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AP/KIICHIRO SATO

Aggressiver Algorithmus

Wie TikTok die Jungen ködert

Zwei Drittel aller jungen Menschen in Österreich sind auf TikTok. Sie verbringen täglich Stunden mit den hunderten Videos, die im Sekundentakt auf sie einprasseln. TikTok ist eine ihrer Hauptquellen für Unterhaltung und Information. Dabei gerät man sehr schnell auf Abwege, wie auch der #doublecheck Selbstversuch zeigt. Wie kann man sich dagegen wappnen? Kann man auf TikTok überhaupt seröse Nachrichten vermitteln? Die ZIB versucht das, mit großem Erfolg. Kritikerinnen halten das nur für oberflächliches Marketing.

"Hören Sie was der Prophet Mohammed vor über 1400 Jahren über Palästina gesagt hat." "Hier sind die Zeichen, dass du ein Auserwählter bist." Nur eine Stunde war die Journalistin Lina Paulitsch von der Wiener Wochenzeitung FALTER auf TikTok. Sie hat sich als 14-Jährige ausgegeben, um zu erfahren, was Jugendliche dort sehen. Da hat sie schon das zu hören bekommen. Ohne, dass sie vorher ähnliche Inhalte gesucht hat und TikTok etwas über sie wissen konnte. "Das war verstörend, weil ich gemerkt habe, wenn ich da dran bleibe, dann kommt sofort das nächste und sofort das nächste und sofort das nächste", sagt Paulitsch.

Missionarische Inhalte nach wenigen Minuten

"Das waren keine unschuldigen Inhalte, sondern Videos, wo es immer darum ging Teile das, wenn du uns glaubst, sei Teil unserer Bewegung, also mit einem gewissen Appell und und einer Indoktrinierung", erzählt Paulitsch vom Selbstversuch. Auch der Doublecheck-Selbstversuch zeigt nach kurzer Zeit: Zuerst kommen Satire-Videos, True-Crime Geschichten, Werbung und prompt die ersten Videos, die den Nahostkonflikt thematisieren. "So fängt es an", sagt Paulitsch. Schaut man sich das an, kommt immer mehr.

Suizidgedanken, Essstörungen, Krieg: Alles wird verstärkt

Der Krieg im Nahen Osten ist derzeit Top-Thema, pro-Palästinensische Inhalte dominieren. TikTok lernt schnell. Wer sich ein Video länger anschaut, bekommt sofort mehr davon. Und immer ein bisschen extremer. Das ist besonders gefährlich für junge Menschen, die Suizidgedanken haben, Essstörungen, oder anfällig für extreme politische Bewegungen sind. TikTok ist auch anders als andere soziale Medien. Es ist weniger sozial. Es kommt nicht nur darauf an, wem man folgt, sondern was man schaut. Man schafft sich also einen eigenen Kanal.

Warum TikTok süchtig macht

"Was TikTok besonders macht, ist dass die Verweildauer sehr hoch ist, weil es süchtig macht", sagt Thomas Prager vom Digital Kompass, einer Initiative, die in Österreich die sogenannten "Lie Detectors" organisieren - also übersetzt: Die Lügenfinder. Das sind Personen, wie Journalisten, die in Schulen gehen und aufklären, wie Manipulation funktioniert und wie man Falschnachrichten enttarnen kann. Sein Fazit nach fünf Jahren: Es gibt große Unterschiede wie gut Schüler und Schülerinnen informiert sind. Eine entscheidende Rolle spielen Lehrer und Eltern.

"TikTok treibt Falschmeldungen auf die Spitze"

Dabei stehe viel auf dem Spiel, denn TikTok treibe negative Entwicklungen rund um Falschmeldungen auf die Spitze. Deshalb hält er Medienkompetenz für eine Grundkompetenz: "Das ist eine Kompetenz wie Schreiben, Lesen, Rechnen, die alle lernen sollten", sagt Prager. Für 18 bis 24-Jährige sind soziale Medien die Hauptnachrichtenquelle, das zeigt der jährliche "Digital News Report" vom Reuters Institut an der Universität Oxford wieder klar. Dabei liegt TikTok bei der Nutzung nach Instagram, YouTube und WhatsApp bereits an vierter Stelle, Tendenz steigend. Derzeit nutzen TikTok in Österreich etwa 2 Millionen Menschen. Anders gesagt: Knapp zwei Drittel der Jugendlichen nutzen die Plattform. Politik ist eines der beliebtesten Themen.

Jeder sollte sich journalistische Grundfragen stellen

Um sich wirklich ein Urteil bilden zu können, ob man einer Nachricht trauen kann oder nicht, müssten junge Menschen lernen, wie Journalisten zu denken, sagt Prager von den Digital Kompass. Sie sollten die berühmten W-Fragen kennen. Das bedeutet: "Wer hat das eigentlich veröffentlicht? Warum wurde der Inhalt veröffentlicht? Welche Quellen wurden verwendet? Welcher Song steht dahinter? Kommt der vielleicht aus ein Computerspiel und kommt gar nicht von dort? Woher kommt das Bild, das mir angezeigt wird? Wann wurde das veröffentlicht?"

