Baumstämme, passend zum Sprichwort, den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen

APA/BARBARA GINDL

Medien- und Informations-Kompetenz

Das Netz und die Demokratie

Desinformation im Netz, das ist gerade in einem Super-Wahljahr wie 2024 ein großes Thema. Das Bewusstsein, dass Fake News zunehmend unsere Demokratien beeinträchtigen, ist laut einer UNESCO-Studie zwar da. Nur steht die Fähigkeit, das im konkreten Fall zu durchschauen, dazu in keinem Verhältnis. Es mangelt an Informations-Kompetenz, während die Anforderungen durch Künstliche Intelligenz und aggressive Algorithmen wachsen.

Künstliche Intelligenz im Unterricht? Ja bitte, und viel mehr davon, sagt Thomas Strasser von der Pädagogischen Hochschule Wien. Strasser ist Experte für Medienbildung und technologie-unterstütztes Lernen. Er sagt, KI könnte man sogar im Fach Bewegung und Sport einsetzen: "Mittlerweile wissen wir, dass sehr viele Sportteams zum Beispiel in der NBA, in der amerikanischen Basketball-Liga, KI-gestützte Analysetools nehmen, um Wurftechniken zum Beispiel zu verbessern." Für Strasser zeigt das, wie gesellschaftspolitisch relevant das Thema ist. Es müsste in den Lehrplänen prominenter verankert werden.

Die KI und die Körbe der NBA-Profis

Bis es so weit ist und die Digitalisierung in allen Fächern der Normalzustand ist, werden die NBA-Profis noch sehr viele Körbe werfen. Aber immerhin hat Österreich seit 2018 die Digitale Grundbildung, seit dem letzten Schuljahr für die 11- bis 14-Jährigen sogar als eigenes Fach. Bald kann man das sogar als Lehramt studieren. "Das ist schon auch ein gesellschaftspolitisches Zeichen. Digitale Grundbildung als studierbaren Unterrichtsgegenstand zu manifestieren", sagt Strasser. Für ihn ist das aber Segen und Fluch zugleich. Segen, weil uns etwa die Deutschen darum beneiden und mittlerweile schon um die tausend Lehrpersonen für digitale Grundbildung einsetzbar sind - und Fluch, weil sich Vertreter anderer Fächer zurücklehnen können und sagen: die Kolleginnen und Kollegen, die machen das schon.

Digitale Lehrerbildung zu wenig am Puls

Die Ausgebildeten sehen die Ausbildung laut Thomas Strasser übrigens oft kritisch: "Sie hätten viel lieber genau diese Themen Cyber Security, Social Media, Einsatz von TikTok im Unterricht - und vielleicht sogar eine Spur weniger: Wie lerne ich jetzt zu programmieren? Oder wie lerne ich jetzt einen Computer zu zerlegen und zusammenzubauen?" Das sei der richtige Ansatz, sagt der Medienpädagoge. Man müsse dorthin, wo die Schülerinnen und Schüler mit ihren Köpfen sind.

An der Popkultur der Jugend orientieren

Für Lehrkräfte sei es entscheidend, "auch zu verstehen, was ist denn die momentane Popkultur unserer Jugendlichen? Wo holen sich denn unsere Jugendlichen die Nachrichten oder die Infos? Und das sind mittlerweile Instagram und TikTok." Ob das jetzt gut oder schlecht ist, sei nicht der Punkt. "Aber diese Phänomene müssen auch im Kontext der digitalen Grundbildung unterrichtet werden."

Vor einer Verengung der digitalen Bildung in der Schule warnt auch der Soziologe Dimitri Prandner von der Kepler-Universität in Linz. Er hat gemeinsam mit der Universität Salzburg zum zweiten Mal die digitalen Fähigkeiten der Österreicher abgefragt, die Studie ist Teil des Medienkompetenz-Berichts der Rundfunk-Regulierungsbehörde RTR. Länder, wo digitales Wissen breiter und alltags-relevanter vermittelt wird, lägen besser als Österreich, sagt Prandner. Er spricht von einem "Overload" - immer neue technische Anwendungen würden inhaltliches Reflektieren überlagern und behindern.

