Ein Bub steht in den Trümmern eines Hauses nach einem Bombenangriff in Gaza City

APA/AFP/Omar El-Qattaa

Terror gegen Israel und die Medien

Propaganda-Schlacht um Nahost

Dieser Krieg tobt auch im Netz. Emotionale Bilder und Videos sind Teil der Kriegslogik. Es ist ein Kampf um die öffentliche Meinung, auf den die Terror-Organisation Hamas gut vorbereitet war. Die unglaubliche Bilderflut in den sozialen Medien - viele davon falsch - setzt auch traditionelle Medien unter Druck. Ihnen kommt gerade in diesem Getöse eine sehr wichtige Rolle zu, sie müssen einordnen und Fakten checken. Aus der Region zu berichten, ist so schwer wie noch nie.

Tote Kinder. Unzählige blutige Videos aus Gaza. Auf der anderen Seite: unfassbare Grausamkeiten der Hamas, begangen an Israelis, zum Teil live gefilmt und geteilt, auch über die sozialen Medien der Opfer. Geteilt wird auch Spott und Häme über Menschen, die ihr Leid vermeintlich nur vortäuschen würden. Misstrauen gegen den anderen wecken, darum geht es. Dazu kommen Fakes von Angriffen aus Videospielen. Sogar Influencerinnen nützen den Krieg fürs Geschäft, wenn sie zum Beispiel sagen: "Wenn du für Palästina bist, dann kaufe diese Produkte nicht."

Die Social Media Kanäle als Kriegsmittel

"Dieser Konflikt zeigt, wie sehr Social Media ein Teil der modernen Kriegslogik und Terrorlogik geworden ist", sagt Ingrid Brodnig. Die Journalistin und Autorin hat auch viele Bücher über Hass und Verschwörungen im Netz geschrieben. In diesem Propagandakrieg gehe es beiden Seiten darum, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen: "Das wirklich Schreckliche ist, dass dieser Kampf um die Deutungshoheit nicht mit Argumenten geführt wird, sondern mit schrecklichen Bildern auf Social Media." Und viele davon sind außerdem noch gefälscht.

Zwei Erzählungen prallen aufeinander

Für die einen beginnt der Krieg am 7. Oktober, dem Tag des Massakers an israelischen Zivilisten. Für die anderen beginnt alles vor 75 Jahren, mit der Staatsgründung Israels. Im Krieg der Worte und Bilder wird polarisiert. Differenzierungen und Zwischentöne finden kaum Gehör. Emotionen machen Meinung. Das beobachtet auch die Journalistin Nada Chekh, sie hat palästinensische Wurzeln und schreibt für das Magazin "biber" in Wien: "Postest du die Israel-Fahne, regen sich Leute auf, dass du einen Terrorstaat unterstützt, der Palästinenser seit Jahrzehnten unterdrückt. Postest du die Palästina-Fahne, ist es schon fast so, als ob du sagst: Ich liebe die Hamas."

"Es geht nicht um den 7. Oktober"

Nada Chekh hat in einer Kolumne gegen diese Polarisierung angeschrieben und damit einen Nerv getroffen. Sie erzählt über die arabische Community: "Es gibt ein großes Misstrauen auch gegen die Presse und gegen offizielle Stellen. Dass die westlichen Medien nicht das volle Bild zeigen würden und tendenziell mehr Richtung Israel Unterstützung gehen." Die Bilder der weinenden Kinder in Gaza, darin würden viele ein Sinnbild für das Leid der Palästinenser durch Jahrzehnte sehen. "Es geht diesen Leuten nicht um das, was jetzt konkret am 7. Oktober eigentlich passiert ist. Und das merkt man ja auch, weil es wenig Verurteilungen gibt von diesem Angriff. Sondern die sehen diese mehr als 70 Jahre, wo sich die Situation halt immer weiter verschlechtert hat."

"Der 7. Oktober ist für Juden eine Zäsur"

Die jüdische Journalistin Anna Goldenberg, die für die Wiener Wochenzeitung "Falter" und für "Die Presse" schreibt, erlebt die emotionale Debatte im Netz nach den Gräueltaten durch die Hamas am 7. Oktober anders: Sie habe in den ersten Tagen viel Solidarität erlebt, doch "die waren halt immer mit einem Aber".

