Karl Nehammer und Herbert Kickl

APA/ROLAND SCHLAGER

Extremismus-Diskussion im Wahljahr

Die Radikalisierung der Begriffe

Das rechtsextreme Geheimtreffen in Potsdam hat in der politischen Debatte etwas ins Rutschen gebracht. Nicht nur in Deutschland, wo Hunderttausende zur Verteidigung der Demokratie auf die Straße gegangen sind, sondern auch in Österreich. Wie soll man berichten über die "Gefahr von rechts" - die gern undifferenziert propagiert wird? Und welche Rolle haben die Medien in einem Wahljahr, das mit einer Radikalisierung der Begrifflichkeiten begonnen hat?

"Wenn ich von politischen Irrlichtern wie einem Werner Kogler oder einem Karl Nehammer oder dem Herrn Babler als rechtsextrem beschimpft werde, dann trage ich diese Beschimpfungen wie einen Orden." So tönte Herbert Kickl beim Neujahrstreffen der FPÖ Anfang Jänner. Drei Wochen später hat ihm der ÖVP-Obmann und Bundeskanzler den Orden in der ORF-Pressestunde quasi offiziell verliehen. Frage von Tobias Pötzelsberger: "Ist Herbert Kickl ein Rechtsextremer für Sie?" Karl Nehammer ohne ein Zögern: "Ja. In seinen Aussagen auf jeden Fall."

Es sei das erste Mal, "dass ein Bundeskanzler der Zweiten Republik über den Chef einer Partei, mit der seine Partei sich in gewissen Bundesländern auch in einer Koalition befindet, sagt, dass er dieser politischen Gesinnung ist". Da verstehe er schon, dass sich Medien darauf stürzen, sagt Jürgen Hofer, Chefredakteur des Medien-Branchenmagazins "Horizont". Er hat zuletzt in einem Leitartikel zum achtsamen journalistischen Umgang mit der Extremismus-Debatte aufgerufen.

Der Kanzler und die Rechtsextremen-Keule

Walter Hämmerle, Innenpolitik-Chef der "Kleinen Zeitung", sieht es ähnlich: "Da müssen wir darüber berichten. Alles andere wäre völlig jenseitig und auch eine Verfehlung unserer Aufgabe. Die Frage ist: Was kommt bei den Menschen davon an und wie betten wir das ein." Einordnung und Kontext seien in Phasen von so aufgeheizten politischen Debatten unerlässlich, sagt die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak. "Man hat nicht immer den Platz oder die Zeit, aber da muss man wirklich aufpassen, dass man Begriffe nicht unkommentiert und kontextlos hinstellt."

Also von außerhalb des demokratischen Systems. Der frühere ÖVP-Politiker Andreas Khol hat dafür den Begriff "außerhalb des Verfassungsbogens" geprägt. Oliver Das Gupta erinnert daran, dass Demokraten mit linker wie mit rechter Gesinnung diesen Verfassungsbogen stützen und gemeinsam darauf achten müssen, dass er nicht einstürzt. Ruth Wodak formuliert es anders: "Man muss vorsichtig sein mit den Begriffen und jetzt nicht mit rechts alles benennen, was irgendwie rechts von der Mitte ist. Weil man da wieder verharmlost."

"Rechtspopulismus" als verwaschene Kategorie

Zur Verwirrung beigetragen habe der in Mode gekommene Begriff des Rechtspopulismus, so die Sprachwissenschafterin, die an der Central European University lehrt. "Völlig inflationär, das ist ein Schimpfwort geworden. So ähnlich wie: du bist Faschist, jetzt bist du Populist - und es heißt alles und nichts." Man sei bemüht, trennschärfere Begriffe zu finden.

Wodak nennt als Beispiel Donald Trump. Der niederländische Politikwissenschafter Cas Mudde habe Trump als "far right" eingestuft, nicht als "extreme right". Das sei allerdings vor dem 6. Jänner 2021 mit dem Sturm auf das Kapitol in Washington gewesen. "Also müsste ich ihn jetzt fragen, ob man nicht doch "extreme right" sagen würde. Da war ganz klar der Aufruf zur Gewalt vorhanden."

Im Wahlkampf wird auf Trennschärfe gepfiffen

Der Wunsch nach trennschärferen Begriffen wird freilich bei uns gerade ins Gegenteil verkehrt. FPÖ-Obmann Herbert Kickl spielt mit dem Begriff "rechtsextrem", kokettiert also mit dem Rauswurf aus dem Verfassungsbogen. ÖVP-Chef Karl Nehammer wirft ihn verbal hinaus, will aber dessen Partei, die FPÖ, drinnen behalten. Der FPÖ-Berater Robert Willacker hat dazu im ORF-Talk "Im Zentrum" eine interessante These abgeliefert: "Natürlich ist Kickl kein De-Radikalisierungs-Programm. Aber er ist jemand, der Menschen im demokratischen System hält."

"Alle Politiker missbrauchen in dem Sinn Sprache"

Und der FPÖ-nahe Strategieberater Heimo Lepuschitz versucht sich - ganz im Stil eines Kickl - als Sprachakrobat: "So extremistisch kann eine Position der FPÖ auf keinen Fall sein, wenn die ÖVP zum Beispiel die meisten Inhalte jetzt kopiert. Das hat sie auch schon unter Sebastian Kurz gemacht. Also da würde ich sagen, die FPÖ ist nicht rechtsextrem, sondern sie hat einfach extrem oft recht." Die Linguistin Ruth Wodak kennt das Spiel. Ihr abgebrühtes Fazit: "Alle Politiker und Politikerinnen in dem Sinn missbrauchen Sprache. Aber das gehört zur Politik, dass man eben auch sprachlich Positionen umdefiniert und neu definiert."

