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Investigative Recherchen
Der Frühling der Enthüllungen
Die Spionage-Affäre, politische Chat-Protokolle, der Wirtschaftskrimi um René Benko und die Signa, mutmaßliche Inseratenkorruption jetzt auch bei der FPÖ - selten ist so viel recherchiert und enthüllt worden wie in diesem Wahljahr. Viele tun sich schwer, den Überblick zu behalten. #doublecheck hat mit Investigativ-Journalisten und -Journalistinnen gesprochen - über ihre Arbeit und ob wirklich alles so brisant ist, wie es durch die Berichterstattung den Anschein hat.
2. Juni 2024, 02:00
Die Affäre um den mutmaßlichen Spion für Russland aus dem österreichischen Verfassungsschutz, Egisto Ott, hat die heutige "profil"-Chefredakteurin Anna Thalhammer Anfang 2022 in der Tageszeitung "Die Presse" schon in allen Details berichtet. Doch der sogenannte "Maulwurf-Akt" hat überhaupt keine Wellen geschlagen. Auch die Affäre um dubiose Millionen-Umwidmungsgewinne des früheren Gemeindebund-Präsidenten Alfred Riedl brauchte einen zweiten Anlauf durch die "Wiener Zeitung" im Vorjahr, bis es Konsequenzen gab.
Jede Enthüllung habe auch ihre Zeit, meint Michael Nikbakhsh. Der Investigativ-Journalist hat erfolgreich den Podcast "Die Dunkelkammer" etabliert und weiß aus langjähriger Erfahrung, wovon er spricht. In Zeiten, wo im Parlament gleich zwei Untersuchungsausschüsse laufen, sind viele Akten unterwegs, und es gibt viele Enthüllungen - was geben sie her?
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"Nicht überall ist auch investigativ drin"
Anna Thalhammer sagt: "Nicht überall, wo investigativ draufsteht, ist investigativ drin. In Österreich fällt dieser Begriff schnell mal, was wahrscheinlich damit zu tun hat, dass man in den Medienhäusern draufgekommen ist, dass es bei den Lesern gut ankommt." Auch Michael Nikbaksh sieht einen gewissen Anteil an Marketing beim aktuellen Enthüllungs-Boom. "Jetzt nimmt man das halt auch als Marketingelement. Man nennt es halt investigativ, um es auch abzugrenzen von anderen journalistischen Darstellungsformen." Aber es sei prinzipiell gut, dass sich Medien ihrer eigentlichen Rolle besinnen und die sei eben nicht, "der Mikrofonständer für die Mächtigen zu sein".
Informationen werden von Parteien aus den Ausschüssen weitergegeben, sie lancieren das, was ihnen politisch nützt. Er lasse sich darauf nicht mehr ein, sagt Nikbakhsh. Doch die meisten Kolleginnen und Kollegen hätten keine Wahl, sie stünden im Wettbewerb zueinander, es sitze ihnen die Chefredaktion im Nacken. Und noch etwas: "Es jetzt nicht anzugreifen, nur weil es aus der politischen Ecke kommt und ein bestimmtes Ziel verfolgt, hieße ja, dass man einen Missstand möglicherweise liegen lässt und nicht beleuchtet. Ich denke, man muss das von Fall zu Fall entscheiden."
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Fluch und Segen der Akten aus dem Ausschuss
"profil"-Chefredakteurin Thalhammer ist da strenger: "Was in den letzten Ausschüssen schon passiert ist: Einzelne Parteien haben dann wirklich sehr selektiv Akten, Teile oder auch nur einzelne Seiten aus Akten herumgereicht - und da ist das Potenzial, dass man was falsch macht oder was übersieht, natürlich sehr groß, denn man weiß ja nicht, was vorher und was nachher steht." Ähnlich sieht das Sebastian Reinhart vom Magazin "News". Es sei klar erkennbar, wo die Informationen herkommen. "Dementsprechend hat es auch eine Message, die mitgenommen werden muss teilweise. Und die große Erzählung bleibt auf der Strecke."
