Das Tesla-Logo

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Digitale Transformation

Die Zeitungsbranche braucht Teslas

Innerhalb der nächsten zwei Jahre, so die Prognose des digitalen Medienunternehmers Stefan Lassnig, werde in der Zeitungsbranche kein Stein auf dem anderen bleiben. Printprodukte seien die Verbrennungsmotoren der Medienbranche, die längst Teslas produzieren müsste, zieht Lassnig einen Vergleich zur Automobil-Industrie. Beim Online-Pionier "Der Standard" tut sich was, erst einmal sparen, dann ein neuer Chefredakteur. Und auch andere Verlage reagieren.

Die Redaktion der "Kronen Zeitung" bekommt einen prominenten Neuzugang. Rainer Nowak wird für drei Ressorts verantwortlich sein, der Boulevard fängt den tief gefallenen Ex-Chefredakteur der Qualitäts-Zeitung "Die Presse" auf. Nowak ist über seine Chats mit Thomas Schmid gestolpert, das ist der Mann, der vor Gericht der Kronzeuge gegen Sebastian Kurz in Sachen Inseratenkorruption sein will.

Weißwaschung des Rainer Nowak nach den Chats

Jetzt ist also Weißwaschung angesagt. "Rainer Nowak wird per Jahresbeginn 2024 Leiter des Wirtschaftsressorts, die Ressorts Wirtschaft, Innen- und Außenpolitik werden in einem größeren Pool zusammengefasst, den ebenfalls Nowak leitet." Bestätigt die "Krone". Chefredakteur wird Nowak nicht, den gebe es schon, lässt Christoph Dichand auf Anfrage ausrichten. Weiterbringen muss das Blatt ein anderer, der als Sanierer bekannte Michael Tillian übernimmt demnächst die Geschäftsführung.

Auch die "Krone" kämpft und alte Größe hilft

Auch an der "Kronen Zeitung" zieht der Sturm auf dem Medienmarkt nicht vorbei, weiß Stefan Lassnig. "Die Krone kämpft genauso mit hohen Papier-Preisen, weil sie so hohe Auflage haben. Die Krone kämpft genauso mit hohen Energiepreisen, genauso mit den Zustellproblemen, mit denen derzeit alle Printmedien zu kämpfen haben. Sie haben halt aus der Vergangenheit eine große Stärke, die sie da mitbringen. Aber letztlich wird sie diese Entwicklung genauso einholen wie alle anderen."

So wie die Gratiszeitung "Heute", die ihre Print- und Online-Redaktionen unter der Leitung von Clemens Oistric zusammengelegt hat. Print-Chefredakteur Christian Nusser ist draußen, er arbeitet an einem Premium-Produkt für eine völlig andere Zielgruppe. Bald soll es Details dazu geben.

Fellner-Gruppe an nächste Generation übergeben

So wie die Verlagsgruppe "Österreich" der Fellner-Brüder, die jetzt von der nächsten Generation geführt wird. Niki Fellner hat zuletzt eine "Digital-first Strategie" verkündet, nachdem im Medienhaus ein Sanierer aufgeräumt hat. Ein Interview mit Fellner kam nicht zustande - darin wäre es auch um den Schuldenschnitt mit den Banken gegangen, um die harten Sparmaßnahmen, um das Ende der Sonntags-Ausgabe der Gratiszeitung und um die Rolle von Wolfgang Fellner - mehrfach in Zusammenhang mit sexueller Belästigung von Mitarbeiterinnen verurteilt und immer noch im Blatt und am Schirm zu sehen.

Die fatale Entwicklung auf dem Medienmarkt hat auch die Tageszeitung "Der Standard" eingeholt, die vor 35 Jahren gegründet worden ist, aber auch nicht viel zu feiern hat. 25 von 382 Mitarbeitern in der Verlagsgesellschaft sind zur Kündigung angemeldet, bestätigt Geschäftsführer Alexander Mitteräcker: "Das heißt, wir reden von etwas über sechs Prozent, die wir jetzt angemeldet haben. Wir haben jetzt einen Monat Zeit zu schauen, wie wir das machen."

