Rammstein-Fan zeigt Mittelfinger

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Berichte über Machtmissbrauch

#MeToo-Recherchen im Gegenwind

Berichte über Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe haben den Sommer dominiert - seien es Vorwürfe in der Techno-Szene, gegen den spanischen Fußballverbands-Chef Luis Rubiales oder gegen den berühmtesten Rockstar Deutschlands, Till Lindemann. Für Medien sind die Recherchen heikel, auch juristisch.

Mitte September veröffentlichen die britischen Medien "Sunday Times" und "Channel 4" das Ergebnis einer jahrelangen intensiven Recherche. Sie betrifft den Comedian und Schauspieler Russell Brand, Ex-Mann von Superstar Katy Perry. Brand soll gegenüber mehreren Frauen sexuell übergriffig gewesen sein, auch der Vorwurf der Vergewaltigung steht im Raum. Noch bevor die Artikel überhaupt veröffentlich werden, kontert Brand, der sich als Anti-Establishment-Influencer im Netz positioniert hat, mit einem Video im Netz. All seine Beziehungen seien immer "einvernehmlich" gewesen, es handle sich um einen "koordinierten Medien-Angriff" gegen ihn.

Brand inszeniert sich als Opfer und erntet dafür viel Zuspruch. Unter den positiven Kommentaren unter dem Video ist auch eines von Elon Musk, dem reichsten Mann der Welt. Das Beispiel zeigt, wie sehr MeToo-Recherchen polarisieren. Vor allem in Zeiten, in denen die Skepsis gegenüber etablierten Medien ohnehin steigt. Schmutzkübel-Journalismus, Rufmord-Kampagnen und Vorverurteilungen seitens der Medien orten die einen. Die anderen rufen dazu auf, mit Frauen solidarisch zu sein, die sich trauen, ihr Schweigen zu brechen.

Causa Rammstein: Verfügung gegen ORF

Auch der Sänger der deutschen Band Rammstein, Till Lindemann, ist Gegenstand von entsprechender Berichterstattung, gegen die er sich teils erfolgreich wehrt. Begonnen hat alles mit mutmaßlichen Erfahrungsberichten von Rammstein-Konzertbesucherinnen in den sozialen Netzwerken. Mehrere Medien beginnen zu recherchieren, darunter ist auch Christine Baumgartner. Die ORF-Journalistin bei der "Zeit im Bild" war wochenlang mit einer Frau in Kontakt, die mit Baumgartner ihre angeblichen Erfahrungen mit dem Rammstein-Sänger teilt. "Es war ein riesiger Schritt für die mutmaßliche Betroffene, überhaupt mit einer Journalistin zu sprechen", sagt Baumgartner über ihre Recherche. "Letztlich waren es dann doch fast zwei Monate, bis die Story so weit war, dass wir sie bringen konnten."

Penible Recherche von Gericht anerkannt

Gemeinsam mit dem ORF-Verfikationsexperten Jakob Weichenberger und der ORF.at-Journalistin Christina Vogler hat Baumgartner penibel recherchiert. Von der Frau vorgelegte Chats, die die gegenüber dem ORF getätigten Aussagen belegen sollen, ließen sie von einem IT-Experten untersuchen. Auch ein Gutachten einer Rechtsmedizinerin wurde extra eingeholt.

Diese Bemühungen hat das Landgericht Hamburg auch anerkannt, trotzdem war der weltberühmte Rockstar Lindemann mit seiner Beschwerde erfolgreich. Er hat eine Einstweilige Verfügung erwirkt, die es dem ORF seither untersagt, den Verdacht zu erwecken, Till Lindemann habe im Zuge der Rammstein-Tour gewalttätige Handlungen an einer Frau gegen deren Willen vorgenommen. Der Grund: um die Frau nicht identifizierbar zu machen, wurde Lindemann nicht gesagt, wo und wann der angebliche Übergriff stattgefunden haben soll. Deshalb will Baumgartner auch nicht von einer Niederlage sprechen. "Wir haben unsere Quelle geschützt und sie ist auch weiterhin geschützt. Und dafür haben wir in Kauf genommen, dass wir vor Gericht verlieren", so die ORF-Journalistin.

Extrem heikles juristisches Terrain

Wie heikel MeToo-Recherchen juristisch sind, weiß auch Medienanwältin Maria Windhager. Denn grundsätzlich ist der höchstpersönliche Lebensbereich für Medien tabu, außer – knapp zusammengefasst - das öffentliche Interesse überwiegt. Oft steht Aussage gegen Aussage. "Man steckt aus der journalistischen Perspektive von vornherein in einem Dilemma: Wie kann ich das überhaupt bringen?" Schlussendlich müsse man sich jeden Fall einzeln ansehen, sagt Anwältin Windhager.

