APA/ROLAND SCHLAGER
Journalismus in der Vertrauenskrise
Die Medien-Eliten und die Parallelwelt
Wo immer FPÖ-Chef Herbert Kickl auftritt, darf die Kritik an den Eliten nicht fehlen. Die politische Konkurrenz und die Medien, die säßen in einem Boot. Unangenehme Wahrheiten, die andere schlicht Verschwörungserzählungen nennen, würden der Öffentlichkeit verschwiegen, sagt Kickl - und erntet dafür bei seinen Anhängern viel Applaus und gute Umfragewerte. Die Vertrauenskrise, in der die klassischen Medien stecken, ist das freiheitliche Kapital. Wie sollen die journalistischen Medien darauf reagieren? Darüber wird auf verschiedenen Bühnen diskutiert und viel nachgedacht. Noch scheint die Ratlosigkeit zu überwiegen, was denn zu tun sei. #doublecheck auf Spurensuche.
6. November 2023, 02:00
#doublecheck
Herbert Kickl hat sich von journalistischen Formaten, in denen er Rede und Antwort stehen muss, radikal abgewandt. Den Puls24-Stammtisch etwa hat er verweigert, die Begründung hat er unter Gejohle im Bierzelt nachgeliefert: "Es tut mir leid Frau Milborn, vielleicht ein anderes Mal unter anderen Umständen, aber in diesem Herbst sind wir gemeinsam am Puls des echten Lebens - und der Puls des echten Lebens ist ganz was anderes als Puls24!" Im ORF-Sommergespräch war die Sub-Botschaft des FPÖ-Obmanns: dieser Sender will euch was verschweigen. "Das schneiden Sie jetzt aber nicht raus gell", hat Kickl wiederholt von Interviewerin Susanne Schnabl gefordert.
Blaue Absage an die klassischen Medien
Klar, dass sich eine Partei, die politische Gegner und Medien als abgehobene Eliten brandmarkt und eine Art Gegenöffentlichkeit schaffen will, dafür eigene Kanäle suchen muss, sagt der Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik: "Es hat eine Logik, dass ich mit so einem populistischen Kurs, der sehr stark diese Eliten-Kritik formuliert, dass ich mit dem verstärkt in Kanäle gehe, wo ich von klassischen Medien weniger abhängig bin."
Der Journalist Jonas Vogt hat für den "Standard" sechs Wochen lang FPÖ-TV geschaut - und alles, was damit zusammenhängt. Sein Fazit: "Es ist ganz klar eine Welt, die den Leuten Bestätigung geben will, die ihnen auch eine gewisse Heimat geben möchte. Die ihnen sagen möchte, deine Ängste und Sorgen sind berechtigt, die sind hier aufgehoben." Die FPÖ ist Familie - ein Bild, das Kickl aktuell sehr stark bemüht.
Ein mediales Universum für die FPÖ-Familie
Der FPÖ-Chef selbst hat vor mehr als zehn Jahren begonnen, dieses Partei-Medienhaus aufzubauen, damals war die nach Ibiza implodierte Strache-Facebook-Seite der Dreh- und Angelpunkt, noch stark im Doppelpass-Spiel mit dem Boulevard. Nicht einmal mehr das brauchen sie heute. FPÖ-Watcher Vogt über die Struktur: "Die Kickl-Facebook-Seite ist wichtig, aber genauso Generalsekretär Christian Hafenecker. Der macht jeden Tag ein Video, und diese Videos werden zusätzlich auf FPÖ-TV ausgespielt, auf Kickls Facebook-Seite und auf jener der FPÖ - es ist eine blaue Welt."
APA/EVA MANHART
Mit Alice Weidel beim Verschwörungs-Sender
Wenn AfD-Chefin Alice Weidel aus Deutschland zu Besuch ist, dann geht FPÖ-Obmann Herbert Kickl auch einmal zu AUF1 - ein Sender mit Kontakten zur rechtsextremen Szene, der Verschwörungsgeschichten verbreitet. Auch dort ist das Motto des Moderators: "Die Leute wollen endlich einmal sehen und hören, was denn die Argumente sind, ohne dass ein Moderator ständig lästig dazwischenfunkt!"
