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ORF/JOSEPH SCHIMMER

Gesetzliche Offenlegung der Gehälter

Missbrauchte neue ORF-Transparenz

Der ORF hat diese Woche den ersten Transparenzbericht vorgelegt. Wer die Spitzenverdiener sind und wieviel sie genau verdienen, kann man im Netz nachlesen. Das war der Preis für die neue Finanzierung über die Haushaltsabgabe. Mehr Transparenz sollte Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen. Aber das ist nicht gelungen. Die Empörung ist groß. Die Neid-Debatte auf dem Boulevard und auf Social Media war absehbar. Dazu kommt ein neuer Ethik-Kodex. Macht das den ORF unabhängiger und glaubwürdiger?

Am Osterwochenende sind die Zeitungen voll: "Nun kommt alles raus", schreibt die Gratiszeitung "Heute". Und die "Krone" legt nach: "Das verdienen die ORF-Gagenkaiser - auf den Cent genau." Und auf Krone-TV die ersten Reaktionen dazu: "Das ist schon echt überproportional, traurig. Das ist nicht gerechtfertigt, dass die so viel verdienen. Das gehört gedeckelt, das ist zu viel."

Zum 31. März musste der ORF den ersten Transparenzbericht vorlegen, 62 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verdienen demnach mehr als 170.000 Euro brutto im Jahr. Ihre Namen samt ORF-Bezügen und Nebeneinkünften stehen jetzt im Internet. Die Empörung auf den Plattformen und in den Zeitungsforen will kein Ende nehmen. Bis hin zu Beschimpfungen und Drohungen gegen ORF-Personal wie "Schäm dich", "Spendet die Hälfte" und "Wir wissen, wo du wohnst". Der ORF bestätigt die Reaktionen.

Presseclub Concordia kritisiert den "Tabubruch"

"Die Veröffentlichung der Gehälter einzelner Personen halte ich für eine populistische Maßnahme, die dem ORF potenziell schadet und die nicht zu einer Versachlichung der Diskussion beiträgt", sagt Daniela Kraus, Geschäftsführerin des Presseclub Concordia über diese Empörung. Weiters sei die namentliche Veröffentlichung ein Tabubruch, den es in keiner anderen Branche gebe, auch nicht in anderen öffentlichen Institutionen: "Wir haben in anderen Bereichen in Österreich überhaupt keine Transparenz über Gehälter, wir haben überhaupt keinen Vergleich. Ich denke, das ist eine Diskussion, die missbraucht werden kann, um Agitation gegen den ORF zu betreiben."

Programmierte Neid-Debatte ohne Einordnung

Ähnlich argumentiert auch Medienexperte Matthias Karmasin, der sich mit Medienethik an der Universität Klagenfurt beschäftigt: "Was ist viel, womit vergleicht man es", fragt er. Ohne diese Einordnung sei keine sachliche Debatte möglich. Außerdem würden für Stars und Manager jeweils andere Maßstäbe gelten. Aber die Einordnung tun sich nur die Wenigsten an, zum Beispiel der "Standard". Dass jüngere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sehr viel weniger als ihre Kollegen mit alten Verträgen verdienen, wird meist nicht erwähnt.

In Deutschland seien die Gagen der Top-Manager und Journalisten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk - also ARD und ZDF - durchaus ähnlich, sagt Medienexperte Leonhard Dobusch, der im Verwaltungsrat des ZDF sitzt und einen guten Einblick hat. Top-Leute wie Jan Böhmermann und Markus Lanz würden noch viel mehr verdienen als ORF-Stars wie etwa Robert Kratky und Andi Knoll von Ö3. Anders als bei uns sind in Deutschland nur die Gagen der Intendanten, also Direktoren, öffentlich bekannt.

Der Transparenzbericht zeigt den Gender Pay-Gap

Abseits der Neiddebatte habe der Transparenzbericht auch sein Gutes, sagt Daniela Kraus. So wisse man nun, wie viel der ORF für Produktionen und externe Berater ausgebe. Auch Missstände würden sichtbar, vor allem der Gender Pay-Gap. "Die Frauen sind viel stärker repräsentiert in den geringeren Gehaltsklassen." Bei den Besserverdienern seien die Männer überrepräsentiert. Kraus: "Das wäre ein ganz klarer Auftrag, den ich hier herauslese, dass diese Ungerechtigkeit beendet wird." ORF-Chef Roland Weißmann hat das von sich aus angesprochen und will das ändern.

Ein neuer Ethikkodex soll für Klarheit sorgen

Auf Weißmanns Initiative ist auch der neue Ethik-Kodex entstanden, er ist die Konsequenz aus den Fällen Matthias Schrom und Robert Ziegler, diese beiden ORF-Spitzenleute waren zu nah an der Politik und sind über entsprechende Chats gestolpert. Der Kodex gilt als Dienstanweisung, tritt mit 1. Juni in Kraft und sieht auch arbeitsrechtliche Konsequenzen bei Verstößen vor. Er regelt den Umgang mit der Politik - Stichwort "Verhaberung" - genauer, aber auch das Verhalten von ORF-Leuten in Sozialen Medien und den Umgang mit Nebenbeschäftigungen.

Der ORF hatte freilich auch vorher dafür Regeln. Report-Chef Wolfgang Wagner, der als Mitglied des ORF-Ethikrats mit der Materie vertraut ist, erklärt was sich nun ändern soll: "Im Prinzip hatten wir ein Regulativ, aber sehr zersplittert und sehr unübersichtlich. Das sollte jetzt besser sein und wir müssen es schaffen es klarer anzuwenden und wir müssen unserem Publikum zeigen, dass wir das total ernst nehmen". Über allem stehe das Anliegen, dass jeder Anschein von Befangenheit zu vermeiden und alles zu unterlassen ist, was Zweifel an der Objektivität aufkommen lassen könnte.

