Christoph Schlingensief im Gespräch
"Diesen Krebs seh ich als Arschloch an"
Im Jänner 2008 wurde Christoph Schlingensief mit der Diagnose Lungenkrebs konfrontiert. Wie er mit der Angst vor dem Tod lebt und wie diese seinen Blick auf das Leben verändert hat, erzählte der Aktionskünstler im Gespräch mit Michael Kerbler. Ö1 wiederholt diese Sendung in memoriam am Donnerstag, 26. August 2010.
8. April 2017, 21:58
Michael Kerbler im Gespräch mit Christoph Schlingensief
Krankheit, insbesondere eine Krebserkrankung, die im Bewusstsein der meisten Menschheit noch immer als Todesurteil betrachtet wird, stellt aufgrund der begleitenden Therapien und Operationen eine Extremform des Souveränitätsverlustes dar.
Christoph Schlingensief, der Künstler, Film-, Theater- und Wagner-Opernregisseur, wurde im Jänner 2008 schlagartig mit der Diagnose Lungenkrebs in eine solche Souveränitätskrise gestoßen. Wer - fragte der bis dahin Souveräne - hat Schuld? Und wie würde dieses Weiterleben aussehen, wenn man von einem Moment auf den anderen aus der Lebensbahn geworfen wird, wenn der Tod plötzlich nahe rückt?
"Ich hatte auch schüchterne Momente", sagte Schlingensief in diesem Gespräch, "ich war beleidigt von dem Ding. Ich habe gesagt, wie kann so eine Scheiße in mir auftreten? Ich habe so viel Spaß am Leben. Ich habe so viele Freunde, ich mache so viele lebensbejahende Dinge. Wie kann so ein Mist passieren?"
Ein Buch gegen die Angst
Fragen stellten sich, brachen aus Schlingensief heraus, der sich kurz davor noch in der Mitte des Lebensalters wähnte. Wenige Tage nach der Diagnose begann Christoph Schlingensief zu sprechen, mit sich selbst, mit Freunden, mit seinem toten Vater, mit Gott - fast immer eingeschaltet: ein Diktiergerät, das diese Gespräche aufzeichnete.
In einem Tagebuch begann Christoph Schlingensief seine Stunden, Tage und Wochen seit der Diagnose der Krebserkrankung festzuhalten. Er entschloss sich, dieses Tagebuch in Buchform zu veröffentlichen und damit die Öffentlichkeit teilhaben zu lassen an seiner eindringlichen Suche nach sich selbst, nach Gott und nach der Liebe zum Leben. Ein Lungenflügel musste entfernt werden, Chemotherapie und Bestrahlungen folgten, die Prognose war ungewiss - für Schlingensief ein Alptraum der Freiheitsberaubung.
"Das Buch ist nicht geschrieben worden, im Sinne von 'ich berichte jetzt über meine Krankheit', sondern in den einsamen Stunden im Krankenhaus", sagte Schlingensief. Das Buch "So schön kann es im Himmel gar nicht sein" habe keinerlei literarischen Anspruch, es sei für ihn vielmehr eine Art Selbsttherapie während der langen Zeit im Krankenhaus gewesen: "Es ist für mich entstanden, denn es hat mir die Angst genommen".
Hinschauen, wenn das Leid kommt
Der Tod ist unbequem und Menschen, die den Tod thematisieren machen sich unbequem, weil sie die Lebenden an ihre Sterblichkeit erinnern. Für Todkranke oder deren Angehörige kann es aber eine Erleichterung darstellen, sich auszutauschen, sagte der Künstler: "Ich habe seitdem so viele Briefe bekommen, von Leuten, die Krebs haben und auch von Verwandten. Denn gerade die haben Fragen. Was ist dieses Leid, das der Betroffene da hat? Denn darüber wurde in den Familien nicht gesprochen. Viele Kranke ziehen sich zurück und gehen immer weg, wenn das Leid kommt."
"Ich hab mich ja selbst nie gemocht"
Einige Freunde hatte er in der Phase der Krankheit verloren. Floskeln, wie "Ich drücke dir die Daumen" und "Das schaffst du schon", waren ihm ein Gräuel. Um seine Angst zu bekämpfen, hatte er ein Internetforum ins Leben gerufen, wo sich Krebspatienten und -patientinnen austauschen können: "Geschockte Patienten" so der Titel.
Halt fand er aber auch durch autogenes Training und in seiner Beziehung: "Man versucht, sich die Momente zu schildern, wo es doch wieder toll war, zu leben. Es geht nicht darum, zu überleben, um irgend etwas zu beweisen. Es waren so Momente, als ich kapiert habe: meine Freundin liebt mich wirklich. Ich habe selber nie gedacht, dass mich jemand so lieben könnte. Ich habe mich ja selbst nicht gemocht - auch wenn ich immer als selbstverliebter Egomane aufgetreten bin."
Ein Opernaus für Burkina Faso
Die Angst vor dem Tod habe zu einer neuen Einstellung zum Leben geführt, sagte Schlingensief: "Ich habe eine riesen Todesangst, das kann ich nicht abstreiten. Ich kann mich nicht damit anfreunden. Aber ich habe auch das Gefühl, ich habe noch das eine oder das andere zu tun, das ich immer machen wollte und nicht gemacht habe. Das ist nicht die Weltreise, auch nicht der Porsche."
Christoph Schlingensief war zum Zeitpunkt des Gesprächs kurz davor in Afrika ein Festspielhaus zu errichten: "Ich bin nicht kolonial unterwegs", betonte er damals, "ich sehe, dass ich viel von denen lernen kann. Und habe mich in Afrika irgendwie zuhause gefühlt."
Warum ein Festspielhaus wurde er gefragt? Weil die Kunst, das sei, wo der Mensch anfange, sich in seiner eigenen Existenz wieder zu spüren, entgegnete er: "Das ist auch die Suche des Betrachters an der Kunst. Das Museum ist fast ein religiöser Ersatz, ich kann ja Gott auch nicht sehen. Ich kann in der Kunst anfangen, in der Meditation und merken, dass ich hier auf der Spur bin, nicht belehrt zu werden. Ich kann etwas ertasten und selber den eigenen Standpunkt finden."
Service
Christoph Schlingensief, "So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! - Tagebuch einer Krebserkrankung", Verlag Kiepenheuer und Witsch
Matthias Lilienthal und Claus Philipp, "Schlingensiefs Ausländer raus. Bitte liebt Österreich", Collagenbuch, Suhrkamp TB Verlag
David Shields, "Das Dumme am Leben ist, dass man eines Tages tot ist - eine Art Anleitung zum Glücklichsein", C. H. Beck-Verlag
Reimer Gronemeyer, "Sterben in Deutschland - wie wir dem Tod wieder einen Platz in unserem Leben einräumen können", S.Fischer Verlag
Geschockte Patienten - Selbsthilfeforum, initiiert von Christoph Schlingensief