Die obszönen Rechnungen des Herrn Gusenbauer
Reinhart hat gemeinsam mit Rainer Fleckl, der mittlerweile für die "Kronen Zeitung" arbeitet, die ganz große Erzählung vom Zusammenbruch des Signa-Konzerns und der Milliardenpleite des René Benko geliefert. Das Wochenmagazin "News" hat im Herbst eine spektakuläre Titel-Serie zu Benko gebracht, ein besonderer Knaller waren die fetten Berater-Honorare, die Ex-SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer eingestreift hat. Das war einer der Gründe für Informanten zu plaudern, sagt Reinhart: "Manche der involvierten Personen wollten mit den Geschichten, die wir dann publiziert haben, ihren Unmut äußern über Entwicklungen im Unternehmen. Die obszönen Rechnungen in der Sache Gusenbauer hatten in dem Bereich einen Hintergrund."
Die gute Ernte bei schlechtem Betriebsklima
Investigative Recherche - wenn sie nicht über einen Untersuchungsausschuss läuft - das sei die Suche nach und die Pflege von Informanten. Im Fall der Signa, die gut gezahlt, aber nicht das beste Betriebsklima gehabt habe, sei eine große Fluktuation beim Personal hilfreich gewesen. "Wir haben alle möglichen Jobplattformen durchsucht, auch Facebook. Wir haben beobachtet, wer weggeht - und das kann man ja ganz offen sagen, auch versucht, das Gespräch zu suchen mit diesen Personen", so Reinhart. Das sei sehr oft nicht erfolgreich gewesen, aber manchmal eben doch. Am Ende habe man genug Stoff für die umfangreiche Berichterstattung gehabt.
Sebastian Reinhart hat mit dem Aufdecker-Kollegen Fleckl schon bei der Mateschitz-Plattform "Addendum" zu Benko und Signa recherchiert. Wie es seine Art war, hat der Immobilien-Spekulant die beiden Journalisten mit Klagen eingedeckt, sie haben alle medienrechtlichen Verfahren gewonnen. Für Reinhart waren es die ersten, das sei schon belastend gewesen. "Es hat aber auf der anderen Seite auch dazu geführt, dass unser Interesse an dem Thema noch größer geworden ist, weil man gemerkt hat: Wenn sich die so massiv wehren, dann haben wir wohl eine heiße Spur."
Thalhammer und Otts Gegen-Erzählung
Belastend, das waren für Anna Thalhammer auch die Folgen ihrer Berichterstattung zur Spionage-Affäre. Damals habe die Clique um Egisto Ott eine Gegen-Erzählung gewählt, um sie zu diskreditieren. Ein beliebtes Mittel. Thalhammer sarkastisch: "Ich habe damals bei der bürgerlichen 'Die Presse' gearbeitet, deswegen bin ich - quasi fast automatisch - ÖVP Mitglied. Und das wurde halt verbreitet unter Politikern, unter Kollegen." Dass ihre Recherchen nur ein Spin seien, dass sie nicht stimmten - "bis hin zu dass ich Verhältnisse mit irgendwem habe. Ich weiß, dass es Dossiers gegeben hat. Ich weiß, dass es Überwachung gegeben hat."
Vom hohen Wert der niederen Instinkte
Wie kommt sie zu ihren Enthüllungsgeschichten? Über ihr Netzwerk und über ihren Namen, manches werde einfach anonymisiert an sie geschickt. Die Motive liegen für Thalhammer auf der Hand: "Ganz oft sind es die niederen Instinkte. Es ist Rache, es ist gekränktes Ego. Und jeder Investigativ-Journalist muss das ein bisschen im Hinterkopf haben." Michael Nikbakhsh beschreibt es so: "Die Vorstellung, da flattert mal eben so ein Akt bei der Tür herein und dann setzt man sich vor seinen Computer und schreibt den Akt ab - das passiert auch, das gibt es natürlich. Aber zum überwiegenden Teil ist es eine Mischung aus Buchhaltung, aus Forensik."
