Correktiv, Berliner Ensemble

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Recherchen und Interviews in Szene gesetzt

Viel Theater um Journalismus

Die "correctiv"-Enthüllungen über das konspirative Treffen Rechtsextremer sind auch auf den Bühnen des Berliner Ensembles und vom Wiener Volkstheater gelandet. Anlass für #doublecheck, hinter die Kulissen zu schauen. Denn auch die "Dossier"-Enthüllungen über die OMV sind seit bald einem Jahr im Volkstheater zu sehen. Mit dabei ist die Schauspielerin Gerti Drassl, die nun auch als Skirennläuferin im Kinofilm "Persona non grata" zu sehen ist, in dem es um Missbrauch geht und über den erstmals im "Standard" berichtet wurde. Was vermittelt uns die Kunst, wo der Journalismus an seine Grenzen kommt?

"Worüber wir Ihnen heute hier erzählen, ist wahr. Das Düsseldorfer Forum hat stattgefunden und was dort besprochen wurde, ist ehrlicherweise kaum in Worte zu fassen. Wir versuchen es trotzdem. Allerdings können viele Teile dieses Abends für einige verstörend sein. Sehr verstörend."

Mit diesen Worten beginnt die szenische Lesung des Berliner Ensembles am 17. Jänner, die auch vor Wiener Publikum im Volkstheater gestreamt wurde. Es geht um das konspirative Treffen von Rechtsextremen in Potsdam. Mit dabei auch Politiker der AfD - und der ehemalige Chef der Identitären in Österreich: Martin Sellner. Seine Bühnenfigur erzählt vom Masterplan für Deutschland und präsentiert die Idee der "Remigration". Dabei geht es um nichts anderes als um die Abschiebung von Millionen von Menschen, auch mit deutscher Staatsbürgerschaft.

Bringen Schauspielerinnen Leute auf die Straße?

Die Recherche war eine Woche öffentlich, bevor sie auf der Bühne war. Erst danach waren Hunderttausende auf der Straße, um für den Erhalt der Demokratie zu demonstrieren. Auch auf YouTube wurde die Lesung bereits 340.000 Mal angesehen. "Das ist für mich ein Beleg dafür, dass investigatives Theater, wenn es gut erzählt wird, die Kraft hat Hunderttausende auf die Straße zu bringen", sagt der Investigativ-Journalist Ashwien Sankholkar von "Dossier", dessen Recherchen über die OMV seit bald einem Jahr im Volkstheater aufgeführt werden. Das Stück heißt "Die Redaktion", und es zeigt die Recherchen hinter "Dossier"-Enthüllungen: über Spesen, Sponsorings, das Durchforsten der Mails von Mitarbeiten, die Überwachung von Betriebsräten. Auch Journalisten wurden beobachtet, wie "Dossier" herausfindet.

Gerti Drassl

Gerti Drassl

APA/EVA MANHART

Den Druck auf die Redaktion sichtbar machen

Die Recherchen hatten Drohungen und Klagen gegen die Redaktion zur Folge. "Dossier"-Chefredakteur Florian Skrabal wird hier von Gerti Drassl gespielt. Auch bei ihr kommt der enorme Druck an, wie sie im #doublecheck-Interview erzählt: "Ganz am Anfang, muss ich gestehen, hatte ich ein bisschen Angst. Ich habe gefragt, ob jemand in einer Mülltonne daneben sitzt und uns abhört", so Drassl. Sie habe Angst vor der OMV gehabt. Drassl spürt also den Druck, der auf Journalisten und Journalistinnen lastet, und genau den will sie auf der Bühne sichtbar machen. Denn davon ahnen die "Dossier"- Leser und -Leserinnen nichts.

Interview mit Gerti Drassl

Mut und Ausdauer stehen nicht im Text

"Wenn zum Beispiel eine Redaktion in die Bredouille kommt, dass eine Klage von über 94.000 Euro plötzlich da auf dem Tisch liegt. Das ist mehr als ein halbes Jahresbudget für diese Redaktion. Da fragt man sich: Was für Risiken sind wir eingegangen? Und was bedeutet das unter Kollegen? Hast du die Recherche wirklich gut gemacht?" Drassl schildert die Belastung der Redaktion. Und die streckt ihre Hand aus: Denn OMV-Mitarbeiter bekommen sogar einen Rabatt für die Vorstellung, erzählt Ashwien Sankholkar. Auch der ehemalige OMV-Aufsichtsratschef Mark Garrett empfiehlt allen hinzugehen. Nur Rainer Seele bleibe eine Antwort schuldig, sagt Sankholkar. Erst im Theater würden die Emotionen und die Belastungen in der Redaktion sichtbar. Der enorme Mut und die Ausdauer, die diese Recherchen erfordern, würden sie begeistern, sagt Drassl.