Verharmlosungen und Relativierungen habe viele in ihrer Community sehr aufgeregt. Sie auch. Auch darüber hat sie geschrieben. "Ich finde, es ist da schon untergegangen, was das für eine Zäsur für das jüdische Leben war, was da passiert ist - weltweit. Was Antisemitismus betrifft, was Sicherheit betrifft. Das hat einfach das Sicherheitsgefühl von Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt nachhaltig erschüttert", sagt Goldenberg. Rasend schnell sei auch sie auf extreme Postings aus dubiosen Quellen gestoßen. Deshalb habe sie sich jetzt eine Instagram-Pause auferlegt, sie will nicht Teil der Kriegslogik sein, indem sie sich im Netz "so aufhussen" lässt.

So schwer war die Berichterstattung noch nie

Den traditionellen Medien - also den großen Zeitungen, Fernseh- und Radiostationen - kommt daher eine unglaublich wichtige Rolle zu. Sie müssen einordnen, analysieren, Falschnachrichten entdecken und offenlegen - dabei sind die Journalisten und Journalistinnen selbst der ganzen ungefilterten Propagandaflut ausgesetzt. Der Job war noch nie so schwer, sagt etwa Karim El-Gawhary, der seit Jahrzehnten für den ORF aus der arabischen Welt berichtet: "Ich finde es sehr schwer. Ich habe ja auch schon andere Konflikte mitgemacht, an denen Israel beteiligt war. Zum Beispiel der Libanon-Krieg 2006, auch da war die Situation nicht einfach. Aber im Moment ist die Situation so schwer wie noch nie."

Verifizierung von Videos in sehr knapper Zeit

Besonders Falschnachrichten zu entlarven, werde auf sich allein gestellt, ohne Verifizierungs-Profis, immer schwieriger: "Wir haben oft auch gar nicht die Zeit dafür, weswegen wir dann häufig von manchen Dingen die Finger lassen, obwohl es vielleicht doch ein richtiges Video ist. Im Zweifel lässt man es halt dann doch weg." Videos und Informationen der Hamas müsse man jedenfalls mit großer Skepsis behandeln. Die "Zeit im Bild" hat sich zuletzt entschieden, ein Video von drei Geiseln nicht zu zeigen.

Misstrauen plötzlich gegen renommierte Stellen

El-Gawhary weist auch darauf hin, wie jetzt überall Misstrauen gesät werde - auch gegenüber internationalen Organisationen, denen man immer vertraut habe: "Es werden Berichte angezweifelt, die Amnesty International macht. Es werden Berichte angezweifelt, die die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch veröffentlicht hat, selbst Angaben des Internationalen Roten Kreuzes. Bis hin zum UNO-Generalsekretär, der diskreditiert wird." Es könne nicht sein, dass ausschließlich israelische Informationen als richtig gelten.

Falsche Berichterstattung über eine Explosion

Wie schwer der Job sein kann, hat die Explosion im Krankenhaus Al-Ahli in Gaza gezeigt. Sogar die renommierte Tageszeitung "New York Times" musste ihre Berichterstattung korrigieren: Man habe zu schnell die Behauptungen der Hamas übernommen, dass eine israelische Rakete im Krankenhaus explodiert sei. Man hätte gleich sagen müssen, welche Informationen geprüft werden konnten, so die "New York Times".

Der Zeitdruck und die Bilderflut im Netz setzen Medienhäuser unter Druck - eine Herausforderung auch für die großen Nachrichtenagenturen, die viele Zeitungen beliefern. Dazu sagt die neue Chefredakteurin der Austria Presse Agentur, Maria Scholl: "Es ist schwierig, Informationen, die da sind und die extrem viral sind und die sich extrem schnell verbreiten, zu ignorieren. Das heißt, es gibt irgendwann auch den Punkt: Muss ich etwas berichten, weil darüber so viel gesprochen wird? Und gehe ich damit das Risiko ein, dieser Information ein riesiges Gehör zu verschaffen - und dass sich diese Information vielleicht als nicht haltbar herausstellt."