Der Horror litauischer Banktransaktions-Daten
Wirklich viel Spaß mache es an dem Punkt noch nicht, sondern erst dann, wenn man etwas finde. Michael Nikbaksh, der auch für den "Standard" arbeitet, sagt: Akten lesen sei noch das geringste Problem, das sei bloß zeitaufwändig. "Bei einer wirklich aufwändigen Sache sitzt du tatsächlich nächtelang und tagelang - nicht vor vergleichsweise leicht lesbaren Akten, sondern vor Excel-Tabellen. Einer meiner Tiefpunkte war das Auswerten von litauischen Banktransaktions-Daten."
Die Hilfe von Experten könne man zwar in Anspruch nehmen, aber immer nur abstrakt - um dann selbst Muster zu erkennen, die zu einer Geschichte führen. Der Quellenschutz sei auch bei der Auswertung von Informationen heilig. "Du bist dann auch irgendwie ein Getriebener. Es lässt dich ja nicht mehr los. Du sitzt Stunden um Stunden in der Hoffnung, etwas zu finden, also einen Ansatzpunkt zu einer Geschichte."
Politische Trittbrettfahrer im Wahlkampf
Politiker tun sich da leichter, sie reimen sich eine Geschichte zusammen. Die ÖVP hat ein Video zum Fall Egisto Ott produziert, in dem am Ende noch ein Schuss Korruption dazugemixt wird: "Es wird auch noch aufzuklären sein, ob und allenfalls an wen im Zusammenhang mit den dort vorgeworfenen Straftaten auch Geld geflossen ist", heißt es lapidar. Die Spionage-Affäre soll jetzt im Wahlkampf der FPÖ und Herbert Kickl umgehängt werden, der von der ÖVP beantragte Untersuchungsausschuss gegen rot-blauen Machtmissbrauch - die Retourkutsche zum von SPÖ und FPÖ eingesetzten U-Ausschuss - erweist sich ungeahnt als ideales Vehikel. Aber hilft das wirklich im Wahlkampf? Die Politologin und Wahlforscherin Julia Partheymüller von der Universität Wien sagt: bedingt.
Demobilisierung mit Silberstein und Ibiza
Partheymüller: "Die wichtigste Funktion vom Wahlkampf ist die Mobilisierung der eigenen Anhänger und Wähler. Und solche Skandale können dann selektiv demobilisierend wirken, sodass bestimmte Gruppen weniger zur Wahl gehen." So komme ein negativer Effekt für das Wahlergebnis zustande. Empirisch belegt sei ein demobilisierender Effekt zu Lasten der SPÖ durch die Silberstein-Affäre im Nationalrats-Wahlkampf 2017, aber auch Ibiza mit dem FPÖ-Absturz 2019 sei ein Beispiel.
Kampagne gegen Kickl als Gratwanderung
Die ÖVP hat das Scheitern der Partei mit Sebastian Kurz auf Bundesebene noch nicht ausbaden müssen, jetzt lenkt sie auf die Kickl-FPÖ ab. Wenn die Taktik greifen soll, müsste aber wohl mehr gegen den FPÖ-Chef auf den Tisch. Julia Partheymüller grundsätzlich: "Es braucht eine klare Zuordnung im Sinne von: Wer ist da verantwortlich? Was ist da passiert?" Ein klassisches moralisches Versagen müsse erkennbar sein. "Sonst haben wir eigentlich gar keinen richtigen Skandal", so die Wahlforscherin.
Stattdessen einen Solidarisierungseffekt in der FPÖ-Wählerschaft, die sich um Herbert Kickl schart - und einen Kollateralschaden für die Demokratie, weil die Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt durch eine solche Nachrichtenlage leidet.
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