Der Vorwurf, der bei vielen Menschen hängenbleibt: Die etablierten Medien seien gekauft. Nicht überraschend, man muss nur die Chats von Eva Dichand und den Fellners mit der Schlüsselfigur in der Inseratenaffäre, Thomas Schmid, lesen. Doch die FPÖ spiele ein falsches Spiel, sagt "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk. "Was wollte der Strache machen? Er wollte die 'Kronen Zeitung' kaufen, damit sie ihn an die Macht bringt, und dafür wollte er Steuergeld anbieten. Was will der Kickl? Er will in einen Fernsehsender gehen - nämlich FPÖ-TV - den er bezahlt, den er kauft, wo Propaganda daherkommt wie Journalismus, aber in Wirklichkeit seiner Partei angehört."
Klenk: Wir müssen unseren Job besser erklären
Klenk sieht sich derzeit selbst einer anonymen Anzeige gegenüber, die auch dem "Falter" eine Inseraten-Affäre andichten will. Professionell gemacht, von den Dichand- und Fellner-Medien mit großer Reichweite transportiert. Tenor: Jetzt hat es auch den moralisch ach so hochstehenden "Falter" erwischt. Der Boulevard erledigt das Geschäft der Populisten. Andere Medien denken hingegen nach, wie sie die Menschen wieder erreichen können, die sich von ihnen abgewandt haben. Der ORF gibt sich strenge Compliance-Regeln, die eine hochrangige Ethik-Kommission gerade ausarbeitet, und bringt neue Formate, die nah am Publikum sind. Das ist intern das ganz große Thema.
Gujer: Der Konformismus ist das zentrale Problem
Aber auch außerhalb, etwa in Bregenz, wo ein Journalismuskongress dazu stattgefunden hat. Veranstalter war die Libertatem-Stiftung, die am ÖVP-nahen Propaganda-Medium "Exxpress" beteiligt ist. Der ORF war dort durch TV-Chefredakteurin Eva Karabeg vertreten, sie hat sich den Fragen und der Kritik gestellt. Es trat auf unter anderem Eric Gujer, Chefredakteur der "Neuen Zürcher Zeitung", mit der klaren Ansage: "Der Konformismus der Journalisten, das ist das zentrale Problem. Dass Sie kaum noch Leute finden, die ins bürgerlich-liberale Lager ausscheren." Und Gujer hat auch ein Rezept, das zu ändern. Die Personalpolitik sei das Um und Auf: "Im September haben zehn Volontäre bei uns angefangen. Das ist für uns die wichtigste Quelle der Ausbildung. Da können wir noch junge Kollegen und Kolleginnen heranziehen und sehen, ob sie zu uns passen."
Die rechte Medienblase sucht Anschluss
Eric Gujer ist von der Libertatem-Stiftung heuer mit deren Preis ausgezeichnet worden, im Vorjahr hat ihn Ferdinand Wegscheider bekommen, er ist Senderchef bei Servus TV und bekannt für seine - per Definition des NZZ-Chefredakteurs - nicht "konforme" Haltung. Sein Wochenkommentar "Der Wegscheider" ist von der Medienbehörde wegen Verstößen gegen das Objektivitätsgebot gerügt worden, das ist aber noch nicht rechtskräftig. Die Verleihung des Preises an Gujer fand bei Servus TV statt, die rechte Medienblase hat sich gefunden.
Veranstaltungen wie jene in Bregenz sollen der Blase Renommée verschaffen, Vertreter der Öffentlich-Rechtlichen können dabei helfen. Diesmal war mit Julia Ruhs vom Bayerischen Rundfunk auch die ARD dabei. Warum sie teilgenommen hat? "Es ist besser dort zu sein, als sich jetzt vor so einer Veranstaltung oder solchen Menschen zu drücken, die ja mittlerweile auch in Deutschland einen sehr großen Teil der Bevölkerung ausmachen."
Die Flankenspielerin vom Bayerischen Rundfunk
Ruhs hat durch öffentliche Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht, die auch nicht "konform" sind. Etwa als sie Klimaschützer als Lobby bezeichnet und sie damit mit der fossilen Lobby auf eine Stufe gestellt hat. Oder als sie einmal meinte, die AfD sei nicht an allem schuld - ein Punkt, den dieser Tage auch der Chefredakteur der NZZ in Deutschland, Marc Felix Serrao, in seinem Newsletter unterstützt hat: "Die AfD ist Antreiber, aber auch Opfer einer politischen Verrohung." Serrao schreibt das vor dem Hintergrund aktueller Vorgänge um Tino Chrupalla und Alice Weidel von der Alternative für Deutschland.
