Europäische Kulturhauptstädte 2025 Gorizia/Nova Gorica

ORF/URSULA BURKERT

Ambiente

Grenzgänge zwischen Gorizia und Nova Gorica

Gorizia und Nova Gorica, einst getrennte Städte, feiern im Kulturhauptstadtjahr ihre Wiedervereinigung mit kultureller Vielfalt und architektonischen Kontrasten. Historische und moderne Einflüsse prägen die Region.

Ich hüpfte damals entlang der Grenzlinie von einem Bein aufs andere und rief: Jetzt bin ich in Slowenien, jetzt in Italien.

Historisches Gorizia, modernes Nova Gorica

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"Ich kann mich noch gut erinnern, wie die ersten Radfahrer auf dem Europaplatz die Grenze überquerten. Ich hüpfte damals entlang der Grenzlinie von einem Bein aufs andere und rief: Jetzt bin ich in Slowenien, jetzt in Italien." Alessia (Alex) Tamer, die als Historikerin mit den Spezialgebieten Grenze und Holocaust für die NGO 4804 im edukativen Bereich arbeitet, war dreizehn Jahre alt, als sie 2004 mit Onkel und Tante die große Feier anlässlich des slowenischen EU-Beitritts miterlebte. Auf beiden Seiten der Grenze, die quer über den Bahnhofsvorplatz von Görz (auf der italienischen Seite Piazza Transalpina, auf der slowenischen Seite Trg Evrope genannt) führte, wurde getanzt und gesungen. Ab 1947 hatte diese Grenze bestanden, die - durch den Friedensvertag von Italien legitimiert - Bauernhöfe, Felder und Familien auseinanderriss und Gorizia seines landwirtschaftlichen Hinterlandes beraubte.

Historisches Gorizia, modernes Nova Gorica

Als Gegengewicht zu der alten italienischen Stadt ließ Tito von dem Architekten Edvard Ravnikar aus Maribor, einem Schüler von Le Corbusier, Nova Gorica planen. Bald entstanden die ersten sogenannten Russenblöcke. Auf einem Relief im Zentrum ist das einstige Bauvorhaben, das so nicht verwirklicht werden konnte, zu erkennen. Der Unterschied zwischen den beiden Städten ist sichtbar: Auf der einen Seite die Altstadt mit dem Castello di Gorizia aus dem 11. Jahrhundert, der Barockkirche des Heiligen Ignatius an der Piazza della Vittoria, einigen Gebäuden im Stil der Wiener Sezession geplant von Max Fabiani, diversen Palazzi und dem Teatro Verdi. Auf der anderen Seite: modernistische Architektur, viel Grün, mit dem Ravnikar seine Idee von einer Gartenstadt verwirklichen wollte, gerade Straßenzüge und weitere postmoderne Bauten wie das SNG, das slowenische Nationaltheater. Zuletzt - in den 1990er Jahren kam noch die France-Bevk-Bibliothek dazu.

Die einstigen Grenzübergänge sind teilweise noch sichtbar, jedoch seit dem EU-Beitritt Sloweniens weitgehend verwaist. Wenn Flüchtende zu erwarten sind, wird auf italienischer Seite wieder kontrolliert, meint Alessia Tamer, die mit Schülergruppen regelmäßig Grenzerkundungen unternimmt. Sie berichtet dann von Einzelschicksalen ebenso wie von Schmuggelgeschichten und von der politischen Dimension dieser Grenze. Regelmäßig wird im Museum Lasciapassare/Prepustnica in der Via Rafut auf der italienischen Seite Station gemacht. Hier dokumentieren Fotos, Videoinstallationen und einige ikonografische Gegenstände, was es bedeutete, quasi über Nacht mit einer Grenze konfrontiert zu sein.

Historisches Gorizia, modernes Nova Gorica

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Grenzenlose Kultur

Während in Gorizia circa 33.000 Menschen leben, sind es in Nova Gorica rund 20.000 weniger. Tendenz - dank der Universität - steigend. Ob die Absolvent:innen in der Stadt bleiben, ist allerdings ungewiss, Braindrain ist in beiden Städten ein Thema. Die Student:innen jedenfalls sind vorzugsweise Grenzgänger:innen. Daher hört man in den Cafés wie Mama Andrea auf der Piazza della Vittoria häufig slowenische Stimmen, während drüben im Lokal Fabrika auch italienisches Geplauder zu vernehmen ist. "GO! Borderless" das Motto des grenzüberschreitenden Kulturstadt-Projekts flattert überall als türkisgrünes Banner. Die Farbe ist eine Verneigung vor dem Fluss Soča, der in Italien Isonzo heißt.

Für Gorizia/Nova Gorica könnte sich das Kulturhauptstadtjahr durchaus als Gewinn herausstellen. Während viele Reisende bis vor Kurzem eher in die Weinbaugebiete Brda oder Collio gefahren sind, machen sie seit heuer auch vermehrt in den beiden Städten halt und switchen zwischen altösterreichischem Flair, einem Hauch von Italianità und postkommunistischem Charme. Ganz im Sinn grenzenloser Kultur.

Text: Ursula Burkert