Druck auf Medien und Betroffene steigt

Wenn lange Recherchen am Ende wieder zurückgezogen werden müssen, kann das zermürbend sein. Nicht nur für die Medien, die mitunter in Erklärungsnot geraten. Denn vor allem die Frauen, die auspacken, ernten oft Häme. Windhager: "Leider funktioniert die Einschüchterungswirkung von solchen Einstweiligen Verfügungen auf allen Ebenen. Ich gehe schon davon aus, dass es noch mehr betroffene Frauen gibt, die sich aber gar nicht trauen, an die Öffentlichkeit zu gehen, weil sie diese Folgen nicht tragen wollen."

Demonstrant:innen

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Mehr Gegenwind durch mehr Aufmerksamkeit

Das befürchtet auch Juliane Löffler, Journalistin beim deutschen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Löffler hat schon zu mehreren MeToo-Fällen recherchiert, unter anderem über Julian Reichelt, der in der Folge seinen Posten als "Bild"-Chefredakteur verloren hat. Auch Löfflers "Spiegel"-Titelstory über Rammstein mit dem Titel "Sex, Macht, Alkohol - Was die jungen Frauen aus der Row-Zero berichten" hat ordentlich Wellen geschlagen, auch juristisch. Rechtliche Schritte gegen kritische Berichte seien nicht neu und natürlich auch legitim, sagt Löffler, insgesamt gebe es aber schon auch eine Art Backlash. "Da ist der Wind, das würde ich schon sagen, rund um die MeToo-Berichterstattung noch rauer geworden." Das Thema bekomme mehr Aufmerksamkeit, und dadurch auch mehr negative Reaktionen.

Aufdecken auch ohne Gerichtsurteil

Immer wieder wird hinterfragt, ob überhaupt berichtet werden soll. Man könne doch abwarten, wie Gerichte entscheiden. Sogenannte Verdachtsberichterstattung – also Berichterstattung, ohne dass Urteile vorliegen – sei aber zulässig und auch wichtig, sagt Löffler. "Machtmissbrauch ist keine Privatsache, und auch sexualisierte Gewalt ist keine Privatsache. Wenn sich Personen mit sehr viel Macht mutmaßlich fehlverhalten, dann ist es ja genau die Aufgabe der Presse, zu recherchieren und darüber zu berichten." Medien würden zum Beispiel immer wieder vertrauliche Informationen erhalten, die Gerichten gar nicht vorliegen.

"Der Spiegel" will bis zur Letztinstanz gehen

Sämtliche strafrechtlichen Ermittlungen gegen Rammstein-Sänger Lindemann sind mittlerweile eingestellt, Lindemann hat auch gegen Löfflers Recherche ein Teilverbot erwirkt. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen, der "Spiegel" will sich notfalls bis zur letzten Instanz wehren. Der ORF wird gegen die Einstweilige Verfügung Lindemanns keine Rechtsmittel einlegen.

In Österreich ist laut Statistik Austria jede dritte Frau ab 15 Jahren körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt, weiß Beate Hausbichler, Journalistin beim "Standard". Seit MeToo vor mittlerweile sechs Jahren begonnen hat, sei viel passiert, auch bei den Medien. MeToo-Fälle aufzudecken sei zum fixen Bestandteil der Berichterstattung geworden. "Ich glaube, wir sind definitiv weitergekommen. Die Themen sexualisierte Übergriffe und Gewalt, die bekommen viel mehr Aufmerksamkeit als noch vor 2017, vor MeToo. Es geht auch nicht mehr, sie zu ignorieren."

Demonstrantinnen

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#TechnoMeToo – Übergriffe im Nachtleben

Hausbichler hat gerade erst zu Missständen in der Techno-Szene recherchiert. Mehrere Frauen haben ihr erzählt, wie verbreitet sexualisierte Übergriffe im Nachtleben immer noch sind, die Anschuldigungen gegen mehrere DJs und Veranstalter wiegen schwer. Spricht man mit Betroffenen, müsse man sich dafür viel Zeit nehmen. Wichtig sei es, sie über die Konsequenzen der Berichterstattung aufzuklären und dort Hilfe anzubieten, wo man kann. Etwa indem man Kontakte zu Beratungsstellen weitergibt. Fest stehe: MeToo-Artikel seien "langwierig, zäh und kostenaufwendig". Deshalb brauche es auch die Bereitschaft der Chefredaktionen, in solche Recherchen Ressourcen zu stecken.

Beate Hausbichler leitet das Ressort "Die Standard", den Ableger der Tageszeitung für alle frauenpolitischen Angelegenheiten. Noch mehr Platz in den Medien für solche Themen wünscht sich auch Brigitte Theißl, leitende Redakteurin beim feministischen Magazin "an.schläge". "Es gibt ein wachsendes Bewusstsein, aber noch sehr viel Luft nach oben", sagt Theißl. Vorstellen könnte sie sich zum Beispiel ein eigenes frauenpolitisches ORF-TV-Magazin.

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