Die Grünen hätten enorm an Glaubwürdigkeit verloren, sagt @juliaruhs (@br24) im #presseclub. Die Partei sei in Sachen Lobbyismus nicht besser als andere. pic.twitter.com/LYwXCFQhe2
— Presseclub (@ARD_Presseclub) May 7, 2023
Die Spekulationen über die - von der Polizei nicht im Detail bestätigten - Sicherheitsgefährdungen für die AfD-Spitzen sind zugleich ein Musterbeispiel dafür, wie wichtig es wäre, die medialen Parallelwelten zu überwinden: Während seriöse Medien mangels verifizierter Informationen zurückhaltend sein müssen, wird im Netz auf rechten Kanälen gemutmaßt, was das Zeug hält. Und schuld an was auch immer ist natürlich wieder: das System.
Wenn die Meinung "sozial nicht erwünscht" ist
Julia Ruhs sagt, sie komme aus einem konservativ-liberalen Umfeld, in der Redaktion ecke sie mit ihrer Meinung schon manchmal an. "Wenn man so offensiv mit seiner Meinung rausgeht, die wahrscheinlich nicht so derjenigen entspricht, die die meisten im Haus haben oder die sozial erwünscht ist, dann macht man sich natürlich auch ein paar Feinde." Sie wolle aber einen Beitrag leisten, um eine Brücke zu den Menschen zu schlagen, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk verloren habe. Und sie stehe im Sender auch nicht allein da, mit dem Eindruck, "dass es gut ist, dass jemand da ist, der diese offene Flanke schließt, die viele Bürger mittlerweile beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk schon vermuten".
Auf das weg-gedriftete Publikum zugehen, indem man sich auf seine Seite schlägt? Florian Klenk vom "Falter" sieht einen anderen Weg. Erklären, wie Journalismus funktioniert, wo seine Grenzen sind. Die Grauzonen ausleuchten. "Nehmen wir die SORA-Affäre. Wie kann es sein, dass jemand, der die Hochrechnung macht, gleichzeitig ein Wahlkonzept an einen Politiker schickt. Das ist eine berechtigte Frage. Warum kriegt der eine viele Inserate und der andere wenig? Warum wechseln Leute vom Journalismus in die Politik? Das müssen wir erklären."
Trump-Fans oder: Wenn Erklären nicht hilft
Klenk hat einen vielbeachteten Kommentar geschrieben, über seinen "Freund Michi", der Kickl wählt und die Informationskanäle der FPÖ und auf Telegram nutzt, weil sie ja ungefiltert seien und nicht von den Meinungseliten gesteuert. Um diese "Michis" geht es, die gibt es überall. In den USA glauben sie - obwohl rund 70 Verfahren vor Gericht bis hin zum Supreme Court alle das Gegenteil ergeben hätten - dass Donald Trump 2020 der Wahlsieg gestohlen worden sei, erinnert Meret Baumann, auch sie arbeitet für die "Neue Zürcher Zeitung". Erklären sei wichtig, aber das Beispiel Amerika sei frustrierend: "Das ist schon sehr besorgniserregend und lässt mich auch ein bisschen ratlos zurück."
Niggemeier: Viel zu tun, aber wir kommen da raus
Gesagt hat Meret Baumann das in der "Falter"-Arena, ein neues Diskussionsformat, wo es auch um die Vertrauenskrise gegangen ist. Der prominente deutsche Medienkritiker Stefan Niggemeier hat dort den optimistischen Part übernommen. Es gebe eine Vertrauenskrise, sagt Niggemeier. Journalisten müssten sich was einfallen lassen, "wie sie nicht nur in ihren Blasen kommunizieren. Ich glaube, das ist eine große Gefahr, dass sich das inzwischen so sehr ausdifferenziert hat, welches Medium lese ich, was im Grunde meine Meinung immer wieder verstärkt." Da gebe es viel zu tun - aber der Eindruck, dass alles darniederliege und keiner mehr irgendwem traue, der sei auch falsch, meint Niggemeier.