Eine ungewöhnliche Recherche in Potsdam

Rückblende zu dem Treffen von Rechtsextremen in einem Landhotel bei Potsdam, das von der Rechercheplattform "correctiv" auf doch recht ungewöhnliche Weise dokumentiert worden ist.

Man habe eine Einladung zugespielt bekommen und ein Reporter habe dann für "correctiv" in dem Hotel eingecheckt, erzählt Chefredakteur Justus von Daniels. "Ein kleines Hotel. Da sieht man dann auch, wer kommt, wer geht. Da wird auch gemeinsam gefrühstückt und da kriegt man schon mal eine ganze Menge mit. Und das war für uns auch wichtig, dass wir auch dokumentieren können, welche Personen von denen über den Tag dann auch wirklich dabei waren bei dem Treffen. Und dann haben wir tatsächlich auch Quellen, die uns aus dem Treffen selber bestätigt haben, was wir dann auch in unserem Bericht zitiert haben."

Correktiv, Berliner Ensemble

Im Rahmen der Lesung im Berliner Ensemble enthüllte das investigative Team von "correctiv" weitere Details seiner Recherche zum rechtsextremen Geheimplan gegen Deutschland.

PICTUREDESK.COM/DPA/CARSTEN KOALL

Gezielte Konfusion um "Remigration" und Deportation

Die Berichte über Deportationspläne auch für Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft haben eingeschlagen wie eine Bombe - und wurden von manchen sofort angezweifelt. Auch Heimo Lepuschitz ist nicht von der Qualität der Recherche überzeugt. "Ich hätte persönlich nicht daran teilgenommen, muss ich auch dazusagen. Aber die Teilnehmer behaupten alle, es ist niemals um die Remigration von Staatsbürgern gegangen. Es ist die Pflicht der Medien, zu recherchieren und nicht einfach nur Behauptungen zu übernehmen."

"correctiv" schützt natürlich seine Quellen, der Chefredakteur sagt, man habe mit Anfeindungen gerechnet - die kämen vor allem von Seiten der AfD: "Das sind natürlich substanzlose Versuche. Wir sind aber vorsichtig und treffen Schutzmaßnahmen, dass unsere Redaktion sicher ist." Er verstehe, dass gerade auch Leute aus der AfD versuchten, die Recherche zu skandalisieren, sagt Oliver Das Gupta. "Aber vor allem scheinen sie ablenken zu wollen von dem, was dort besprochen wurde." Und besprochen wurde ein Vortrag des rechtsextremen ehemaligen Chefs der Identitären in Österreich, Martin Sellner.

"Who the fuck is Martin Sellner?"

Sellner sei in Deutschland Ausländer und habe darüber schwadroniert, wie Menschen, die zu wenig deutsch seien, mit passenden Gesetzen außer Landes zu schaffen wären, so Das Gupta. "Das mit den passgenauen Gesetzen und mit dieser Vertreibungsfantasie von Menschen, das erinnert mich an Zustände, die wir einfach schon mal hatten in Deutschland. Und ich glaube, ich bin da nicht der einzige Deutsche." Walter Hämmerle warnt davor, den Rechtsextremen aus Österreich überzubewerten: "Who the fuck is Martin Sellner. Welche Bedeutung hat er für politische Prozesse in Österreich, geschweige denn für Deutschland?"

Der Provokateur Sellner scheidet verlässlich die Geister, so wie der jüngste Versuch der deutschen Behörden, ihn mit einem Einreiseverbot zu belegen. Die Botschaft, die der Rechtsextreme seit Jahren verbreitet, ist seit Potsdam jedenfalls angekommen. Jürgen Hofer vom "Horizont" hat im Archiv recherchiert: Der Begriff "Remigration" sei in den österreichischen Tageszeitungen allein im Jänner dieses Jahres viermal so oft verwendet worden wie im gesamten vergangenen Jahr. "Das ist natürlich der Nachrichtenlage geschuldet. Trotzdem ist die Frage, ob man diese Begriffe dann wirklich eins zu eins übernehmen muss."

"Volkskanzler" und das Spiel mit Anspielungen

Ähnlich geht es Hofer mit einem Begriff, den die Freiheitlichen seit fast einem Jahr bei jeder Gelegenheit trommeln: "Wir alle wissen aus der Historie, dass das Wort 'Volkskanzler' eine völlig andere Bedeutung hat. Und wir verwenden es, als wäre es etwas völlig Alltägliches, was völlig normal ist. Und da sehe ich die Gefahr, dass diese Dinge schleichend sich im Sprachgebrauch festsetzen." Gemeint ist die Anspielung auf Adolf Hitler, der Volkskanzler sein wollte, bevor er der Führer wurde.

Die FPÖ wendet da gern ein, dass auch ein Sozialdemokrat wie Alfred Gusenbauer diesen Begriff für sich verwendet hat. Das stimmt - und lenkt ab. Ruth Wodak: "Anspielungen kann man immer dementieren. Daher sind diese Anspielungen ein gerne gewähltes, sozusagen methodisches Instrument aus der Pragmatik, weil es so gut verwendbar ist." Walter Hämmerle hält jeden Vergleich mit den 1920-er und 1930-er Jahren für extrem problematisch. "Nicht, weil unsere Demokratie gesichert wäre und in Stein gemeißelt. Das ist sie nie. Demokratie ist einfach ein Entscheidungsmechanismus, der sich auch permanent weiterentwickelt. Aber ich halte die historischen Zeit-Umstände für nicht vergleichbar."

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"correctiv"-Recherche - Das rechtsextreme Geheimtreffen bei Potsdam

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