Redaktion muss nicht alle Kündigungen tragen

Mitteräcker schließt lediglich aus, dass die Redaktion - sie besteht aus 180 Journalistinnen und Journalisten, in Vollzeit-Stellen umgerechnet sind es immerhin auch noch 165 - die Kündigungen allein tragen muss. Dass sich "Der Standard" eine für österreichische Verhältnisse geradezu riesige Redaktion überhaupt leisten kann, erklärt der "Standard"-Chef so: "Wir haben einen sehr digitalen Schwerpunkt, das heißt, die ganze Kostenbasis ist anders, und das ermöglicht uns, eine sehr, sehr große Redaktion zu betreiben. Das hat auch wirklich gut funktioniert die letzten Jahre."

Die Teuerung und die schwachen Werbe-Erlöse haben auch durch diese Rechnung einen Strich gemacht. Chefredakteur Martin Kotynek ist sich mit Mitteräcker nicht einig geworden, wie es weitergehen soll. Kotynek, der vor sechs Jahren von der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" gekommen ist und die "Zeit online" mit aufgebaut hat, wollte wie dort noch stärker auf Bezahlmodelle setzen. Mitteräcker bremst, er will nicht zu viel Reichweite und damit Werbeerlöse verlieren.

"Standard"-Chef schätzt Riedmann als Manager

Umsetzen soll das ab April Gerold Riedmann, der von den "Vorarlberger Nachrichten" kommt und dort nicht nur Chefredakteur, sondern auch Mitglied der Geschäftsführung ist. Er sei gerade in Norwegen gewesen, dort sei diese umstrittene Doppelrolle weit verbreitet, sagt Mitteräcker. Der "Standard"-Redaktion will er es dennoch nicht zumuten: "In Österreich versuchen wir, hier eine Trennung aufrechtzuerhalten, die wir jetzt im Übrigen auch beim Gerold weiterführen werden. Aber ich glaube tatsächlich, dass man das nicht so streng sehen muss."

Stefan Lassnig, der heute Podcasts entwickelt und vermarktet und früher die reichweitenstarken Bezirksblätter gemanagt hat, traut Riedmann einiges zu. Der nächste "Standard"-Chefredakteur habe den Glauben, dass Digital funktioniert und erfolgreich sein kann: "Die Frage ist, ob er das System weiterbringt oder ob das System ihn umbringt. Ich bin mir da nicht hundertprozentig sicher, man darf das Festhalten an Systemen von außen, aber auch von innen nicht unterschätzen."

Alle Kraft und das ganze Geld ins Digitale

"Der Standard" sei digitaler Pionier gewesen, seit 1995 online - als erste deutschsprachige Zeitung. Er sei aber immer noch sehr auf das Print-Produkt fixiert. Ob sie den Mut haben werden, das umzudrehen, das sei die spannende Frage. Stefan Lassnig ist überzeugt: Es hilft nur radikales Umdenken. "Bis jetzt war es so, man hat Print gemacht und hat - großteils widerwillig, würde ich jetzt behaupten - digitale Aktivitäten gemacht. Und ich fürchte, so werden wir nicht erfolgreich sein in der Medienbranche, im Legacy Bereich." So nennt Lassnig die klassischen Medien. Sein professioneller Rat: "Ich glaube, man muss es wirklich umdrehen. Ganz radikal, ab sofort. Wir glauben an das Digitale. Wir setzen auf das Digitale. Wir setzen alle Kraft und Geld, das wir haben, da rein."

