Menschen vor glühender Sonne

APA/HARALD SCHNEIDER

Gedanken für den Tag

Susanne Heine über Carl Gustav Jung

"Gott in mir". Anlässlich dessen 60. Todestages blickt die evangelische Theologin und Professorin für Religionspsychologie der Universität Wien, Susanne Heine, auf die herausfordernde Gedankenwelt C. G. Jungs

"Es ist wirklich nicht leicht, mit den Theologen ins Gespräch zu kommen", klagt der alte Herr in einem Brief aus dem Jahr 1953, denn "sie hören nur sich selber und nennen dies das Wort Gottes". Der alte Mann war Carl Gustav Jung. Acht Jahre später, im Juni 1961, ist er in Küsnacht am Zürichsee 86-jährig gestorben, also vor 60 Jahren.

Jung weiß, wovon er spricht. Sein Vater ist Pfarrer der Schweizer reformierten Kirche. Das Pfarrhaus und die Kirche stehen in Laufen, auf einem Felsvorsprung, darunter tost der Rheinfall. Dort verbringt Jung die ersten Kinderjahre: in der Natur zwischen strahlender Sonne und dem dunklen und gefährlichen Fluss, der so manche Leiche ans Ufer spült. Dass Hell und Dunkel eng miteinander verwoben sind, wird Jung sein ganzes Leben begleiten.

Die Familie übersiedelt in eine Landpfarre nahe Basel und Jung lebt in der Routine eines kirchlichen Lebens. Er fragt nach dem Sinn der Riten und Lehren, aber sein Vater antwortet mit leblosen theologischen Floskeln oder gesteht, vieles einfach selbst nicht zu begreifen. Der Sohn fühlt sich alleingelassen und vermerkt über die Theologen: "Da haben wir's, sie wissen nichts davon und denken auch nichts." Wie können sie dann davon reden? Ich vermute, dass Jung vielen aus dem Herzen spricht, auch wenn sie keinen Pfarrer zum Vater haben.

Bei Jung schlägt sich das in finsteren Träumen nieder. Mit etwa zwölf Jahren sieht er sich vor dem Basler Münster stehen, darüber im Himmel den Thron Gottes. Plötzlich fällt von dort ein großer Misthaufen herunter und zerstört die Kirche. Ihm wird bewusst: "Die Kirche war ein Ort, an den ich nicht mehr gehen durfte. Dort war für mich kein Leben, sondern Tod." Damit verabschiedet sich C. G. Jung von Theologie und Kirche, aber nicht von Religion und Gott, dem er auf andere Weise begegnet.

Service

Das C.G. Jung Lesebuch, 5. Auflage, Walter Verlag, 1998.
Aniela Jaffé: Erinnerungen, Träume und Gedanken von C.G. Jung, 11. Auflage, Walter Verlag, 1999.
Susanne Heine: Grundlagen der Religionspsychologie, Kapitel 8: C.G. Jung - die göttliche Natur, UTB 2528, Verlag Vandenhoeck&Ruprecht, 2005.


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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Wolfgang Amadeus Mozart/1756 - 1791
Titel: Sonate für Violine und Klavier in Es-Dur KV 380 < 374f >
* Andante con moto - 2.Satz (00:05:41)
Solist/Solistin: Daniel Barenboim /Klavier
Solist/Solistin: Itzhak Perlman /Violine
Länge: 05:41 min
Label: DG 4232292

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