Der Theatermacher erlag seinem Krebsleiden

Christoph Schlingensief gestorben

Der Theater- und Filmregisseur Christoph Schlingensief ist tot. Er starb im Alter von 49 Jahren am Samstag in Berlin, wie seine Ehefrau Aino der Nachrichtenagentur dpa mitteilte. Schlingensief gehörte zu den bedeutendsten Regisseuren der Gegenwart und hat wie nur wenige die deutschsprachige Film- und Theaterwelt beeinflusst.

Kultur aktuell, 23.08.2010

Reaktionen auf Schlingensiefs Tod

Schlingensief galt als einer der umstrittensten Vertreter des deutschsprachigen Kulturbetriebs. In Österreich sorgte er nach der umstrittenen schwarz-blauen Regierungsbildung für Aufsehen, als er im Mai 2000 in Anlehnung an die damals beliebte Fernsehsendung "Big Brother" einen Container mit Asylbewerbern vor der Wiener Staatsoper aufstellen ließ. Die Bewohner wurden gefilmt, die Aufnahmen ins Internet live übertragen. Jeden Tag mussten dann zwei der "Asylwerber" nach einer Internet- und Telefonabstimmung ausscheiden und wurden "abgeschoben".

Nachruf auf Christoph Schlingensief

Von den Festwochen nach Bayreuth

Im Jahr 2004 sorgte er bei den altehrwürdigen Bayreuther Festspielen mit einer modernen "Parsifal"-Inszenierung für einen Skandal. Damals entspann sich ein heftiger Streit zwischen dem Regisseur und Festspielchef Wolfgang Wagner sowie dem Sänger der Titelpartie, Endrik Wottrich, der die Inszenierung als "Dreck" und "Müll" brandmarkte. Schlingensief griff seinerseits nicht nur Wottrich an ("Neger"), sondern auch den Festspielchef selbst, weil dieser keine Ahnung von der bei der Inszenierung verwendeten Videotechnik gehabt habe.

Auseinandersetzung mit dem Sterben

Schlingensief war im Jahr 2008 an Lungenkrebs erkrankt und operiert worden. Jüngst hatte sich sein Gesundheitszustand wieder verschlechtert. Im Juli musste er seine Produktion für die Ruhrtriennale absagen, weil es "neue Befunde" in seinem Krankheitsfall gegeben habe, "ein paar harte Neuigkeiten". Der Film-, Theater- und Opernregisseur ("Das deutsche Kettensägenmassaker"), der zuletzt ein "Operndorf" im afrikanischen Burkina Faso baute, setzte sich seit geraumer Zeit auch künstlerisch mit seiner Lungenkrebserkrankung auseinander, etwa mit seinen letzten Inszenierungen "Mea Culpa", "Kirche der Angst" oder "Sterben lernen".

Tagebuch einer Krebserkrankung

Im Frühjahr 2009 veröffentlichte Schlingensief sein "Tagebuch einer Krebserkrankung" veröffentlicht, das große Beachtung gefunden hatte. Der Erscheinungstermin seiner Memoiren wurde erst kürzlich ohne Angabe von Gründen verschoben. Sie hätten Ende September, rechtzeitig vor dem 50. Geburtstag Schlingensiefs, in die Buchhandlungen kommen sollen.

Letzte Projekte

Zuletzt hatte Schlingensiefs überraschende Berufung zur künstlerischen Gestaltung des deutschen Pavillons bei der Biennale in Venedig 2011 Aufsehen erregt. An der Pressekonferenz zur Vorstellung seiner Pläne hatte er Anfang Juli in Frankfurt am Main aber krankheitsbedingt nicht teilnehmen können. Für Anfang Oktober 2010 war eine Schlingensief-Inszenierung zur Wiedereröffnung des Berliner Schillertheaters geplant, der Ausweichspielstätte von Daniel Barenboims Staatsoper.

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Reaktionen

Einen Tag nach dem Tod Christoph Schlingensiefs herrscht Bestürzung und Trauer bei Prominenten aus Kultur und Politik. "Einer der größten Künstler, der je gelebt hat" - das ist Christoph Schlingensief für die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. So einen wie ihn könne es nicht mehr geben, teilte die zurückgezogen lebende Autorin der österreichischen Nachrichtenagentur APA schriftlich mit. "Ich dachte immer, so jemand kann nicht sterben. Das ist, als ob das Leben selbst gestorben wäre."

Opernregisseurin Katharina Wagner würdigte Schlingensief als einen großen Künstler. "Ich bin tief erschüttert, schockiert und traurig", sagte die Bayreuther Festspielleiterin. "Es tut mir wahnsinnig leid, vor allem weil er so gekämpft hat", ergänzte die 32-Jährige am Rande der Live-Übertragung der Wagner-Oper "Die Walküre" auf dem Bayreuther Volksfestplatz am Samstag.

Der Theatermacher und ehemalige Intendant unter anderem der Münchner Kammerspiele, Frank Baumbauer (64), bezeichnete Schlingensief als "großartigen Wachrüttler". "Mit seinen neuen Theaterformen und veränderten Wertigkeiten hat er uns durch seine Verhaftungen in der Wirklichkeit wieder und wieder aus unseren netten Nestern herausgeworfen. Er hat wirklich Großartiges gemacht und etwas bedeutet - ob in Hamburg, in Berlin, in Bayreuth, in Wien oder in Afrika", sagte Baumbauer der dpa.

Auch der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny hat sich tief betroffen vom Tod des deutschen Regisseurs Christoph Schlingensief gezeigt. Dieser habe "mit seiner Radikalität und Bedingungslosigkeit dem Theater neue Räume und Mittel eröffnet", betonte der SPÖ-Politiker am Samstagabend in einer Aussendung. Schlingensief habe "kaum einen Unterschied zwischen Kunst und Leben gekannt". "Mit ihm verlieren wir einen Ausnahmekünstler, der in allem, was er tat, kompromisslos aufging."