Die ZiB auf TikTok: Journalismus oder Marketing?

Eignet sich TikTok überhaupt als Nachrichtgenkanal? Besonders erfolgreich ist die Zeit im Bild, sie hat nach nur zwei Jahren auf TikTok bereits rund 450.000 Abonennten. Idan Hanin, einer der Moderatoren, ist überzeugt davon, dass Nachrichten auch dort stattfinden müssen, wo junge Menschen sind. "Wir müssen denen die Welt erklären. Wir wollen das unbedingt. Wir glauben, dass es demokratiepolitisch wahnsinnig wichtig ist, dass junge Menschen sich auskennen. Sie wählen ja auch."

Nicht alle sind begeistert. Die Politik- und Kommunikationsberaterin Nina Hoppe findet, TikTok sei kein Kommunikations-, sondern ein Marketing-Tool und daher für Nachrichten problematisch: "Wenn man zu sehr ins Marketing geht, wird es zu oberflächlich." So empfindet Hoppe auch den Auftritt der Zeit im Bild. Vor allem die Themenauswahl kritisiert sie, vieles ist ihr zu seicht. Gefragt, ob der ZIB-TikTok-Kanal seinen Bildungsauftrag erfüllt, sagt sie klar: "Nein, absolut nicht. Es sind Themen, die meines Erachtens nichts mehr mit klassischer politischer Kommunikation oder mit politischem Journalismus zu tun haben", sagt Hoppe. Für die Hauptnachrichten-Sendung des ORF sei das "fast unwürdig".

Hanin kontert: "Das finde ich ganz falsch. Wir machen Journalismus, wir telefonieren mit Expertinnen und Experten. Wir versuchen einfach, passend für die junge Zielgruppe diese Inhalte aufzubereiten. Das muss nicht jedem gefallen. Aber wir sehen, es interessiert viele Menschen und deswegen ist es goldrichtig."

Wieviel Boulevard darf sein?

Wieviel Boulevard darf im Auftritt des öffentlich-rechtlicher Senders auf TikTok stecken? Hanin stellt klar: "Wir machen öffentlich rechtliche Nachrichten, und das ist nicht Boulevard. Klar ist aber auch, wir müssen mit den ersten Sekunden Interesse erzeugen am Video. Die ersten Sätze sind catchy, die müssen sitzen. Da muss man wirklich herhören. Trotzdem sind die Regeln da für uns auch klar. Das muss alles stimmen und die Zuspitzung muss 100 Prozent korrekt sein, weil sonst machen wir es nicht".

Die Europäische Union hat die sozialen Netzwerke natürlich im Blick, aber bis es durch den neuen "Digital Services Act" - das Gesetz für digitale Dienste - zu Strafen kommt, wenn problematische Inhalten nicht entfernt werden, kann viel Zeit vergehen.

Wie man die Tricks entlarven kann

Schneller ist es, sich mit Information zu wappnen, meint auch Prager. Deshalb hat seine Organisation heuer einen eigenen TikTok-Kanal aufgebaut, der aufklären soll, er heißt BAIT, also Köder auf Deutsch, ein Gegenmittel zum sogenannten CLICK-BAIT also. In einem Video wird gefragt: "Machen euch die vielen Bilder vom Krieg auch oft fertig? Hier kommen vier Tipps wie weniger davon auf eurer For You-Page landet." Es ist möglich, Videos über bestimmte Themen gezielt herauszufiltern.

Weitere Tipps sind: Den eingeschränkten Modus aktivieren, dann filtert TikTok Inhalte, die es selbst für extrem hält. Oder: Einzelne Videos mit "nicht interessiert" markieren, dann bekommt man weniger davon. Und einfach lieber nach anderen Themen suchen, damit der Algorithmus neu programmiert wird. Man kann ihn auch zurückversetzen. Auch der Sound lässt sich leicht prüfen. Mit einem Click kann man feststellen, wo er noch verwendet wird. Bilder kann man in der Google-Bildersuche überprüfen.

Mitmach-Aufforderungen ignorieren - und ausschalten

Wie immer im Netz sollte man bei Inhalten misstrauisch werden, die besonders aufregen. Außerdem hat Lina Paulitsch vom FALTER noch einen Rat: "Wo bei einem selbst die Alarmglocken schrillen sollten, ist, wenn man dazu aufgerufen wird, etwas zu tun. Also: Schließe dich unserer Bewegung an. Versende dieses Video und Allah wird dich belohnen. Es ist auch oft so, dass diese Accounts wollen, dass man kommentiert oder liked und so seine Zugehörigkeit zeigt, weil sie selbst viral gehen wollen. Das sollte man nicht tun." Stattdessen kann man sich auf TikTok auch nur unterhalten lassen, mit Beauty-Tipps, Kochrezepten oder Comedy. Und ausschalten, wenn Inhalte zu stressen beginnen. Wenn man das schafft.

Service

BAIT - der Faktencheck-Kanal der "Digital Kompass" auf TikTok:
https://www.tiktok.com/@bait.faktencheck

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