Werbeverträge und Moderationen strenger geprüft

Zum Beispiel spricht sich der Ethik-Rat dafür aus, dass jetzt auch Werbeverträge unter die Lupe genommen werden. Es soll für die Beurteilung der Unvereinbarkeit grundsätzlich keinen mehr Unterschied machen, ob jemand angestellt ist, oder eine eigene Firma hat. Der Eindruck beim Publikum zählt, also ob jemand in der Öffentlichkeit dem ORF zugeordnet wird. Robert Kratky zum Beispiel, hat eine eigene Firma, moderiert aber den Ö3-Wecker für den ORF. Andere bieten ORF-Sendungen über eine eigene Firma an. All das werde nun genauer geprüft. "Das wird immer von der Wahrnehmung des Anscheins, des Publikums beurteilt und da werden jetzt sicher mehr Unvereinbarkeiten sichtbar".
Das betrifft auch Moderationen für Veranstaltungen.

Deshalb sind regelmäßige Evaluierungen der Genehmigungen geplant, erklärt Wagner: "Und zwar unter Beiziehung des Betriebsrats, des Redakteursrats, des Ethikrats, um zu gewährleisten, dass in einem so großen Unternehmen wie es der ORF ist, mit den Landesstudios, dass es nicht in der einen und der anderen Ecke unterschiedlich ausgelegt wird". Im Zweifelsfall gehe eine Entscheidung von der jeweiligen Abteilung zur Compliance Stelle. In schweren Fällen würden Rechtsabteilung und Geschäftsführung entscheiden. Ein generelles Moderationsverbot sei nicht vorgesehen, auch nicht für bestimmte Interessensvertretungen, es komme immer auf den Kontext an, so Wagner.

"Ein Maulkorb-Erlass ist das definitiv nicht"

ORF-Kritiker haben immer einen Maulkorb für ORF-Journalisten und Journalistinnen in den sozialen Netzwerken herbeigesehnt. Kommt der jetzt? "Maulkorberlass: Definitiv Nein", stellt Wolfgang Wagner klar. Aber wer postet, liked oder teilt, müsse folgendes beachten: "Wenn die Debatte gerade tobt und das als Polemik gegen eine Partei verstanden werden könnte, wird man es anders beurteilen, als wenn es als sachlicher Beitrag zur Debatte erkennbar ist". Viel werde sich da gar nicht verändern.

"Der neue Ethikkodex verbietet nichts, was nicht schon verboten wäre", sagt auch Lorenz Tripp. Er ist Universitäts-Assistent an der Uni Graz am Institut für öffentliches Recht und Politikwissenschaft. Er hat die neuen und alten Social-Media Richtlinien des ORF studiert und mit denen der BBC und von den deutschen Sendern ARD und ZDF verglichen. Hier gäbe es ein Spannungsfeld: Wie schafft man Regeln, dass man Journalisten nicht den Mund verbietet, aber dass sie trotzdem objektiv bleiben müssen?

"Wunderbares Instrument, um ORF zu schwächen"

Der ORF sei im Vergleich da mäßig streng, sagt Tripp. "Der ORF hat den gesetzlichen Auftrag entsprechende Regeln, die sind nicht so streng wie die der BBC, aber strenger als wie es in Deutschland gehandhabt wird". Bei der BBC dürften sich Journalisten und Journalistinnen im Informationsbereich gar nicht zu aktuellen und kontroversiellen Themen äußern. In Deutschland gäbe es nur die Empfehlung sich zurückzuhalten.

Bleibt die Frage: Machen Transparenzbericht und Ethik-Kodex den ORF wirklich unabhängiger und glaubwürdiger? Medienethiker Matthias Karmasin ist skeptisch: "Wenn die Intention gewesen sein sollte, die Akzeptanz der Haushaltsabgabe zu steigern, dann muss ich sagen, nach Durchsicht der Kommentare, dann scheint diese Überlegung nicht ganz aufgegangen zu sein". Daniela Kraus ist ebenfalls skeptisch: "Übrig bleibt: Die verdienen zu viel und denen muss man auf die Finger schauen, sonst machen sie irgendwas". Die Gegner des ORF hätten da ein wunderbares Instrument in der Hand, um den ORF zu schwächen. Vor allem die FPÖ werde das im kommenden Wahlkampf vermutlich nutzen.

Und der Schutz der Journalisten vor der Politik?

Die Debatte sei überhaupt fehlgeleitet, resümiert Kraus. Es werde nämlich der Eindruck vermittelt, dass da jemand vor Journalisten geschützt werden müsse. Dabei bräuchten vielmehr die ORF-Redaktionen mehr Schutz, und zwar vor politischer Einflussnahme, etwa durch eine Gremienreform, also etwa eine Reform des ORF-Stiftungsrats. Eine solche sei aber nicht in Sicht - und schon gar keine, die diesen Namen auch verdient. Wie wichtig diese Reform sei, würden aber ausgerechnet die jüngst veröffentlichen Chats aus einer FPÖ-WhatsApp-Gruppe zeigen. Darin sprachen der frühere FPÖ-Chef Heinz Christian Strache und der damalige ORF-Stiftungsrats-Vorsitzende Norbert Steger darüber, wie sie im ORF Posten besetzen könnten.

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ORF-Ethik-Kodex - Regeln für Nebenbeschäftigungen und Social Media
Transparenzbericht 2023 (gemäß § 7a ORF-Gesetz)

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