Investigatives Theater öffnet komplexe Themen

Jedenfalls habe das Stück für "Dossier" neue Abonnenten und Abonnentinnen gebracht und finanziert somit neue Recherchen, sagt Sankholkar. Es habe auch vielen den Skandal vermittelt, die sonst mit Wirtschaft nichts am Hut haben, weil sie sagen: "Das ist viel zu kompliziert. Das verstehe ich nicht. Umsatz, Gewinn, Rendite, Milliardendeal. Interessiert mich nicht. Verstehe ich wahrscheinlich auch nicht. Und Theater? Es macht auch komplexe Sachen zugänglich", so der Investigativ-Journalist.

Demnächst auf der Bühne: René Benko

Dass "Die Redaktion" so lange läuft, damit habe niemand gerechnet, sagt Bühnenautor Calle Fuhr, der die Recherchen in einen Wirtschaftskrimi auf der Bühne verwandelt hat. Er arbeitet mit "Dossier" auch schon am nächsten Stück. Es geht um René Benko und die Signa, zu sehen ab 16. März im Volkstheater: "Gemeinsam mit 'Dossier' wälzen wir gerade fast täglich den Nachrichtenspiegel zu Herrn Benko durch und schauen, einmal abseits vom Skandal und vom Wunderwuzzi: Wie war das möglich? Warum war das so lange möglich - und welche Konsequenzen folgen daraus?" Laut Fuhr wird das Bühnenlicht auch auf die Berater scheinen und auf die Aufsichtsräte. In dem Stück gehe es um ein uraltes Thema: "Um die Korrumpierbarkeit von scheinbar serösen Menschen."

Calle Fuhr

ORF/NADJA HAHN

Calle Fuhr

Das Theater soll auch im Gewitter der täglichen Nachrichten Klarheit schaffen. Ziel sei es, "Leuten, die vielleicht nicht von Anfang an bei der Causa Benko mit dabei waren, einen Einstieg zu geben und einen Überblick, damit sie den Wald vor lauter Bäumen wieder sehen", sagt Calle Fuhr. Es verspricht aber auch News: "Wir haben derzeit einige exklusive Details, die wir auf der Bühne veranschaulichen werden."

Das Problem mit den Heldengeschichten

"Dossier" hat mit dem Volkstheater auch das Stück "Heldenplätze" auf die Bühne gebracht. Auslöser waren die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Toni Sailer. Hier spielt Gerti Drassl die erfundene Figur "Theresa", die mit ihren Erinnerungen kämpft und am Skifahrer-Mythos rüttelt. Es geht um die Schattenseiten der Heldengeschichten. Drassl: "Das Problem mit der Heimat ist dasselbe wie mit den Helden. Es gibt da diese Vorstellung von ihnen und dann gibt es die Realität, und die Realität hält der Vorstellung nie stand. Deswegen leugnet man die Realität, um seine Vorstellung nicht aufgeben zu müssen."

Wenn es plötzlich was mit uns zu tun hat

Es gibt die lauten, die gefallenen, und die stillen Helden und Heldinnen. Wie die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg, die erstmals im "Standard" über sexuellen Missbrauch in Skiheimen berichtet und damit eine Lawine im Skisport losgetreten hat, Shitstorms und Verleumdungen inklusive. Das thematisiert der Film "Persona non grata", der gerade im Kino ist. In der Hauptrolle: wieder Gerti Drassl. Sie spielt eine Rennläuferin, der Ähnliches passiert. Im Fokus steht, wie Umfeld und Familien mit solchen Geschichten umgehen. Ein Transgenerationen-Drama. Es sollte bewusst keine Nacherzählung von Werdeniggs Geschichte sein, sagt Drassl. "Dadurch sagt man eben nicht: Aha, das ist eine Geschichte, die hat stattgefunden, die hat nichts mit mir zu tun. Da passiert nämlich was anderes. Das ist eine Geschichte, die löst etwas in mir aus, weil ich da irgendwo andocken kann. Dann hat sie plötzlich etwas mit mir zu tun."

Was der Artikel nicht zeigen kann, zeigt der Film

Der Film endet dort, wo die journalistische Arbeit begonnen hat. Mit dem Interview, das Inspirationsfigur Nicola Werdenigg dem "Standard"-Journalisten Philip Bauer gegeben hat. Der musste bei so schweren Vorwürfen seine Arbeit besonders sauber machen. Das war nicht leicht, wie er erzählt: "Ich bin Journalist, ich muss ihr viele Fragen stellen und muss ihr mit einer gewissen Skepsis begegnen, weil es um Dinge ging, die 40 Jahre her waren. Die Erinnerung kann einem auch Streiche spielen. Das musste man schon alles zweifach checken." Was er nicht erzählen konnte, kann jetzt der Film erzählen: "Wenn man nicht betroffen ist, ist es relativ schwer, sich diesen Schmerz vorstellen zu können", sagt Bauer und für ihn ist klar: "Das ist die Geschichte einer Heldin. Die Nicola ist eine Heldin."

So bringt die Kunst ans Licht, was zwischen den journalistischen Zeilen steht. Und das Theater feiert den Journalismus: "Worüber dieser Abend aber zweifelsohne erzählt: Von der Bedeutung von unabhängigem Journalismus", heißt es am Ende der szenischen Lesung in Berlin.

Die szenische Lesung im Berliner Ensemble

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