"German car industry" als Negativbeispiel

Und Lassnig verwendet gern einen Vergleich mit der Automobil-Industrie. "Tesla als Unternehmen hat schon einiges richtig gemacht, wenn man sich die Verkaufszahlen von Elektroautos anschaut. Aber die haben nie parallel Verbrenner produziert. Und ich glaube, dass die deswegen so erfolgreich sind. Das heißt: Was wir brauchen in Österreich in der Medienbranche sind Teslas und keine - Entschuldigung - BMW und Mercedes." Ein Bild, das kürzlich auch Emma Tucker verwendet hat. Die Britin wurde vom "Wall Street Journal" bei der "Sunday Times" als Chefredakteurin abgeworben - und sie macht jetzt in New York das, was auch Lassnig anspricht. Radikal mit althergebrachten Strukturen brechen. Tuckers Motto: "We don't want to be the German car industry of news publishing."

Der Kollektivvertrags-Bruch war "alternativlos"

Alexander Mitteräcker vom "Standard" hat derzeit vor allem eine althergebrachte Struktur im Visier: den Journalisten-Kollektivvertrag, den die Verleger gekündigt haben. Ein neuer KV sei alternativlos, sagt Mitteräcker. "Wir wollen Kostensteigerungen, die absehbar sind, damit abfangen. Ich glaube nicht, dass wir in bestehende Dienstverhältnisse eingreifen werden. Was tatsächlich ein Thema ist, das ist die Flexibilität der Arbeitszeiten." Die Journalisten-Gewerkschaft ist vorerst einmal auf Konfrontation gegangen und hat schon die Streik-Freigabe beantragt, Mitteräcker warnt vor einer solchen Entwicklung. Diese würde auch den Journalisten auf den Kopf fallen, weil ihr Arbeitsmarkt immer enger werde.

"Dramatische Landschaftsveränderung bis 2025"

Stefan Lassnig meint, das werde so oder so eintreten. Die gedruckte Tageszeitung sei in der digitalen Welt ein Anachronismus und könne zu bisherigen Preisen bald nicht mehr produziert werden. Lassnig wagt eine Prognose: "Ich würde sagen, die nächsten zwei Jahre werden wir das sehen, also 2024 und 2025. Ich bin mir sicher, Ende 2025 wird die Medienlandschaft dramatisch anders aussehen als heuer. Erste Vorboten gibt es bereits, es sind ja heuer Zeitungen eingestellt worden und Printprodukte. Und es werden nicht die Letzten gewesen sein."

Die "Wiener Zeitung" und das Linzer ÖVP-"Volksblatt" erscheinen nicht mehr auf Papier gedruckt. Beim Gratis-Magazin "biber" - der Titel bedeutet im Serbokroatischen und Türkischen so viel wie "scharf" - ist überhaupt Schluss. Nach sechzehn Jahren geht es sich mit dem Geld nicht mehr aus. Die von Migrationsbiografien geprägte Redaktion hat viele gute und etablierte Journalistinnen und Journalisten - wie Melisa Erkurt, Anna Thalhammer und Clemens Neuhold - hervorgebracht.

Am Beispiel "biber": Jedes Medium hat seine Zeit

Nada Chekh aus der "biber"-Redaktion spricht das an: "Insofern hat biber halt einen sehr großen Teil von seinem sozialen Auftrag schon erfüllt. Es geht jetzt darum, dass andere Redaktionen das auch erkennen, dass es eben ein Schatz ist, eine Ressource, dass es sich lohnt, Menschen zu unterstützen, die vielleicht nicht den perfekten Lebenslauf haben oder halt nicht die Connections irgendwie so über die Eltern, in irgendwelche Redaktionen oder zu Praktika. Also wir waren eine Truppe von Underdogs, die extrem gute und wichtige Arbeit geleistet haben und das lassen wir uns auch nicht wegnehmen."

"biber"-Gründer Simon Kravagna hat das Ende seines Projekts mit den Worten "Jedes Medium hat seine Zeit" kommentiert. Ein Satz, der im Existenzkampf der Branche eine übergeordnete Bedeutung bekommt.

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