Radiokolleg - Modernität und Moderne Kunst

Wiederentdeckung, Widersprüche und Widersacher (1). Gestaltung: Armin Medosch

"Die Rede von der modernen Kunst war immer eine Art Kriegserklärung", verkündete der Kunsthistoriker und Philosoph Boris Groys auf einer Konferenz. Sich auf moderne Kunst zu berufen, hieß, sich aus der Umklammerung der Tradition zu befreien, so der aus der ehemaligen Sowjetunion stammende Theoretiker. Im selben Atemzug erklärte Groys, dessen eigene Laufbahn so eng mit dem Begriff der Postmoderne verbunden ist, diese nun offiziell für beendet.

In den 1980er Jahren bildete die Moderne eine Altlast, die es abzuarbeiten und zu überwinden galt. Die Argumente lieferten häufig Widersacher der Moderne wie Friedrich Nietzsche. Seit etwa zehn Jahren wird die moderne Kunst von jungen Künstlerinnen und Künstlern - wie zum Beispiel Anna Artaker oder Marko Lulic - aus neuen, zeitgenössischen Blickwinkeln wieder entdeckt. Dabei geht es nicht um das postmoderne Zitat, sondern vielmehr um eine Aneignung und Aktualisierung der Geschichte in der Gegenwart.

Diese Welle der Wiederentdeckungen der Modernen Kunst nimmt dieses "Radiokolleg" zum Ausgangspunkt, um einen aktuellen und kritischen Blickwinkel auf Modernität und moderne Kunst zu gewinnen. Die Sendung geht dem Zusammenhang zwischen Moderne als geschichtlicher Epoche und dem Begriff der modernen Kunst als Kunstbewegung nach. Wären die Veränderungen in der Malerei ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ohne technologische Neuerungen wie Fotografie, Röntgenstrahlen und Radio denkbar gewesen? Und waren diese Revolutionen in der Kunst nicht eng verzahnt mit dem Kampf der Arbeiterbewegungen um Anerkennung? Die abstrakte Malerei von Piet Mondrian und seinen Kollegen der holländischen Gruppe De Stijl appellierte mit dem Rückgriff auf universale Formen an universelle menschliche Werte, und protestierte damit gegen die Gräuel von Nationalismus und Krieg. Die russischen Konstruktivisten versuchten die gerade gewonnene bolschewistische Revolution zu unterstützen und über den Weg der Kunst den neuen Menschen zu formen.

Diese Geschichte wiederholte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, als - bedingt durch Krieg, Holocaust und die nukleare Bedrohung - der Humanismus in eine tiefe Krise geraten war, erklärt der aus Nigeria stammende Kurator Okwei Enwezor, Leiter des "Haus der Kunst" München und Kurator der diesjährigen Biennale von Venedig. Während der heißen Phase der Entkolonialisierung in den zwei Jahrzehnten nach 1945 entdeckten Künstler/innen aus Ländern wie Sudan, Nigeria, Kuba, Indonesien oder Indien die Formensprache der modernen Kunst, adaptierten sie aber an eigene Bedürfnisse, um im Zuge des Kampfes gegen die Kolonialmächte zu einer modernen, nicht traditionellen nationalen Identität beizutragen.

Die Moderne als Epoche erzeugte ihre eigenen Widersprüche, die in der modernen Kunst lebhaften Ausdruck fand, ob von Befürwortern oder Gegnern. Armin Medosch nimmt diese andere, vielfältigere moderne Kunst in den Blickwinkel.

Service

Literatur:

Bürger, Peter. Theorie der Avantgarde. Suhrkamp, 1981.
Bürger, Peter. Das Altern Der Moderne?: Schriften Zur Bildenden Kunst. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001.
Benjamin, Walter. Passagen: Schriften zur französischen Literatur. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007.
Benjamin, Walter. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit: drei Studien zur Kunstsoziologie. Suhrkamp, 2006.
Grois, Boris. Das kommunistische Postskriptum. Suhrkamp, 2006.
Klinger, Cornelia, und Wolfgang Müller-Funk. Das Jahrhundert Der Avantgarden. München: Fink, 2004.

Sendereihe