Alarmierende Zahlen aus Digital-Skills-Studie

Prandner: "Dadurch, dass es auf der technischen Ebene sehr, sehr stark verschmilzt und immer mehr konvergiert, wird es für Teile der Bevölkerung ganz, ganz schwer, das dann zu trennen und auch zu reflektieren." Nämlich woher die Inhalte kommen und warum von einer bestimmten Personengruppe oder Berufsgruppe. Zwei bemerkenswerte Zahlen aus der Studie: Von mehr als tausend Befragten haben fast zwei Drittel bei einer Aufgabe zum Finden von Informationen in Sozialen Netzwerken das Handtuch geworfen. Und wieder zwei Drittel konnten personalisierte Werbung nicht erkennen und verstehen.

Was Studien-Autor Dimitri Prandner ziemlich alarmiert: "Ein Großteil der Bevölkerung kann das nicht unterscheiden. Und das ist beängstigend, weil das große Implikationen für das Verständnis von Demokratie und für das Zusammenleben hat." Wenn eine Person nicht mehr unterscheiden könne, ob etwas tatsächlich politische Werbung ist oder ein reflektierter Beitrag von einem Journalisten oder von einer Journalistin, "dann wird es kritisch - und das sehen wir immer mehr“.

90 Prozent wegen Desinformation besorgt

Stichwort Desinformation und Demokratie: Im Superwahljahr 2024 ist das ein großes Thema, und zwar weltweit, wie eine Studie der UNESCO in 16 Ländern mit Wahlen in diesem Jahr zeigt. Auch Österreich ist darunter. Claudia Isep von der österreichischen UNESCO-Kommission: "Die wirklich überraschende Zahl aus meiner Perspektive war, dass 87 Prozent der Befragten im globalen Schnitt angegeben haben, dass sie der Meinung sind, dass Desinformations-Kampagnen die politische Situation in ihren Ländern schon beeinflussen und dass sie das vor dem Hintergrund der kommenden Wahlen noch viel stärker tun werden." Sprich: Das Bewusstein für die Gefährlichkeit von manipulativen Falschnachrichten - nicht nur, aber ganz besonders in Wahlzeiten - wäre da.

Aber es fehlen eben zu oft die Fähigkeiten, individuell angemessen zu reagieren. Die UNESCO nahm die Studie auch zum Anlass, auf eine wirksame Regulierung der Plattformen zu drängen.

Social Media sind unzuverlässig, aber ein Hit

Interessant in dem Zusammenhang ist: Die Haupt-Nachrichtenquelle der Befragten sind Social Media, obwohl die Nutzer und Nutzerinnen diesen weniger vertrauen als traditionellen Medien. Das ist eine Diskrepanz, für die Maren Beaufort vom Institut für Vergleichende Medien- und Kommunikationswissenschaft von der Akademie der Wissenschaften und der Uni Klagenfurt eine Erklärung hat. Sie hat erforscht, dass etwa ein Drittel der Mediennutzer und -nutzerinnen mehr Beteiligung wollen und das von den traditionellen Medien nicht bekommen. "Damit wird eben klar, warum Online-Kommunikationsräume für dieses Drittel der Bevölkerung wesentlich interessanter sind als die traditionellen Massenmedien. Und warum es wichtig ist, dass nicht alles, was Information ist, von älteren Herren in Anzug und in Form einer Einweg-Kommunikation vermittelt wird."

Wissenschaft will Plattformen demokratisieren

Beaufort ist deshalb Fan der "ZIB TikTok", weil mit dem Format auf die Bedürfnisse des Publikums reagiert wird - von einem öffentlich-rechtlichen Medium mit dem Anspruch, Informations-Kompetenz zu stärken. Die Medienwissenschafterin versteht darunter mehr als die kritische Lesefähigkeit von Inhalten und Quellen. Es gehe auch um den Umgang mit Machtstrukturen im Netz. "Es kann nicht sein, dass die individuellen, nicht harmonisierten Hausregeln profit-orientierter Internetplattformen darüber entscheiden, was beispielsweise Desinformation sein soll und was nicht."

Demokratische Spielregeln für den digitalen öffentlichen Raum seien unabdingbar, sagt Beaufort. Und auf die Frage, ob das nicht ein sehr theoretischer Anspruch sei, sagt sie: "Eine transparente und faire Verteilung von Informationsmacht ist kein wissenschaftlich-theoretischer Anspruch, sondern muss der reale Anspruch jeder demokratischen Gesellschaft sein." Der Kerngedanke von Demokratie besage immer noch, dass die Macht vom Volk ausgehen soll. "Und das heißt, überall da, wo die Realität im Netz diesem Grundsatz widerspricht, muss regulierend eingegriffen werden."

