensprache da einen Riesen-Vorteil hat, wenn damit die Emotionen ausgedrückt werden, denn in unserer Kommunikation, in der mündlichen, kann man sich nie ganz sicher sein, wie etwas gemeint ist. Meine Schülerinnen wollten mich immer überzeugen, dass es niemanden gibt, der nur die Wahrheit sagt. Man lügt am Tag so und so oft, und das könnte ich nie akzeptieren. Ich finde, wir könnten viel daraus lernen, wenn wir auch die Mimik und die, ja, das alles mit einbeziehen würden. Dann wäre es vielleicht leichter herauszufinden, wie etwas wirklich gemeint ist und wie auch der Wahrheitsgehalt ist.

Andreas Obrecht:

Danke vielmals.

Patricia Neuhofer:

Mich hat das sehr beeindruckt.

Andreas Obrecht:

Was können wir lernen von Gebärdensprechenden?

Patricia Neuhofer:

Ich finde das sehr interessant, beide Stellungnahmen jetzt. Also das mit der Verständigung in anderen Ländern, das sehe ich auch so. Wir waren mit den Schülern viel unterwegs, und immer wieder ist es uns so ergangen in den U-Bahnen in anderen Ländern, dass dann die Schüler und wir uns mit Personen von dort auf Gebärdensprache unterhalten konnten, so einfache Dinge, die man dann verstanden hat. Und zum anderen von der Wahrnehmung, von den Sinnen her, dass wir uns besser verstehen.

Andreas Obrecht:

Frau Schuster, vielleicht eine Ergänzung?

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Ja, also gesprochene Sprachen. Ich denke mir, da kann man schon auch viel mitbekommen anhand der Stimmmelodie, etc. Aber ich verstehe den Wunsch. Ich denke auch, dass die Mimik und der Einsatz der Körperhaltung etc. Man sieht ja an den unterschiedlichen Gebärdensprachen und an der Kommunikation unter gehörlosen Menschen: Es funktioniert. Und ich denke mir, ja, als Basis, natürlich kann man mehr Mimik einsetzen. Es wäre auch für uns einfacher, natürlich dann das zu verstehen, wenn zum Beispiel ganz einfache Dinge, wie: Man lächelt und schaut freundlich drein, oder man schaut, wenn man etwas Trauriges erzählt, dass man auch die Mimik dementsprechend wirklich einsetzt, oder wenn man böse ist, dass man das auch wirklich zeigt mit den Augenbrauen etc. Also, ähm, im lautsprachlichen Bereich ist es also, wenn ich mit hörenden Menschen, Menschen, die lautsprachlich sprechen, kommunizieren soll, ist es für mich auch schwierig, dann herauszulesen, was ist jetzt gemeint und wie es gemeint. Das heißt, deswegen ist Gebärdensprache für mich, oder wenn etwas gebärdet werden kann, ist es für mich viel hilfreicher und klarer zu verstehen. Ich weiß aber nicht, wie es im unter Hörenden ist. Das kann ich nicht beurteilen.

Andreas Obrecht:

Frau Schuster, wir sind schon am Ende der Sendung. Schnell vergeht so eine Stunde, eine knappe Stunde. Morgen ist der internationale Tag der Gebärdensprachen. Ich habe es eingangs schon erwähnt. Ganz kurz noch: Sind da spezielle Aktivitäten, Initiativen in der Gehörlosen-Community geplant?

Barbara Schuster (Sandra Doubek-Stiglitz):

Ja, es gibt viele Aktivitäten, viele Veranstaltungen über die ganze Woche hindurch, also zum Beispiel, es gibt den Tag der Barrierefreiheit bei der ÖBB, wird angeboten. Oder auf Instagram, auf Facebook. In den Social Media findet man ganz viel Angebote im Gesundheitsbereich. In den unterschiedlichen Bundesländern. Auch österreichweit gibt es ganz viele Veranstaltungen, Projekte und feiern. Also ich würde da vorschlagen, auf Social Media ein bisschen Nachschau zu halten und das zu verfolgen. Dann finden Sie bestimmt auch etwas.

Andreas Obrecht:

Barbara Schuster, Patricia Neuhofer, Sandra Doubek-Stiglitz, haben Sie. herzlichen Dank für das Kommen. Danke für das Gespräch, danke für die Sendung. Es wird ein Transkript der Sendung erstellt, und dieses Transkript ist sowohl online als auch über das Ö1-Service erhältlich. Und wer sich über die Arbeit und das Angebot des Vereins Kinderhände informieren will, der sollte Kinderhaende.at aufschlagen, und die Webseite des Gehörlosen-Bundes ist unter OEGLB.at zu erreichen.

Andreas Obrecht verabschiedet sich mit einer musikalischen Hommage, die Maurice Ravel für seinen komponierenden Freund, nämlich Gabriel Fauré, 1922 veröffentlicht hat. Schlaflied heißt es. Schlaflied auf den Namen Gabriel Fauré.