Aus Protest für Nick Clegg
Liberale: Chance auf Platz zwei
Am Donnerstag wählt Großbritannien ein neues Parlament. Umfragen sagen den bisher stets weit abgeschlagenen Liberaldemokraten Chancen auf den nach Stimmen zweiten Platz voraus - dank des überzeugenden Auftretens von Parteichef Nick Clegg. In mehreren Wahlkreisen hoffen die Liberaldemokraten nun auf einen Sieg über die Labour-Party - Dank der Stimmen von Protestwählern.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal 04.05.2010
Historische Wahl?
Es könnte diesmal eine Wahl werden, die das ganze politische System des Landes auf den Kopf stellt. Traditionell hat Großbritannien ja eine Zwei-Parteien-Landschaft – auf der einen Seite Labour, auf der anderen die Konservativen, die Tories. Andere Parteien haben schon seit der Zwischenkriegszeit keine Rolle mehr gespielt. Die Enttäuschung der Wähler über die beiden großen Parteien nach dem Skandal um überhöhte Spesenabrechnungen hunderter Abgeordneter und der überzeugende Auftritt von Nick Clegg, den Chef der drittstärksten Partei, der Liberaldemokraten, bei den Fernsehdiskussionen vor der Wahl könnte das nun alles ändern. Aber auch der direkte Kontakt zu den potenziellen Wählern ist unersetzbar.
Protestwähler für Liberale
Von Haustür zu Haustür im strömenden Regen. Sal Brinton macht das jeden Tag - schon seit Wochen. Sie ist Kandidatin der Liberaldemokraten in der Stadt Watford. Sich bei jedem Wähler persönlich vorzustellen, das hat in Großbritannien Tradition. Viele hier wissen auch jetzt noch nicht, wem sie ihre Stimme geben sollen. An der nächsten Tür hat Sal Brinton dann mehr Glück. Eine frühere Labour-Wählerin wohnt hier, diesmal will sie aber für die Liberaldemokraten stimmen. "Sie sind die einzigen, die vielleicht etwas verändern", meint die Frau. Wie so viele hier ist sie desillusioniert von den beiden großen Parteien. Eine typische Protest-Wählerin? Vielleicht.
"Nick Clegg war genial"
Dass viele wie sie nun aber gerade für die Liberaldemokraten stimmen werden, hat auch mit dem geglückten Auftritt von Nick Clegg, dem Chef der Liberaldemokraten, bei der Fernsehdebatte vor knapp drei Wochen zu tun, erzählt Sal Brinton. "Am nächsten Tag in der Früh waren wir in einer Straße, so ähnlich wie diese hier. Und da haben die Leute aus den Gärten gerufen: Weiter so, fantastisch, Nick Clegg war genial. Und seit damals hält diese Stimmung an", meint Brinton.
Begeisterte Freiwillige
Im lokalen Wahlkampfbüro der Liberaldemokraten läuft der Kopierer unterdessen im Dauerbetrieb: 10.000 Wahlkampfbroschüren müssen heute noch fertig werden – eine Schar von begeisterten Freiwilligen hilft mit. Und auch Julie Smith, Vorsitzende der Liberaldemokraten für ganz Ostengland, ist in diesen Schlüsselwahlkreis gekommen: "Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass die Liberaldemokraten die Chance haben, in die Regierung zu kommen", so Smith. Und was sollen sie dort dann durchsetzen? "Das Wahlsystem ändern", sagt Smith, denn das benachteilige die Liberaldemokreten extrem gegenüber Labour und den Tories.
Links von Labour?
Fairere Steuern, die Banken regulieren, mehr Geld für Gesundheit und Bildung, auch das ist wichtig, meint eine der Wahlkampf-Helferinnen hier. Etliche der Ideen im Wahlprogramm positionieren die Liberaldemokraten sogar links von Labour – doch im Gegensatz zu Labour sind die Liberaldemokraten keine Partei der Arbeiter, sondern der Mittelschicht.
Aufholbarer Rückstand?
Hier in Watford lagen die beiden Partei bei der letzten Wahl nicht einmal zweieinhalb Prozentpunkte auseinander. Ein Rückstand, den Sal Brinton nun ohne Probleme aufholen kann? - "Nein, da darf man sich nie sicher fühlen, aber ich glaube, es bewegt sich in die richtige Richtung", meint Brinton. Noch zwei Tage, dann ist sie vielleicht schon Parlamentsabgeordnete.
Politische Landschaft vor Wende
Bei den Wahlen in Großbritannien wird die Labour Party nach 13 Jahren an der Regierung allen Prognosen zufolge eine schwere Niederlage einfahren. Stärkste Partei dürften die Konservativen, die Tories werden - eine absolute Mehrheit an Mandaten wird sich vermutlich aber nicht ausgehen. Die politische Landschaft Großbritanniens steht vor einer radikalen Kurskorrektur.
Mittagsjournal, 04.05.2010
Reportage aus London von