"Am besten schon im Kindergarten beginnen"

Beaufort spricht auch von "Data Literacy" und meint damit das Wissen über die Herkunft, den Umgang und die Spuren von Daten im Netz. Das alles gehöre zur Informations-Kompetenz, die entscheidend sei, um dem Vertrauensverlust in die politischen Institutionen entgegenwirken zu können. Was ist aus ihrer Sicht zu tun? Mehr als bisher jedenfalls, so Maren Beaufort. "Am besten schon im Kindergarten beginnen. Lebenslang andauern und insbesondere auch Multiplikatorinnen einbeziehen, die bis heute kaum einschlägig aus- und fortgebildet werden. Gemeint sind vor allem Lehrer und Kindergärtner."

Kinder kennen das Konzept Lüge schon gut

Tatsächlich kann man nicht früh genug mit Medienbildung beginnen, wie Sonja Gabriel von der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule weiß: "Kinder kennen das Konzept Lüge sicher schon sehr gut." Davon könne man im Unterricht ausgehen und hinterfragen: "Wann lügt jemand? Warum lügen wir überhaupt? In welchen Situationen? Was wollen wir denn damit bezwecken? Und dann von dem auch darauf schließen, dass nicht alles, was uns irgendwo über den Weg läuft, unbedingt immer wahr sein muss." In der Volksschule und schon davor müsste der Grundstein für eine kritische Medien-Nutzung gelegt werden, auch von den Eltern. Materialien und Zugänge gebe es genug, sagt Sonja Gabriel.

Detektiv-Spielen mache Kindern Spaß, so könne man ihnen das Recherchieren beibringen - und über das Fotografieren den kritischen Blick, indem man mit verschiedenen Perspektiven arbeitet: "Es ist eigentlich ein reales Bild, aber trotzdem wirkt die Frosch-Perspektive ganz anders als die Vogel-Perspektive. Und da kann man die Kinder darauf aufmerksam machen: Es muss nicht immer alles komplett gefälscht sein, man kann auch so manipulieren."

KI schraubt die Anforderungen noch höher

Wie sehr Künstliche Intelligenz manipulieren kann, davon haben wir bisher nur eine ganz blasse Ahnung. KI-Anwendungen sind hilfreich, aber sie stellen auch neue Anforderungen, wie der Medienpädagoge Thomas Strasser betont: "Ich würde sagen, es braucht sogar eine erhöhte Informationskompetenz, um solider, nachhaltiger und auch professioneller mit der KI umgehen zu können." Und natürlich müssen informations-kompetente Menschen die KI selbst auch hinterfragen. Claudia Isep von der UNESCO: "Was wird durch die Auswahl von Trainingsdaten in die KI eingeschrieben, das geeignet ist, bestehende soziale Ungleichheiten zu reproduzieren, das gesellschaftliche Stereotypen verstärkt?" Gleichzeitig müsse man auch schauen, von wem eine KI trainiert wird und wo.

Wer trainiert eigentlich ChatGPT – und womit?

Und auch KI-Befürworter Thomas Strasser will wissen, "wie zum Beispiel Systeme wie ChatGPT mit Daten gefüttert werden. Also: woher stammen diese Daten, wer, welche Firmen stecken dahinter? Welche Interessen sind da möglicherweise dahinter?" Fragen, die sich auch die "New York Times" gestellt hat, und deswegen jetzt mit Klagen gegen Microsoft und den ChatGPT Entwickler Open AI vorgeht. Das Blatt wirft den Firmen vor, Wissen aus Millionen von Artikeln der Zeitung benutzt zu haben, um ChatGPT zu füttern und damit auf Kosten der "New York Times" ein Geschäft aufzubauen. Die Zeitung nennt keine genauen Zahlen, spricht aber von einem Milliarden-Schaden.

Service

Medienkompetenz-Bericht 2023 der RTR Mit der Studie "Digital Skills Austria" der Universitäten Salzburg und Linz

Survey on the impact of online disinformation and hate speech UNESCO-Studie vom September 2023

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