Wolfgang Rihm

AP/KERSTIN JOENSSON

Zeit-Ton

Nicht nur Fragmente. Wolfgang Rihm wird 70

Wolfgang Rihm zum Siebziger (2). Ein bruchstückhaftes Porträt

Unüberhörbar ist Wolfgang Rihms musikalische Stimme: Als "einer der fruchtbarsten und vielseitigsten Komponisten der Gegenwart", so formulierte es 2003 die Ernst von Siemens Musikstiftung, als sie ihn zu ihrem Hauptpreisträger kürte, habe er "mit unerschöpflicher Phantasie, vitaler Schaffenslust und scharfer Selbstreflexion (.) ein an Facetten reiches Ouvre geschaffen". Unüberhörbar sind auch die Echos, die er seit Jahrzehnten im Musikschrifttum hervorruft: Über keinen lebenden deutschsprachigen Komponisten dürfte so viel geforscht, so viel geschrieben worden sein wie über ihn - Tendenz steil ansteigend, mit hervorgerufen durch seinen aktuellen runden Geburtstag.

Unüberhörbar ist Wolfgang Rihms Schaffen jedoch auch rein durch dessen Umfang: Wer könnte in einem Werkkatalog mit Einträgen jenseits des halben Tausends sich Rechenschaft ablegen über auch nur jedes bedeutungsvolle, jedes "große" Stück, die meisten Querverbindungen, die deutlichsten Verwandtschaften? Wie der Fotoschnappschuss kann da auch ein gleichsam gemaltes Porträt im Radio, für die knappe Stunde von "Zeit-Ton", nur radikal unvollständig und fragmentarisch bleiben. Interessant freilich, dass das Wort "Fragment" ohnehin durch Rihms Ouvre geistert: in Titeln, Untertiteln, literarischen Vorlagen.

"Uns muß es schütteln vor Energie, oder wir müssen lautlos sein vor Leere, dann sind wir Komponisten", schrieb der junge Wolfgang Rihm mit Emphase. 1952 in Karlsruhe geboren, wurde der Schüler von Wolfgang Fortner, Karlheinz Stockhausen und Klaus Huber Anfang der 1970er-Jahre zum profiliertesten Vertreter einer jungen Generation, die gegen die Vorgaben der seriellen und postseriellen Schule aufbegehrte: "Für mich ist Kunst eine andere Form von Atmung, von Hingabe, von Erschrecken und Umarmung und Schönheit und Furcht, von Erhabenem und Niedrigem in unauflöslicher Mischung."

In Misskredit geratenen Kategorien wie "Gefühl" und "Innerlichkeit" verhalf der ebenso wortgewaltige wie tatkräftige Rihm in der Folge wieder zu Bedeutung - mit einer intuitiv-emotional wirkenden Tonsprache und mit besonderer Rücksicht auch auf die ältere Musikgeschichte. Etikettierungen wie "Neue Ausdrucksmusik" oder "Neoromantik" tat er freilich stets ab.

Anders als etwa bei Pierre Boulez, in dessen Schaffen verschiedene Werkfassungen zu einem idealen/ausgereiften Ziel fortschritten, generieren bei Rihm ältere Werke und Werkteile nach wie vor immer wieder neue, gleichberechtigte "Zustände", in denen Früheres partiell "überschrieben" und in neue expressive Zusammenhänge verwoben wird.

Gestaltung: Walter Weidringer

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