Auch konsequent sagen, was man nicht weiß

Man dürfe sich eben nicht treiben lassen. Dass das zu Fehlern führen kann, zeige die Berichterstattung über das Krankenhaus. Normalerweise würde man ja warten, bis man etwas wisse und dann erst berichten, so Maria Scholl: "Aber wenn eine Information schon sehr, sehr weit verbreitet ist, dann ist es mitunter auch wichtig, früher einzusteigen und zu sagen, es gibt diese Informationen, aber wir wissen nicht, ob das stimmt."

Wie unterschiedlich die Hamas bezeichnet wird

Aber: Was ist eigentlich objektiv? Schon die Frage, ob die Hamas als Terror-Organisation zu bezeichnen ist, scheidet die Geister. Die britische BBC hat befunden: nein - man berichte die Fakten und überlasse die Wertung dem Publikum. Wie die weltweit größte Nachrichten-Agentur AP hat die BBC die Hamas zunächst als "militante Gruppe" bezeichnet. Nach Publikums-Protesten hat man davon abgelassen. Die BBC nennt die Hamas jetzt eine - Zitat - "von der britischen und anderen Regierungen verbotene Terror-Organisation". In der Berichterstattung in Deutschland und Österreich gelten Hamas-Leute so wie in Israel schlicht als Terroristen. Im arabischen Raum sind sie Widerstands- und Freiheitskämpfer.

ORF-Berichterstattung steht in der Kritik

Medialer Sprengstoff. Auf den Social Media Kanälen der "Zeit im Bild" erreichen den ORF zehntausende Kommentare täglich. Der Ton ist viel rauer als sonst, es gibt viele gewaltverherrlichende, antisemitische oder islamophobe Kommentare. Die Moderation der Kommentare musste personell verstärkt werden, auch um strafrechtlich relevante Inhalte zu löschen. Viel Kritik hat ein Beitrag für Kinder in der "ZIB Zack Mini" über den Gaza-Streifen ausgelöst. Da sei der Hamas-Terror verharmlost worden, hieß es. Der ORF hat bedauert, dass der Eindruck einer Relativierung entstanden sei, und den Beitrag aus der TVthek entfernt.

Ein Korrespondent im Shitstorm-Gewitter

Auch Karim El-Gawhary muss derzeit in den sozialen Medien viel Kritik einstecken. Besonders von Politikberatern, die teilweise die Gelegenheit nützen, den ORF ganz allgemein anzugreifen. El-Gawhary will sich darauf nicht einlassen, das führe zu nichts. "Wenn man alles, was da von arabischer Seite kommt, einfach nur als hamas-freundlich oder terror-freundlich niedermacht, dann tut man dem Ganzen überhaupt kein Gefallen. Man sollte einen Konflikt auch analysieren können. Wenn ich das nicht in einen Kontext stelle, kann ich nicht über Lösungen diskutieren." Der Propaganda-Krieg ist so vielschichtig wie der Konflikt selbst.

Social Media verstellt den Blick nach vorn

Karim El-Gawhary sieht die Medien gefordert, auch nach vorn zu schauen: "Wichtig ist, einfach bei den Inhalten zu bleiben, sich auch ab und zu mal Gedanken über den Tag danach zu machen. Wie geht es eigentlich weiter? Wohin kann das führen?" Das Getöse im Netz wird den heiklen Prozess weiter begleiten. Die Social Media Analyse zeigt, dass Hashtags wie #savepalestine und #freepalestine ein Milliarden-Publikum erreichen, während pro-israelische Inhalte viel weniger präsent sind. Die Hamas habe Israel eben auch mit ihrer Propaganda-Maschinerie überrollt, so der Befund des Social Media Marktforschers Buzzvalue.

Expertin Brodnig empfiehlt: Mach mal Pause

Die Internet-Expertin Ingrid Brodnig weist darauf hin, dass es jetzt besonders wichtig sei, die Methoden der Meinungs-Manipulation zu verstehen. Vor allem antisemitische Aussagen müssten benannt werden. Dem und der Einzelnen empfiehlt Brodnig, im Netz auch einmal eine Pause einzulegen und zu überlegen: "Es gibt Grenzen, was ich als Einzelperson dazulernen kann, wenn ich eine weitere Leiche in meinem Feed habe."

Service

Presse-Kolumne von Anna Goldenberg - War ich zu naiv? Das Pogrom der Hamas und die Folgen

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